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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
erkennen, daß hier etwas ganz Neues geschaffen war, woran die
aristotelische Lehre keinerlei Antheil mehr hatte. Hätten Mal-
pighi's Nachfolger das Wesentlichste und Wichtigste seiner Lehre
begriffen und sich bestrebt, durch Experimente an der lebenden
Pflanze sie durch neue Thatsachen zu stützen und zu klären, so
wäre man von zahlreichen Irrthümern und Verirrungen, welche
sich später einnisteten und die Ernährungslehre zu einem wahren
Chaos von Mißverständnissen machten, verschont geblieben. Mit
dem schon mehrerwähnten Mißverständniß, als ob Malpighi,
ähnlich wie Major und später Perrault eine continuirliche
Circulation der Pflanzensäfte angenommen habe, mußte sich noth-
wendig eine unrichtige Auffassung der Blattfunction verbinden;
ja diese letztere wurde später vielfach ganz vernachlässigt oder
vorwiegend in der Transspiration gesucht, indem man ihre
chemische Arbeit ganz übersah.

In Malpighi's Ernährungstheorie ist von der chemischen
Natur der pflanzlichen Nahrungsstoffe kaum die Rede; sie be-
schäftigt sich wesentlich mit der Bedeutung der Organe für die
Hauptmomente der Ernährung; ihre Grundlagen sind vorwiegend
anatomischer Natur. Grew, der im Wesentlichen Malpighi's
Theorie adoptirte, ohne sie jedoch durch seine weitläufigen Dis-
kussionen über einzelne Fragepuncte zu fördern, versuchte zwar
die chemische Seite der Pflanzenernährung weiter zu kultiviren;
indem er dabei jedoch ganz in der Anschauungsweise der Car-
tesianischen Corpusculartheorie sich bewegte und die chemischen
Vorgänge so zu sagen construirte, dabei aber das principiell
Wichtige meist übersah, gelang es ihm nicht, Etwas zu Tage zu
fördern, was für die weitere Entwicklung der Ernährungslehre
förderlich sein konnte. Gerade in dieser Beziehung aber sind
die Ideen eines Mannes von großem Interesse, dessen Namen
gegenwärtig nur Wenige in der Geschichte der Pflanzenphysiologie
suchen werden. Es ist Mariotte 1), der Entdecker des bekannten

1) Edme Mariotte's Geburtsjahr ist unbekannt; er stammte aus
Bourgogne und wohnte zur Zeit seiner ersten wissenschaftlichen Arbeiten in

Geſchichte der Sexualtheorie.
erkennen, daß hier etwas ganz Neues geſchaffen war, woran die
ariſtoteliſche Lehre keinerlei Antheil mehr hatte. Hätten Mal-
pighi's Nachfolger das Weſentlichſte und Wichtigſte ſeiner Lehre
begriffen und ſich beſtrebt, durch Experimente an der lebenden
Pflanze ſie durch neue Thatſachen zu ſtützen und zu klären, ſo
wäre man von zahlreichen Irrthümern und Verirrungen, welche
ſich ſpäter einniſteten und die Ernährungslehre zu einem wahren
Chaos von Mißverſtändniſſen machten, verſchont geblieben. Mit
dem ſchon mehrerwähnten Mißverſtändniß, als ob Malpighi,
ähnlich wie Major und ſpäter Perrault eine continuirliche
Circulation der Pflanzenſäfte angenommen habe, mußte ſich noth-
wendig eine unrichtige Auffaſſung der Blattfunction verbinden;
ja dieſe letztere wurde ſpäter vielfach ganz vernachläſſigt oder
vorwiegend in der Transſpiration geſucht, indem man ihre
chemiſche Arbeit ganz überſah.

