Erste inductive Versuche und Eröffnung neuer Gesichtspuncte etc.
hundert bekannt waren; nur hatte sich eben früher Niemand mit derartigen Erwägungen befaßt, welche an sich vollkommen hin- reichten, die aristotelische Lehre von der Pflanzenernährung zu beseitigen.
Im zweiten Theil seines Briefes beschäftigt sich Mariotte mit den von der Ernährung abhängigen Vegetationserscheinungen; den Nährkörper des Samens vergleicht er mit dem Dotter der Thiere; den Eintritt des Wassers in die Wurzel mit dem Steigen desselben in capillaren Röhren; der Milchsaft wird als Nahrungs- saft aufgefaßt, der mit dem arteriellen Blut zu vergleichen sei, während die anderen wässrigen Säfte dem venösen entsprechen. Ganz neu ist aber, was Mariotte über den Saftdruck sagt; er weist auf den hohen Druck hin, unter welchem der Saft in den Pflanzen steht, und folgert daraus, daß in der Pflanze Ein- richtungen vorhanden sein müssen, welche dem Wasser zwar den Eintritt, nicht aber den Austritt gestatten. Das Vorhandensein des Saftdruckes selbst wird an dem Ausquellen verletzter Milch- saftpflanzen treffend demonstrirt und mit dem Druck verglichen, unter welchem das Blut in den Adern steht. Nicht minder tref- fend ist Mariotte's weitere Folgerung, daß der Saftdruck die Wurzeln, Zweige und Blätter ausdehne, also zu ihrem Wachsthum beitrage. Der Saft, setzt er hinzu, würde nicht unter diesem Drucke stehen können, wenn er nicht durch Poren einträte, welche ihm den Rücktritt verwehren. In diesen Be- merkungen lagen die ersten Keime theoretischer Betrachtungen über das Wachsthum der Pflanzen, denen wir in etwas anderer Form noch einmal bei Hales begegnen werden, die aber bei der geringen Entwicklung der Phytotomie einer weiteren Aus- bildung noch nicht fähig waren und erst von mir wieder, wenn auch von anderen Gesichtspuncten ausgehend, aufgenommen worden sind.
Daß der primäre Saft nicht nur durch die Wurzeln, son- dern auch durch die Blätter eindringe, schloß Mariotte daraus, daß der eine Zweig eines größeren Astes einige Tage lang frisch bleibt, wenn der andere Zweig desselben in Wasser taucht, ein,
Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
hundert bekannt waren; nur hatte ſich eben früher Niemand mit derartigen Erwägungen befaßt, welche an ſich vollkommen hin- reichten, die ariſtoteliſche Lehre von der Pflanzenernährung zu beſeitigen.
Im zweiten Theil ſeines Briefes beſchäftigt ſich Mariotte mit den von der Ernährung abhängigen Vegetationserſcheinungen; den Nährkörper des Samens vergleicht er mit dem Dotter der Thiere; den Eintritt des Waſſers in die Wurzel mit dem Steigen desſelben in capillaren Röhren; der Milchſaft wird als Nahrungs- ſaft aufgefaßt, der mit dem arteriellen Blut zu vergleichen ſei, während die anderen wäſſrigen Säfte dem venöſen entſprechen. Ganz neu iſt aber, was Mariotte über den Saftdruck ſagt; er weiſt auf den hohen Druck hin, unter welchem der Saft in den Pflanzen ſteht, und folgert daraus, daß in der Pflanze Ein- richtungen vorhanden ſein müſſen, welche dem Waſſer zwar den Eintritt, nicht aber den Austritt geſtatten. Das Vorhandenſein des Saftdruckes ſelbſt wird an dem Ausquellen verletzter Milch- ſaftpflanzen treffend demonſtrirt und mit dem Druck verglichen, unter welchem das Blut in den Adern ſteht. Nicht minder tref- fend iſt Mariotte's weitere Folgerung, daß der Saftdruck die Wurzeln, Zweige und Blätter ausdehne, alſo zu ihrem Wachsthum beitrage. Der Saft, ſetzt er hinzu, würde nicht unter dieſem Drucke ſtehen können, wenn er nicht durch Poren einträte, welche ihm den Rücktritt verwehren. In dieſen Be- merkungen lagen die erſten Keime theoretiſcher Betrachtungen über das Wachsthum der Pflanzen, denen wir in etwas anderer Form noch einmal bei Hales begegnen werden, die aber bei der geringen Entwicklung der Phytotomie einer weiteren Aus- bildung noch nicht fähig waren und erſt von mir wieder, wenn auch von anderen Geſichtspuncten ausgehend, aufgenommen worden ſind.
Daß der primäre Saft nicht nur durch die Wurzeln, ſon- dern auch durch die Blätter eindringe, ſchloß Mariotte daraus, daß der eine Zweig eines größeren Aſtes einige Tage lang friſch bleibt, wenn der andere Zweig desſelben in Waſſer taucht, ein,
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Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
hundert bekannt waren; nur hatte ſich eben früher Niemand mit
derartigen Erwägungen befaßt, welche an ſich vollkommen hin-
reichten, die ariſtoteliſche Lehre von der Pflanzenernährung zu
beſeitigen.
Im zweiten Theil ſeines Briefes beſchäftigt ſich Mariotte
mit den von der Ernährung abhängigen Vegetationserſcheinungen;
den Nährkörper des Samens vergleicht er mit dem Dotter der
Thiere; den Eintritt des Waſſers in die Wurzel mit dem Steigen
desſelben in capillaren Röhren; der Milchſaft wird als Nahrungs-
ſaft aufgefaßt, der mit dem arteriellen Blut zu vergleichen ſei,
während die anderen wäſſrigen Säfte dem venöſen entſprechen.
Ganz neu iſt aber, was Mariotte über den Saftdruck ſagt;
er weiſt auf den hohen Druck hin, unter welchem der Saft in
den Pflanzen ſteht, und folgert daraus, daß in der Pflanze Ein-
richtungen vorhanden ſein müſſen, welche dem Waſſer zwar den
Eintritt, nicht aber den Austritt geſtatten. Das Vorhandenſein
des Saftdruckes ſelbſt wird an dem Ausquellen verletzter Milch-
ſaftpflanzen treffend demonſtrirt und mit dem Druck verglichen,
unter welchem das Blut in den Adern ſteht. Nicht minder tref-
fend iſt Mariotte's weitere Folgerung, daß der Saftdruck
die Wurzeln, Zweige und Blätter ausdehne, alſo zu ihrem
Wachsthum beitrage. Der Saft, ſetzt er hinzu, würde nicht
unter dieſem Drucke ſtehen können, wenn er nicht durch Poren
einträte, welche ihm den Rücktritt verwehren. In dieſen Be-
merkungen lagen die erſten Keime theoretiſcher Betrachtungen
über das Wachsthum der Pflanzen, denen wir in etwas anderer
Form noch einmal bei Hales begegnen werden, die aber bei
der geringen Entwicklung der Phytotomie einer weiteren Aus-
bildung noch nicht fähig waren und erſt von mir wieder, wenn
auch von anderen Geſichtspuncten ausgehend, aufgenommen
worden ſind.
Daß der primäre Saft nicht nur durch die Wurzeln, ſon-
dern auch durch die Blätter eindringe, ſchloß Mariotte daraus,
daß der eine Zweig eines größeren Aſtes einige Tage lang friſch
bleibt, wenn der andere Zweig desſelben in Waſſer taucht, ein,
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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