Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
verschiedene und dem Orte nach getrennte Seelen geben, so daß
die eine in der Wurzel, die andere im Sprosse sitzt; oder es
würde nur eine geben, welche beiden ihre eigenthümlichen Fähig-
keiten verleiht. Daß es jedoch nicht zwei Seelen von verschie-
dener Art und an verschiedenem Ort in einer Pflanze gebe, dafür
hat man folgendes Argument: wir sehen oft eine abgeschnittene
Wurzel einen Sproß austreiben und ebenso einen abgeschnittenen
Zweig eine Wurzel in die Erde schicken, als ob eine der Art
nach untheilbare Seele in beiden Theilen vorhanden wäre.
Dieß aber würde zu beweisen scheinen, daß die ganze Seele in
den beiden Theilen vorhanden ist und daß sie ganz in der gan-
zen Pflanze sei, wenn dem nicht entgegenstände, was wir bei
vielen wahrnehmen, daß nämlich die Fähigkeiten auf beide Theile
vertheilt sind, so daß der Sproß, wie er auch eingegraben werde,
niemals Wurzeln aussendet, wie bei Pinus und Abies, bei
denen auch die abgeschnittenen Wurzeln zu Grunde gehen." Da-
mit wäre also nach Caesalpin zunächst bewiesen, daß in Wur-
zel und Stamm nur einerlei Seele wohnt, daß sie jedoch nicht
in allen Theilen vorhanden ist; in der weiteren Darlegung sucht
er nun den wahren Sitz der Seele ausfindig zu machen. Zunächst
zeigt er einen anatomischen Unterschied zwischen Sproß und Wur-
zel; die Wurzel bestehe aus der Rinde und einem inneren Kör-
per, welcher bei einigen hart und holzig, bei anderen weich und
fleischig ist. Im Stengel dagegen gibt es drei konstituirende
Theile: außen die Rinde, im Innern das Mark und zwischen
beiden eingeschlossen einen Körper, welcher bei den Bäumen Holz
genannt wird. Auf diese in der Hauptsache richtige Unterschei-
dung von Stamm und Wurzel folgt nun wieder eine ächt aristo-
telische Deduction.

"Wenn nun aber in allen Wesen (NB. es soll für die
Hälfte dieser Wesen erst bewiesen werden, wird aber einstweilen
als bewiesen angenommen) die Natur das Lebensprincip in den
innersten Theilen zu verbergen pflegt, wie die Eingeweide in
Thieren, so wird es auch der Vernunft gemäß sein, daß in den
Pflanzen das Lebensprincip nicht in der Rinde, sondern tiefer

Sachs, Geschichte der Botanik. 4

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
verſchiedene und dem Orte nach getrennte Seelen geben, ſo daß
die eine in der Wurzel, die andere im Sproſſe ſitzt; oder es
würde nur eine geben, welche beiden ihre eigenthümlichen Fähig-
keiten verleiht. Daß es jedoch nicht zwei Seelen von verſchie-
dener Art und an verſchiedenem Ort in einer Pflanze gebe, dafür
hat man folgendes Argument: wir ſehen oft eine abgeſchnittene
Wurzel einen Sproß austreiben und ebenſo einen abgeſchnittenen
Zweig eine Wurzel in die Erde ſchicken, als ob eine der Art
nach untheilbare Seele in beiden Theilen vorhanden wäre.
Dieß aber würde zu beweiſen ſcheinen, daß die ganze Seele in
den beiden Theilen vorhanden iſt und daß ſie ganz in der gan-
zen Pflanze ſei, wenn dem nicht entgegenſtände, was wir bei
vielen wahrnehmen, daß nämlich die Fähigkeiten auf beide Theile
vertheilt ſind, ſo daß der Sproß, wie er auch eingegraben werde,
niemals Wurzeln ausſendet, wie bei Pinus und Abies, bei
denen auch die abgeſchnittenen Wurzeln zu Grunde gehen.“ Da-
mit wäre alſo nach Caeſalpin zunächſt bewieſen, daß in Wur-
zel und Stamm nur einerlei Seele wohnt, daß ſie jedoch nicht
in allen Theilen vorhanden iſt; in der weiteren Darlegung ſucht
er nun den wahren Sitz der Seele ausfindig zu machen. Zunächſt
zeigt er einen anatomiſchen Unterſchied zwiſchen Sproß und Wur-
zel; die Wurzel beſtehe aus der Rinde und einem inneren Kör-
per, welcher bei einigen hart und holzig, bei anderen weich und
fleiſchig iſt. Im Stengel dagegen gibt es drei konſtituirende
Theile: außen die Rinde, im Innern das Mark und zwiſchen
beiden eingeſchloſſen einen Körper, welcher bei den Bäumen Holz
genannt wird. Auf dieſe in der Hauptſache richtige Unterſchei-
dung von Stamm und Wurzel folgt nun wieder eine ächt ariſto-
teliſche Deduction.

