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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
Freilich ging Liebig in seinem Eifer viel zu weit, wenn er in
der ächten Athmung der Pflanzen, weil dieselbe mit Kohlensäure-
Aushauchung verbunden ist, etwas Widersinniges fand und die
Thatsächlichkeit derselben einfach bestritt. Dagegen fand erst jetzt
die von Saussure festgestellte Thatsache, daß mit dem Kohlen-
stoff zugleich die Elemente des Wassers assimilirt werden, ihre klare
theoretische Beleuchtung. Besser als Saussure verstand es Liebig,
die ganze Bedeutung dieser Thatsache für die Ernährungstheorie
zu verwerthen. Doch waren es nicht diese gewichtigen Erwäg-
ungen, welche von den Anhängern und Gegnern Liebig's in
erster Linie beachtet wurden; die praktische Tendenz seines Buches
brachte es vielmehr mit sich, daß sich die Diskussion, welche das-
selbe zumal bei Chemikern und Landwirthen hervorrief, vorwie-
gend um die Frage nach der Herkunft des Stickstoffs der Pflan-
zensubstanz drehte. Wie den Kohlenstoff, so ließ die bisherige
Humustheorie auch den Stickstoff in Form organischer Verbind-
ungen in die Pflanzen eintreten. Saussure hatte zwar in
seinem grundlegenden Werk 1804, wie wir sahen, das Ammoniak
als eine Stickstoffverbindung genannt, welche mit in Betracht ge-
zogen werden könne, ohne jedoch zu einer bestimmteren Ent-
scheidung zu gelangen. Von ganz anderen Gesichtspuncten aus-
gehend, gestützt auf seine eigenen Untersuchungen über die Natur
des Stickstoffs und seiner Verbindungen, kam dagegen Liebig
zu dem Resultat, daß das Ammoniak in letzter Instanz die
einzige Quelle des Stickstoffs der Pflanzensubstanz sein müsse und
daß das Ammoniak in der Atmosphäre und im Boden vollkommen
hinreiche, um die Vegetation mit genügenden Stickstoffmengen
zu versehen, gerade so, wie die atmosphärische Kohlensäure zuletzt
die einzige Quelle alles Kohlenstoffs der Pflanzen ist; und so
kam Liebig zu dem Schluß: "Kohlensäure, Ammoniak und
Wasser enthalten in ihren Elementen die Bedingungen zur Er-
zeugung aller Thier- und Pflanzenstoffe während ihres Lebens.
Kohlensäure, Ammoniak und Wasser sind die letzten Produkte des
chemischen Processes ihrer Fäulniß und Verwesung."

Weniger glücklich, unseres Bedünkens, war wenigstens in der

Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
Freilich ging Liebig in ſeinem Eifer viel zu weit, wenn er in
der ächten Athmung der Pflanzen, weil dieſelbe mit Kohlenſäure-
Aushauchung verbunden iſt, etwas Widerſinniges fand und die
Thatſächlichkeit derſelben einfach beſtritt. Dagegen fand erſt jetzt
die von Sauſſure feſtgeſtellte Thatſache, daß mit dem Kohlen-
ſtoff zugleich die Elemente des Waſſers aſſimilirt werden, ihre klare
theoretiſche Beleuchtung. Beſſer als Sauſſure verſtand es Liebig,
die ganze Bedeutung dieſer Thatſache für die Ernährungstheorie
zu verwerthen. Doch waren es nicht dieſe gewichtigen Erwäg-
ungen, welche von den Anhängern und Gegnern Liebig's in
erſter Linie beachtet wurden; die praktiſche Tendenz ſeines Buches
brachte es vielmehr mit ſich, daß ſich die Diskuſſion, welche das-
ſelbe zumal bei Chemikern und Landwirthen hervorrief, vorwie-
gend um die Frage nach der Herkunft des Stickſtoffs der Pflan-
zenſubſtanz drehte. Wie den Kohlenſtoff, ſo ließ die bisherige
Humustheorie auch den Stickſtoff in Form organiſcher Verbind-
ungen in die Pflanzen eintreten. Sauſſure hatte zwar in
ſeinem grundlegenden Werk 1804, wie wir ſahen, das Ammoniak
als eine Stickſtoffverbindung genannt, welche mit in Betracht ge-
zogen werden könne, ohne jedoch zu einer beſtimmteren Ent-
ſcheidung zu gelangen. Von ganz anderen Geſichtspuncten aus-
gehend, geſtützt auf ſeine eigenen Unterſuchungen über die Natur
des Stickſtoffs und ſeiner Verbindungen, kam dagegen Liebig
zu dem Reſultat, daß das Ammoniak in letzter Inſtanz die
einzige Quelle des Stickſtoffs der Pflanzenſubſtanz ſein müſſe und
daß das Ammoniak in der Atmoſphäre und im Boden vollkommen
hinreiche, um die Vegetation mit genügenden Stickſtoffmengen
zu verſehen, gerade ſo, wie die atmoſphäriſche Kohlenſäure zuletzt
die einzige Quelle alles Kohlenſtoffs der Pflanzen iſt; und ſo
kam Liebig zu dem Schluß: „Kohlenſäure, Ammoniak und
Waſſer enthalten in ihren Elementen die Bedingungen zur Er-
zeugung aller Thier- und Pflanzenſtoffe während ihres Lebens.
Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer ſind die letzten Produkte des
chemiſchen Proceſſes ihrer Fäulniß und Verweſung.“

