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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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hominem complectitur: nec minus ad rationem quam
ad voluntatem humanam extenditur: ut homo scilicet
in universum se abneget & accedat Deo. Quare sicut
legi divinae obedire tenemur, licet reluctetur voluntas:
ita & verbo Dei fidem habere, licet reluctetur ratio.
Etenim si ea duntaxat credamus, quae sunt rationi no-
strae consentanea, rebus assentimur, non auctori: quod
etiam suspectae fidei testibus praestare solemus.
De Augment. Scient. Lib. IX. n. 1. Er redet darauf
von Abraham, der gross genug war, glauben zu kön-
nen, und von Sarah, die klein genug war, um zu spot-
ten, und findet an Sarah ein Bild derjenigen mensch-
lichen Vernunft, die spottet, wo sie glauben sollte,
denn die nüchterne Vernunft glaubt gerne, wo sie soll,
und ist auch hier nicht das Weib, sondern der Mann
Abraham.

2. Die christliche Sittenlehre kann den Gang
und die Folgen der reinsten Tugend an der Geschichte
Jesu, die ein Gegenstand des Glaubens ist, als in dem
unvergleichlichsten Beyspiele, darstellen. Es ist das
Loos der reinsten Tugend, dass sie hier den Leidens-
kelch trinken und am Kreuze sterben muss, ehe sie
von den Todten auferstehen, gen Himmel fahren, und
zur Rechten Gottes Besitz von ihrer Herrlichkeit neh-
men kann. Der Gang ist dunkel, der Ausgang herr-
lich: sieh hier den Geist der Geschichte Jesu, und den
Geist aller wahren Tugend! Das Leben Jesu auf Erde
ist das Muster von der unangenehmen, und sein neu-
himmlisches Leben ein Muster von der angenehmen,

beloh-
F 4

hominem complectitur: nec minus ad rationem quam
ad voluntatem humanam extenditur: ut homo ſcilicet
in univerſum ſe abneget & accedat Deo. Quare ſicut
legi divinæ obedire tenemur, licet reluctetur voluntas:
ita & verbo Dei fidem habere, licet reluctetur ratio.
Etenim ſi ea duntaxat credamus, quæ ſunt rationi no-
ſtræ conſentanea, rebus aſſentimur, non auctori: quod
etiam ſuſpectæ fidei teſtibus præſtare ſolemus.
De Augment. Scient. Lib. IX. n. 1. Er redet darauf
von Abraham, der groſs genug war, glauben zu kön-
nen, und von Sarah, die klein genug war, um zu ſpot-
ten, und findet an Sarah ein Bild derjenigen menſch-
lichen Vernunft, die ſpottet, wo ſie glauben ſollte,
denn die nüchterne Vernunft glaubt gerne, wo ſie ſoll,
und iſt auch hier nicht das Weib, ſondern der Mann
Abraham.

2. Die chriſtliche Sittenlehre kann den Gang
und die Folgen der reinſten Tugend an der Geſchichte
Jeſu, die ein Gegenſtand des Glaubens iſt, als in dem
unvergleichlichſten Beyſpiele, darſtellen. Es iſt das
Loos der reinſten Tugend, daſs ſie hier den Leidens-
kelch trinken und am Kreuze ſterben muſs, ehe ſie
von den Todten auferſtehen, gen Himmel fahren, und
zur Rechten Gottes Beſitz von ihrer Herrlichkeit neh-
men kann. Der Gang iſt dunkel, der Ausgang herr-
lich: ſieh hier den Geiſt der Geſchichte Jeſu, und den
Geiſt aller wahren Tugend! Das Leben Jeſu auf Erde
iſt das Muſter von der unangenehmen, und ſein neu-
himmliſches Leben ein Muſter von der angenehmen,

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[87/0101] hominem complectitur: nec minus ad rationem quam ad voluntatem humanam extenditur: ut homo ſcilicet in univerſum ſe abneget & accedat Deo. Quare ſicut legi divinæ obedire tenemur, licet reluctetur voluntas: ita & verbo Dei fidem habere, licet reluctetur ratio. Etenim ſi ea duntaxat credamus, quæ ſunt rationi no- ſtræ conſentanea, rebus aſſentimur, non auctori: quod etiam ſuſpectæ fidei teſtibus præſtare ſolemus. De Augment. Scient. Lib. IX. n. 1. Er redet darauf von Abraham, der groſs genug war, glauben zu kön- nen, und von Sarah, die klein genug war, um zu ſpot- ten, und findet an Sarah ein Bild derjenigen menſch- lichen Vernunft, die ſpottet, wo ſie glauben ſollte, denn die nüchterne Vernunft glaubt gerne, wo ſie ſoll, und iſt auch hier nicht das Weib, ſondern der Mann Abraham. 2. Die chriſtliche Sittenlehre kann den Gang und die Folgen der reinſten Tugend an der Geſchichte Jeſu, die ein Gegenſtand des Glaubens iſt, als in dem unvergleichlichſten Beyſpiele, darſtellen. Es iſt das Loos der reinſten Tugend, daſs ſie hier den Leidens- kelch trinken und am Kreuze ſterben muſs, ehe ſie von den Todten auferſtehen, gen Himmel fahren, und zur Rechten Gottes Beſitz von ihrer Herrlichkeit neh- men kann. Der Gang iſt dunkel, der Ausgang herr- lich: ſieh hier den Geiſt der Geſchichte Jeſu, und den Geiſt aller wahren Tugend! Das Leben Jeſu auf Erde iſt das Muſter von der unangenehmen, und ſein neu- himmliſches Leben ein Muſter von der angenehmen, beloh- F 4

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/101>, abgerufen am 28.03.2024.