„Wenn nun aber in allen Weſen (NB. es ſoll für die
Hälfte dieſer Weſen erſt bewieſen werden, wird aber einſtweilen
als bewieſen angenommen) die Natur das Lebensprincip in den
innerſten Theilen zu verbergen pflegt, wie die Eingeweide in
Thieren, ſo wird es auch der Vernunft gemäß ſein, daß in den
Pflanzen das Lebensprincip nicht in der Rinde, ſondern tiefer

Sachs, Geſchichte der Botanik. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="49"/><fw place="top" type="header">der Organe von Cae&#x017F;alpin bis auf Linn<hi rendition="#aq">é</hi>.</fw><lb/>
ver&#x017F;chiedene und dem Orte nach getrennte Seelen geben, &#x017F;o daß<lb/>
die eine in der Wurzel, die andere im Spro&#x017F;&#x017F;e &#x017F;itzt; oder es<lb/>
würde nur eine geben, welche beiden ihre eigenthümlichen Fähig-<lb/>
keiten verleiht. Daß es jedoch nicht zwei Seelen von ver&#x017F;chie-<lb/>
dener Art und an ver&#x017F;chiedenem Ort in einer Pflanze gebe, dafür<lb/>
hat man folgendes Argument: wir &#x017F;ehen oft eine abge&#x017F;chnittene<lb/>
Wurzel einen Sproß austreiben und eben&#x017F;o einen abge&#x017F;chnittenen<lb/>
Zweig eine Wurzel in die Erde &#x017F;chicken, als ob eine der Art<lb/>
nach untheilbare Seele in beiden Theilen vorhanden wäre.<lb/>
Dieß aber würde zu bewei&#x017F;en &#x017F;cheinen, daß die ganze Seele in<lb/>
den beiden Theilen vorhanden i&#x017F;t und daß &#x017F;ie ganz in der gan-<lb/>
zen Pflanze &#x017F;ei, wenn dem nicht entgegen&#x017F;tände, was wir bei<lb/>
vielen wahrnehmen, daß nämlich die Fähigkeiten auf beide Theile<lb/>
vertheilt &#x017F;ind, &#x017F;o daß der Sproß, wie er auch eingegraben werde,<lb/>
niemals Wurzeln aus&#x017F;endet, wie bei <hi rendition="#aq">Pinus</hi> und <hi rendition="#aq">Abies,</hi> bei<lb/>
denen auch die abge&#x017F;chnittenen Wurzeln zu Grunde gehen.&#x201C; Da-<lb/>
mit wäre al&#x017F;o nach <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> zunäch&#x017F;t bewie&#x017F;en, daß in Wur-<lb/>
zel und Stamm nur einerlei Seele wohnt, daß &#x017F;ie jedoch nicht<lb/>
in allen Theilen vorhanden i&#x017F;t; in der weiteren Darlegung &#x017F;ucht<lb/>
er nun den wahren Sitz der Seele ausfindig zu machen. Zunäch&#x017F;t<lb/>
zeigt er einen anatomi&#x017F;chen Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Sproß und Wur-<lb/>
zel; die Wurzel be&#x017F;tehe aus der Rinde und einem inneren Kör-<lb/>
per, welcher bei einigen hart und holzig, bei anderen weich und<lb/>
flei&#x017F;chig i&#x017F;t. Im Stengel dagegen gibt es drei kon&#x017F;tituirende<lb/>
Theile: außen die Rinde, im Innern das Mark und zwi&#x017F;chen<lb/>
beiden einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en einen Körper, welcher bei den Bäumen Holz<lb/>
genannt wird. Auf die&#x017F;e in der Haupt&#x017F;ache richtige Unter&#x017F;chei-<lb/>
dung von Stamm und Wurzel folgt nun wieder eine ächt ari&#x017F;to-<lb/>
teli&#x017F;che Deduction.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn nun aber in <hi rendition="#g">allen</hi> We&#x017F;en (<hi rendition="#aq">NB.</hi> es &#x017F;oll für die<lb/>
