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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Einleitung.
Theil der Wurzel, welcher dem Holz des Stammes entspricht,
häufig weich und fleischig erscheint; die Zusammensetzung der
Laubblätter aus grüner, saftiger Substanz und faserigen Strängen
ließ sofort eine gewisse Aehnlichkeit mit der grünen Rinde des
Stengels hervortreten, und diese war es offenbar, die ihn ver-
anlaßte, nicht bloß die Laubblätter, sondern auch die Blattgebilde
der Blüthenhülle als aus der Rinde des Stengels entsprungen
zu betrachten, wogegen die weiche, saftige, pulpöse Beschaffenheit
der unreifen Samen und Samengehäuse auf ihre Identität mit
dem Mark hinzuweisen schien. Daß in den Pflanzen Säfte nicht
nur enthalten sind, sondern in ihnen auch sich bewegen müssen,
konnte auch der einfachsten Ueberlegung nicht entgehen und zu-
dem zeigte das Bluten des Rebstockes, der Balsamausfluß der
Harzbäume und das Hervorquellen des Milchsaftes bei der Ver-
wundung derartiger Pflanzen eine so auffallende Aehnlichkeit mit
dem Bluten eines verwundeten Thierkörpers, daß die Annahme
von Canälen innerhalb der Pflanze, welche gleich den Blutadern
der Thiere jene Säfte enthalten und in Bewegung setzen, ganz na-
türlich erschien, wie uns Caesalpin's Reflexionen über diese
Strukturverhältnisse zur Genüge zeigen. Nehmen wir noch hinzu
daß man wußte, wie die Samen in den Früchten liegen, wie
der Embryo nebst einer pulpösen Masse (Cotyledonen und Endo-
sperm) in der Samenschale eingeschlossen ist, so haben wir unge-
fähr das gesammte Inventar der phytotomischen Kenntnisse bis
um die Mitte des 17. Jahrhunderts.

Bei sorgfältiger Präparation, durch geschicktes Zerschneiden ge-
eigneter Pflanzentheile und aufmerksame Betrachtung der Veränder-
ungen, welche durch Verwesung und Fäulniß entstehen, hätte man
aber schon früher die anatomischen Kenntnisse beträchtlich weiter fördern
können; allein das Sehen ist eine Kunst, die gelernt und ausgebildet
sein will, ein bestimmter Zweck muß den Willen des Beobachters an-
regen, genau sehen zu wollen und das Gesehene richtig zu unterschei-
den und zu verbinden. Diese Kunst des Sehens aber war bis zur
Mitte des 17. Jahrhunderts noch nicht weit gediehen; was man
in dieser Richtung leisten konnte, erschöpfte sich in der Unter-

Einleitung.
Theil der Wurzel, welcher dem Holz des Stammes entſpricht,
häufig weich und fleiſchig erſcheint; die Zuſammenſetzung der
Laubblätter aus grüner, ſaftiger Subſtanz und faſerigen Strängen
ließ ſofort eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der grünen Rinde des
Stengels hervortreten, und dieſe war es offenbar, die ihn ver-
anlaßte, nicht bloß die Laubblätter, ſondern auch die Blattgebilde
der Blüthenhülle als aus der Rinde des Stengels entſprungen
zu betrachten, wogegen die weiche, ſaftige, pulpöſe Beſchaffenheit
der unreifen Samen und Samengehäuſe auf ihre Identität mit
dem Mark hinzuweiſen ſchien. Daß in den Pflanzen Säfte nicht
nur enthalten ſind, ſondern in ihnen auch ſich bewegen müſſen,
konnte auch der einfachſten Ueberlegung nicht entgehen und zu-
dem zeigte das Bluten des Rebſtockes, der Balſamausfluß der
Harzbäume und das Hervorquellen des Milchſaftes bei der Ver-
wundung derartiger Pflanzen eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit
dem Bluten eines verwundeten Thierkörpers, daß die Annahme
von Canälen innerhalb der Pflanze, welche gleich den Blutadern
der Thiere jene Säfte enthalten und in Bewegung ſetzen, ganz na-
türlich erſchien, wie uns Caeſalpin's Reflexionen über dieſe
Strukturverhältniſſe zur Genüge zeigen. Nehmen wir noch hinzu
daß man wußte, wie die Samen in den Früchten liegen, wie
der Embryo nebſt einer pulpöſen Maſſe (Cotyledonen und Endo-
ſperm) in der Samenſchale eingeſchloſſen iſt, ſo haben wir unge-
fähr das geſammte Inventar der phytotomiſchen Kenntniſſe bis
um die Mitte des 17. Jahrhunderts.

