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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Einleitung.
Coniferen, Umbelliferen, Compositen, Labiaten,
Papilionaceen u. a. vorkommen, wohl fühlte, wenn man
auch keineswegs sich darüber klar wurde, worin eigentlich diese
natürliche Zusammengehörigkeit sich ausspreche; die Thatsache der
natürlichen Verwandtschaft drängte sich von selbst und ungesucht
den Beobachtern auf; anfangs als ganz unbestimmte gelegentliche
Wahrnehmung, der man zunächst keinen großen Werth beilegte.
Es bedarf keiner vorausgehenden philosophischen Betrachtung,
keiner absichtlichen Classifikation des Pflanzenreichs, um diese
Gruppen als solche wahrzunehmen; sie bieten sich dem unbefan-
genen Auge ganz ebenso von selbst dar, wie die Gruppen der
Säugethiere, Vögel, Reptilien, Fische, Würmer im Thierreich.
Die objektiv vorhandene Aehnlichkeit der in solche Gruppen zu-
sammengehörigen Organismen macht sich subjektiv ganz unwill-
kürlich durch Ideenassociation geltend und erst wenn dieser ganz
unwillkürliche psychische Akt sich vollzogen hat, der an und für
sich keine Anstrengung des Verstandes verlangt, tritt dann das
Bedürfniß hervor, die Erscheinung klarer aufzufassen; damit aber
beginnt die absichtliche systematische Forschung. Die Reihenfolge
der botanischen Bücher der Deutschen und Niederländer von
1530-1623, von Brunfels bis Caspar Bauhin zeigt
ganz deutlich, wie sich mehr und mehr diese Erkenntniß der ver-
wandtschaftlichen Gruppirung im Pflanzenreich vollzog. Sie
zeigt aber auch, wie diese Männer dabei ausschließlich einem in-
stinktiven Gefühl folgten, ohne nach der Ursache der wahrgenom-
menen Verwandtschaftsverhältnisse zu fragen.

Nichts desto weniger war damit ein großer Schritt vor-
wärts gethan; all der fremdartige Ballast von medicinischem
Aberglauben und praktischen Rücksichten bei der Pflanzenbeschreib-
ung war als Nebensache erkannt und bei Caspar Bauhin
sogar ganz abgeworfen; dafür war das belebende Prinzip aller
botanischen Forschung: die Thatsache der natürlichen Verwandt-
schaft in den Vordergrund getreten und damit zugleich der Trieb
zu genauerer Unterscheidung des Verschiedenen und zu sorgfäl-
tiger Zusammenstellung des Gleichartigen hervorgerufen. Die

Einleitung.
Coniferen, Umbelliferen, Compoſiten, Labiaten,
Papilionaceen u. a. vorkommen, wohl fühlte, wenn man
auch keineswegs ſich darüber klar wurde, worin eigentlich dieſe
natürliche Zuſammengehörigkeit ſich ausſpreche; die Thatſache der
natürlichen Verwandtſchaft drängte ſich von ſelbſt und ungeſucht
den Beobachtern auf; anfangs als ganz unbeſtimmte gelegentliche
Wahrnehmung, der man zunächſt keinen großen Werth beilegte.
Es bedarf keiner vorausgehenden philoſophiſchen Betrachtung,
keiner abſichtlichen Claſſifikation des Pflanzenreichs, um dieſe
Gruppen als ſolche wahrzunehmen; ſie bieten ſich dem unbefan-
genen Auge ganz ebenſo von ſelbſt dar, wie die Gruppen der
Säugethiere, Vögel, Reptilien, Fiſche, Würmer im Thierreich.
Die objektiv vorhandene Aehnlichkeit der in ſolche Gruppen zu-
ſammengehörigen Organismen macht ſich ſubjektiv ganz unwill-
kürlich durch Ideenaſſociation geltend und erſt wenn dieſer ganz
unwillkürliche pſychiſche Akt ſich vollzogen hat, der an und für
ſich keine Anſtrengung des Verſtandes verlangt, tritt dann das
Bedürfniß hervor, die Erſcheinung klarer aufzufaſſen; damit aber
beginnt die abſichtliche ſyſtematiſche Forſchung. Die Reihenfolge
der botaniſchen Bücher der Deutſchen und Niederländer von
1530-1623, von Brunfels bis Caspar Bauhin zeigt
ganz deutlich, wie ſich mehr und mehr dieſe Erkenntniß der ver-
wandtſchaftlichen Gruppirung im Pflanzenreich vollzog. Sie
zeigt aber auch, wie dieſe Männer dabei ausſchließlich einem in-
ſtinktiven Gefühl folgten, ohne nach der Urſache der wahrgenom-
menen Verwandtſchaftsverhältniſſe zu fragen.