Weniger glücklich, unſeres Bedünkens, war wenigſtens in der

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[570/0582] Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen. Freilich ging Liebig in ſeinem Eifer viel zu weit, wenn er in der ächten Athmung der Pflanzen, weil dieſelbe mit Kohlenſäure- Aushauchung verbunden iſt, etwas Widerſinniges fand und die Thatſächlichkeit derſelben einfach beſtritt. Dagegen fand erſt jetzt die von Sauſſure feſtgeſtellte Thatſache, daß mit dem Kohlen- ſtoff zugleich die Elemente des Waſſers aſſimilirt werden, ihre klare theoretiſche Beleuchtung. Beſſer als Sauſſure verſtand es Liebig, die ganze Bedeutung dieſer Thatſache für die Ernährungstheorie zu verwerthen. Doch waren es nicht dieſe gewichtigen Erwäg- ungen, welche von den Anhängern und Gegnern Liebig's in erſter Linie beachtet wurden; die praktiſche Tendenz ſeines Buches brachte es vielmehr mit ſich, daß ſich die Diskuſſion, welche das- ſelbe zumal bei Chemikern und Landwirthen hervorrief, vorwie- gend um die Frage nach der Herkunft des Stickſtoffs der Pflan- zenſubſtanz drehte. Wie den Kohlenſtoff, ſo ließ die bisherige Humustheorie auch den Stickſtoff in Form organiſcher Verbind- ungen in die Pflanzen eintreten. Sauſſure hatte zwar in ſeinem grundlegenden Werk 1804, wie wir ſahen, das Ammoniak als eine Stickſtoffverbindung genannt, welche mit in Betracht ge- zogen werden könne, ohne jedoch zu einer beſtimmteren Ent- ſcheidung zu gelangen. Von ganz anderen Geſichtspuncten aus- gehend, geſtützt auf ſeine eigenen Unterſuchungen über die Natur des Stickſtoffs und ſeiner Verbindungen, kam dagegen Liebig zu dem Reſultat, daß das Ammoniak in letzter Inſtanz die einzige Quelle des Stickſtoffs der Pflanzenſubſtanz ſein müſſe und daß das Ammoniak in der Atmoſphäre und im Boden vollkommen hinreiche, um die Vegetation mit genügenden Stickſtoffmengen zu verſehen, gerade ſo, wie die atmoſphäriſche Kohlenſäure zuletzt die einzige Quelle alles Kohlenſtoffs der Pflanzen iſt; und ſo kam Liebig zu dem Schluß: „Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer enthalten in ihren Elementen die Bedingungen zur Er- zeugung aller Thier- und Pflanzenſtoffe während ihres Lebens. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer ſind die letzten Produkte des chemiſchen Proceſſes ihrer Fäulniß und Verweſung.“ Weniger glücklich, unſeres Bedünkens, war wenigſtens in der

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/582>, abgerufen am 11.05.2024.