In Malpighi's Ernährungstheorie iſt von der chemiſchen
Natur der pflanzlichen Nahrungsſtoffe kaum die Rede; ſie be-
ſchäftigt ſich weſentlich mit der Bedeutung der Organe für die
Hauptmomente der Ernährung; ihre Grundlagen ſind vorwiegend
anatomiſcher Natur. Grew, der im Weſentlichen Malpighi's
Theorie adoptirte, ohne ſie jedoch durch ſeine weitläufigen Dis-
kuſſionen über einzelne Fragepuncte zu fördern, verſuchte zwar
die chemiſche Seite der Pflanzenernährung weiter zu kultiviren;
indem er dabei jedoch ganz in der Anſchauungsweiſe der Car-
teſianiſchen Corpusculartheorie ſich bewegte und die chemiſchen
Vorgänge ſo zu ſagen conſtruirte, dabei aber das principiell
Wichtige meiſt überſah, gelang es ihm nicht, Etwas zu Tage zu
fördern, was für die weitere Entwicklung der Ernährungslehre
förderlich ſein konnte. Gerade in dieſer Beziehung aber ſind
die Ideen eines Mannes von großem Intereſſe, deſſen Namen
gegenwärtig nur Wenige in der Geſchichte der Pflanzenphyſiologie
ſuchen werden. Es iſt Mariotte 1), der Entdecker des bekannten

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[498/0510] Geſchichte der Sexualtheorie. erkennen, daß hier etwas ganz Neues geſchaffen war, woran die ariſtoteliſche Lehre keinerlei Antheil mehr hatte. Hätten Mal- pighi's Nachfolger das Weſentlichſte und Wichtigſte ſeiner Lehre begriffen und ſich beſtrebt, durch Experimente an der lebenden Pflanze ſie durch neue Thatſachen zu ſtützen und zu klären, ſo wäre man von zahlreichen Irrthümern und Verirrungen, welche ſich ſpäter einniſteten und die Ernährungslehre zu einem wahren Chaos von Mißverſtändniſſen machten, verſchont geblieben. Mit dem ſchon mehrerwähnten Mißverſtändniß, als ob Malpighi, ähnlich wie Major und ſpäter Perrault eine continuirliche Circulation der Pflanzenſäfte angenommen habe, mußte ſich noth- wendig eine unrichtige Auffaſſung der Blattfunction verbinden; ja dieſe letztere wurde ſpäter vielfach ganz vernachläſſigt oder vorwiegend in der Transſpiration geſucht, indem man ihre chemiſche Arbeit ganz überſah. In Malpighi's Ernährungstheorie iſt von der chemiſchen Natur der pflanzlichen Nahrungsſtoffe kaum die Rede; ſie be- ſchäftigt ſich weſentlich mit der Bedeutung der Organe für die Hauptmomente der Ernährung; ihre Grundlagen ſind vorwiegend anatomiſcher Natur. Grew, der im Weſentlichen Malpighi's Theorie adoptirte, ohne ſie jedoch durch ſeine weitläufigen Dis- kuſſionen über einzelne Fragepuncte zu fördern, verſuchte zwar die chemiſche Seite der Pflanzenernährung weiter zu kultiviren; indem er dabei jedoch ganz in der Anſchauungsweiſe der Car- teſianiſchen Corpusculartheorie ſich bewegte und die chemiſchen Vorgänge ſo zu ſagen conſtruirte, dabei aber das principiell Wichtige meiſt überſah, gelang es ihm nicht, Etwas zu Tage zu fördern, was für die weitere Entwicklung der Ernährungslehre förderlich ſein konnte. Gerade in dieſer Beziehung aber ſind die Ideen eines Mannes von großem Intereſſe, deſſen Namen gegenwärtig nur Wenige in der Geſchichte der Pflanzenphyſiologie ſuchen werden. Es iſt Mariotte 1), der Entdecker des bekannten 1) Edme Mariotte's Geburtsjahr iſt unbekannt; er ſtammte aus Bourgogne und wohnte zur Zeit ſeiner erſten wiſſenſchaftlichen Arbeiten in

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/510>, abgerufen am 22.11.2024.