Nichts deſto weniger war damit ein großer Schritt vor-
wärts gethan; all der fremdartige Ballaſt von mediciniſchem
Aberglauben und praktiſchen Rückſichten bei der Pflanzenbeſchreib-
ung war als Nebenſache erkannt und bei Caspar Bauhin
ſogar ganz abgeworfen; dafür war das belebende Prinzip aller
botaniſchen Forſchung: die Thatſache der natürlichen Verwandt-
ſchaft in den Vordergrund getreten und damit zugleich der Trieb
zu genauerer Unterſcheidung des Verſchiedenen und zu ſorgfäl-
tiger Zuſammenſtellung des Gleichartigen hervorgerufen. Die

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[5/0017] Einleitung. Coniferen, Umbelliferen, Compoſiten, Labiaten, Papilionaceen u. a. vorkommen, wohl fühlte, wenn man auch keineswegs ſich darüber klar wurde, worin eigentlich dieſe natürliche Zuſammengehörigkeit ſich ausſpreche; die Thatſache der natürlichen Verwandtſchaft drängte ſich von ſelbſt und ungeſucht den Beobachtern auf; anfangs als ganz unbeſtimmte gelegentliche Wahrnehmung, der man zunächſt keinen großen Werth beilegte. Es bedarf keiner vorausgehenden philoſophiſchen Betrachtung, keiner abſichtlichen Claſſifikation des Pflanzenreichs, um dieſe Gruppen als ſolche wahrzunehmen; ſie bieten ſich dem unbefan- genen Auge ganz ebenſo von ſelbſt dar, wie die Gruppen der Säugethiere, Vögel, Reptilien, Fiſche, Würmer im Thierreich. Die objektiv vorhandene Aehnlichkeit der in ſolche Gruppen zu- ſammengehörigen Organismen macht ſich ſubjektiv ganz unwill- kürlich durch Ideenaſſociation geltend und erſt wenn dieſer ganz unwillkürliche pſychiſche Akt ſich vollzogen hat, der an und für ſich keine Anſtrengung des Verſtandes verlangt, tritt dann das Bedürfniß hervor, die Erſcheinung klarer aufzufaſſen; damit aber beginnt die abſichtliche ſyſtematiſche Forſchung. Die Reihenfolge der botaniſchen Bücher der Deutſchen und Niederländer von 1530-1623, von Brunfels bis Caspar Bauhin zeigt ganz deutlich, wie ſich mehr und mehr dieſe Erkenntniß der ver- wandtſchaftlichen Gruppirung im Pflanzenreich vollzog. Sie zeigt aber auch, wie dieſe Männer dabei ausſchließlich einem in- ſtinktiven Gefühl folgten, ohne nach der Urſache der wahrgenom- menen Verwandtſchaftsverhältniſſe zu fragen. Nichts deſto weniger war damit ein großer Schritt vor- wärts gethan; all der fremdartige Ballaſt von mediciniſchem Aberglauben und praktiſchen Rückſichten bei der Pflanzenbeſchreib- ung war als Nebenſache erkannt und bei Caspar Bauhin ſogar ganz abgeworfen; dafür war das belebende Prinzip aller botaniſchen Forſchung: die Thatſache der natürlichen Verwandt- ſchaft in den Vordergrund getreten und damit zugleich der Trieb zu genauerer Unterſcheidung des Verſchiedenen und zu ſorgfäl- tiger Zuſammenſtellung des Gleichartigen hervorgerufen. Die

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/17>, abgerufen am 06.05.2024.