Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.Dogma von der Constanz der Arten. wie viele andere Systematiker thatsächlich die von ihm aufge-stellten Regeln gewöhnlich nicht befolgte, denn sonst hätte etwas ganz anderes als ein natürliches System zu Tage kommen müssen. Das Gute, was man in der Bestimmung der Verwandtschaften wirklich erreichte, verdankte man ganz vorwiegend einem richtigen Gefühl, welches sich durch beständige Beschäftigung mit den Pflanzenformen immer feiner ausbildete. Es war also im Grunde noch immer dieselbe, zum großen Theil unbewußte Ideenassociation, wie bei Lobelius und Bauhin, durch welche die natürlichen Verwandtschaften nach und nach zu Tage gefördert wurden und wie die angeführten Beispiele zeigen, wurden Männer von her- vorragender systematischer Bedeutung, wie Lindley, sich nicht einmal darüber klar, nach welchen Regeln sie selbst verfuhren. Und dennoch wurde auf diesem Wege das natürliche System in ungefähr 50 Jahren in ganz außerordentlicher Weise gefördert. Die Zahl der thatsächlich erkannten Verwandtschaftsbeziehungen wuchs außerordentlich rasch, wie eine Vergleichung der Systeme von Bartling, Endlicher, Brongniart, Lindley mit denen De Candolle's und Jussieu's ergiebt. Wie bedeu- tend der classificatorische Werth der so zu Tage geförderten Systeme war, wird durch Nichts so schlagend dargethan, als durch die Thatsache, daß ein klarer und methodischer Denker wie Darwin im Stande war, aus den Systemen, wie sie vor 1850 sich entwickelt hatten, die wichtigste Stütze der Descendenztheorie abzuleiten. Denn es muß hier constatirt werden, daß Darwin seine Theorie nicht etwa im Gegensatz zur Morphologie und Systematik aus irgend welchen bis dahin unbekannten Principien abgeleitet hat; daß er vielmehr die wichtigsten und unumstößlichen seiner Sätze ganz unmittelbar aus den Thatsachen des bis dahin aufgebauten natürlichen Systems und der Morphologie deducirte. Er weist ausdrücklich immer wieder darauf hin, daß das natür- liche System (in der auf ihn gekommenen Form, die er in der Hauptsache als die richtige anerkennt) nicht auf den physiologischen Werth der Organe, sondern nur auf ihren morphologischen gebaut ist; es könne, sagt er, als eine Regel aufgestellt werden, daß, 11 *
Dogma von der Conſtanz der Arten. wie viele andere Syſtematiker thatſächlich die von ihm aufge-ſtellten Regeln gewöhnlich nicht befolgte, denn ſonſt hätte etwas ganz anderes als ein natürliches Syſtem zu Tage kommen müſſen. Das Gute, was man in der Beſtimmung der Verwandtſchaften wirklich erreichte, verdankte man ganz vorwiegend einem richtigen Gefühl, welches ſich durch beſtändige Beſchäftigung mit den Pflanzenformen immer feiner ausbildete. Es war alſo im Grunde noch immer dieſelbe, zum großen Theil unbewußte Ideenaſſociation, wie bei Lobelius und Bauhin, durch welche die natürlichen Verwandtſchaften nach und nach zu Tage gefördert wurden und wie die angeführten Beiſpiele zeigen, wurden Männer von her- vorragender ſyſtematiſcher Bedeutung, wie Lindley, ſich nicht einmal darüber klar, nach welchen Regeln ſie ſelbſt verfuhren. Und dennoch wurde auf dieſem Wege das natürliche Syſtem in ungefähr 50 Jahren in ganz außerordentlicher Weiſe gefördert. Die Zahl der thatſächlich erkannten Verwandtſchaftsbeziehungen wuchs außerordentlich raſch, wie eine Vergleichung der Syſteme von Bartling, Endlicher, Brongniart, Lindley