Bei ſorgfältiger Präparation, durch geſchicktes Zerſchneiden ge-
eigneter Pflanzentheile und aufmerkſame Betrachtung der Veränder-
ungen, welche durch Verweſung und Fäulniß entſtehen, hätte man
aber ſchon früher die anatomiſchen Kenntniſſe beträchtlich weiter fördern
können; allein das Sehen iſt eine Kunſt, die gelernt und ausgebildet
ſein will, ein beſtimmter Zweck muß den Willen des Beobachters an-
regen, genau ſehen zu wollen und das Geſehene richtig zu unterſchei-
den und zu verbinden. Dieſe Kunſt des Sehens aber war bis zur
Mitte des 17. Jahrhunderts noch nicht weit gediehen; was man
in dieſer Richtung leiſten konnte, erſchöpfte ſich in der Unter-

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[236/0248] Einleitung. Theil der Wurzel, welcher dem Holz des Stammes entſpricht, häufig weich und fleiſchig erſcheint; die Zuſammenſetzung der Laubblätter aus grüner, ſaftiger Subſtanz und faſerigen Strängen ließ ſofort eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der grünen Rinde des Stengels hervortreten, und dieſe war es offenbar, die ihn ver- anlaßte, nicht bloß die Laubblätter, ſondern auch die Blattgebilde der Blüthenhülle als aus der Rinde des Stengels entſprungen zu betrachten, wogegen die weiche, ſaftige, pulpöſe Beſchaffenheit der unreifen Samen und Samengehäuſe auf ihre Identität mit dem Mark hinzuweiſen ſchien. Daß in den Pflanzen Säfte nicht nur enthalten ſind, ſondern in ihnen auch ſich bewegen müſſen, konnte auch der einfachſten Ueberlegung nicht entgehen und zu- dem zeigte das Bluten des Rebſtockes, der Balſamausfluß der Harzbäume und das Hervorquellen des Milchſaftes bei der Ver- wundung derartiger Pflanzen eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit dem Bluten eines verwundeten Thierkörpers, daß die Annahme von Canälen innerhalb der Pflanze, welche gleich den Blutadern der Thiere jene Säfte enthalten und in Bewegung ſetzen, ganz na- türlich erſchien, wie uns Caeſalpin's Reflexionen über dieſe Strukturverhältniſſe zur Genüge zeigen. Nehmen wir noch hinzu daß man wußte, wie die Samen in den Früchten liegen, wie der Embryo nebſt einer pulpöſen Maſſe (Cotyledonen und Endo- ſperm) in der Samenſchale eingeſchloſſen iſt, ſo haben wir unge- fähr das geſammte Inventar der phytotomiſchen Kenntniſſe bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Bei ſorgfältiger Präparation, durch geſchicktes Zerſchneiden ge- eigneter Pflanzentheile und aufmerkſame Betrachtung der Veränder- ungen, welche durch Verweſung und Fäulniß entſtehen, hätte man aber ſchon früher die anatomiſchen Kenntniſſe beträchtlich weiter fördern können; allein das Sehen iſt eine Kunſt, die gelernt und ausgebildet ſein will, ein beſtimmter Zweck muß den Willen des Beobachters an- regen, genau ſehen zu wollen und das Geſehene richtig zu unterſchei- den und zu verbinden. Dieſe Kunſt des Sehens aber war bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch nicht weit gediehen; was man in dieſer Richtung leiſten konnte, erſchöpfte ſich in der Unter-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/248>, abgerufen am 23.11.2024.