Hälfte die&#x017F;er We&#x017F;en er&#x017F;t bewie&#x017F;en werden, wird aber ein&#x017F;tweilen<lb/>
als bewie&#x017F;en angenommen) die Natur das Lebensprincip in den<lb/>
inner&#x017F;ten Theilen zu verbergen pflegt, wie die Eingeweide in<lb/>
Thieren, &#x017F;o wird es auch der Vernunft gemäß &#x017F;ein, daß in den<lb/>
Pflanzen das Lebensprincip nicht in der Rinde, &#x017F;ondern tiefer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Sachs</hi>, Ge&#x017F;chichte der Botanik. 4</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0061] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. verſchiedene und dem Orte nach getrennte Seelen geben, ſo daß die eine in der Wurzel, die andere im Sproſſe ſitzt; oder es würde nur eine geben, welche beiden ihre eigenthümlichen Fähig- keiten verleiht. Daß es jedoch nicht zwei Seelen von verſchie- dener Art und an verſchiedenem Ort in einer Pflanze gebe, dafür hat man folgendes Argument: wir ſehen oft eine abgeſchnittene Wurzel einen Sproß austreiben und ebenſo einen abgeſchnittenen Zweig eine Wurzel in die Erde ſchicken, als ob eine der Art nach untheilbare Seele in beiden Theilen vorhanden wäre. Dieß aber würde zu beweiſen ſcheinen, daß die ganze Seele in den beiden Theilen vorhanden iſt und daß ſie ganz in der gan- zen Pflanze ſei, wenn dem nicht entgegenſtände, was wir bei vielen wahrnehmen, daß nämlich die Fähigkeiten auf beide Theile vertheilt ſind, ſo daß der Sproß, wie er auch eingegraben werde, niemals Wurzeln ausſendet, wie bei Pinus und Abies, bei denen auch die abgeſchnittenen Wurzeln zu Grunde gehen.“ Da- mit wäre alſo nach Caeſalpin zunächſt bewieſen, daß in Wur- zel und Stamm nur einerlei Seele wohnt, daß ſie jedoch nicht in allen Theilen vorhanden iſt; in der weiteren Darlegung ſucht er nun den wahren Sitz der Seele ausfindig zu machen. Zunächſt zeigt er einen anatomiſchen Unterſchied zwiſchen Sproß und Wur- zel; die Wurzel beſtehe aus der Rinde und einem inneren Kör- per, welcher bei einigen hart und holzig, bei anderen weich und fleiſchig iſt. Im Stengel dagegen gibt es drei konſtituirende Theile: außen die Rinde, im Innern das Mark und zwiſchen beiden eingeſchloſſen einen Körper, welcher bei den Bäumen Holz genannt wird. Auf dieſe in der Hauptſache richtige Unterſchei- dung von Stamm und Wurzel folgt nun wieder eine ächt ariſto- teliſche Deduction. „Wenn nun aber in allen Weſen (NB. es ſoll für die Hälfte dieſer Weſen erſt bewieſen werden, wird aber einſtweilen als bewieſen angenommen) die Natur das Lebensprincip in den innerſten Theilen zu verbergen pflegt, wie die Eingeweide in Thieren, ſo wird es auch der Vernunft gemäß ſein, daß in den Pflanzen das Lebensprincip nicht in der Rinde, ſondern tiefer Sachs, Geſchichte der Botanik. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/61
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/61>, abgerufen am 23.11.2024.