mit denen De Candolle's und Juſſieu's ergiebt. Wie bedeu- tend der claſſificatoriſche Werth der ſo zu Tage geförderten Syſteme war, wird durch Nichts ſo ſchlagend dargethan, als durch die Thatſache, daß ein klarer und methodiſcher Denker wie Darwin im Stande war, aus den Syſtemen, wie ſie vor 1850 ſich entwickelt hatten, die wichtigſte Stütze der Deſcendenztheorie abzuleiten. Denn es muß hier conſtatirt werden, daß Darwin ſeine Theorie nicht etwa im Gegenſatz zur Morphologie und Syſtematik aus irgend welchen bis dahin unbekannten Principien abgeleitet hat; daß er vielmehr die wichtigſten und unumſtößlichen ſeiner Sätze ganz unmittelbar aus den Thatſachen des bis dahin aufgebauten natürlichen Syſtems und der Morphologie deducirte. Er weiſt ausdrücklich immer wieder darauf hin, daß das natür- liche Syſtem (in der auf ihn gekommenen Form, die er in der Hauptſache als die richtige anerkennt) nicht auf den phyſiologiſchen Werth der Organe, ſondern nur auf ihren morphologiſchen gebaut iſt; es könne, ſagt er, als eine Regel aufgeſtellt werden, daß, 11 *
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Dogma von der Conſtanz der Arten.
wie viele andere Syſtematiker thatſächlich die von ihm aufge-
ſtellten Regeln gewöhnlich nicht befolgte, denn ſonſt hätte etwas
ganz anderes als ein natürliches Syſtem zu Tage kommen müſſen.
Das Gute, was man in der Beſtimmung der Verwandtſchaften
wirklich erreichte, verdankte man ganz vorwiegend einem richtigen
Gefühl, welches ſich durch beſtändige Beſchäftigung mit den
Pflanzenformen immer feiner ausbildete. Es war alſo im Grunde
noch immer dieſelbe, zum großen Theil unbewußte Ideenaſſociation,
wie bei Lobelius und Bauhin, durch welche die natürlichen
Verwandtſchaften nach und nach zu Tage gefördert wurden und
wie die angeführten Beiſpiele zeigen, wurden Männer von her-
vorragender ſyſtematiſcher Bedeutung, wie Lindley, ſich nicht
einmal darüber klar, nach welchen Regeln ſie ſelbſt verfuhren.
Und dennoch wurde auf dieſem Wege das natürliche Syſtem in
ungefähr 50 Jahren in ganz außerordentlicher Weiſe gefördert.
Die Zahl der thatſächlich erkannten Verwandtſchaftsbeziehungen
wuchs außerordentlich raſch, wie eine Vergleichung der Syſteme
von Bartling, Endlicher, Brongniart, Lindley mit
denen De Candolle's und Juſſieu's ergiebt. Wie bedeu-
tend der claſſificatoriſche Werth der ſo zu Tage geförderten
Syſteme war, wird durch Nichts ſo ſchlagend dargethan, als
durch die Thatſache, daß ein klarer und methodiſcher Denker wie
Darwin im Stande war, aus den Syſtemen, wie ſie vor 1850
ſich entwickelt hatten, die wichtigſte Stütze der Deſcendenztheorie
abzuleiten. Denn es muß hier conſtatirt werden, daß Darwin
ſeine Theorie nicht etwa im Gegenſatz zur Morphologie und
Syſtematik aus irgend welchen bis dahin unbekannten Principien
abgeleitet hat; daß er vielmehr die wichtigſten und unumſtößlichen
ſeiner Sätze ganz unmittelbar aus den Thatſachen des bis dahin
aufgebauten natürlichen Syſtems und der Morphologie deducirte.
Er weiſt ausdrücklich immer wieder darauf hin, daß das natür-
liche Syſtem (in der auf ihn gekommenen Form, die er in der
Hauptſache als die richtige anerkennt) nicht auf den phyſiologiſchen
Werth der Organe, ſondern nur auf ihren morphologiſchen gebaut
iſt; es könne, ſagt er, als eine Regel aufgeſtellt werden, daß,
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