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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Dogma von der Constanz der Arten.
Verwandtschaften fortschritt, desto klarer traten alle die Beziehungen
hervor, welche die Arten, Gattungen und Familien unter einan-
der verknüpfen; mit großer Klarheit entwickelte Pyrame de
Candolle
eine lange Reihe von verwandtschaftlichen Beziehungen,
welche die vergleichende Morphologie offenbart; aber was ließ
sich dabei denken, so lange das Dogma von der Constanz der
Arten jedes objectiv reale Band zwischen zwei verwandten Or-
ganismen entzwei schnitt? Denken ließ sich nun eben eigentlich
dabei nicht viel, um aber wenigstens die erkannten verwandt-
schaftlichen Beziehungen besprechen und beschreiben zu können,
half man sich mit Worten von unbestimmtem Sinn, denen man
nach Belieben eine metaphorische Bedeutung geben konnte. An
die Stelle dessen, was Linne eine Klassenpflanze oder eine
Gattungspflanze genannt hatte, setzte man jetzt das Wort Sym-
metrieplan oder Typus, unter welchem man eine ideale Grund-
form verstand, von welcher zahlreiche verwandte Formen sich
ableiten ließen. Ob aber diese ideale Grundform jemals existirt
habe oder ob sie bloß durch Abstraction des Verstandes gewonnen
sei, blieb unbestimmt; und bald fand sich auch hier wieder
Gelegenheit, auf die Denkformen der alten Philosophie zurückzu-
greifen. Die platonischen Ideen, obgleich bloße Abstractionen,
also bloße Erzeugnisse des Verstandes, waren ja als objectiv
existirende Dinge nicht blos von der platonischen Schule, sondern
auch von den sogenannten Realisten unter den Scholastikern
betrachtet worden. Die Systematiker nun gewannen durch Ab-
straction den Begriff eines Typus und leicht war es, im plato-
nischen Sinne diesem Gedankending eine objective Existenz zuzu-
schreiben, und den Typus im Sinne einer platonischen Idee
aufzufassen und in strenger Consequenz dieser auf dem Dogma
der Constanz allein möglichen Anschauungsweise konnte Elias
Fries
(corpus florarum 1835) von dem natürlichen System
sagen, est quoddam supranaturale, und behaupten, daß jede
Abtheilung desselben ideam quandam exponit. So lange man
an der Constanz der Arten festhält, wird man diese von Fries
gezogene Folgerung nicht umgehen können; daß damit aber auch

Dogma von der Conſtanz der Arten.
Verwandtſchaften fortſchritt, deſto klarer traten alle die Beziehungen
hervor, welche die Arten, Gattungen und Familien unter einan-
der verknüpfen; mit großer Klarheit entwickelte Pyrame de
Candolle
eine lange Reihe von verwandtſchaftlichen Beziehungen,
welche die vergleichende Morphologie offenbart; aber was ließ
ſich dabei denken, ſo lange das Dogma von der Conſtanz der
Arten jedes objectiv reale Band zwiſchen zwei verwandten Or-
ganismen entzwei ſchnitt? Denken ließ ſich nun eben eigentlich
dabei nicht viel, um aber wenigſtens die erkannten verwandt-
ſchaftlichen Beziehungen beſprechen und beſchreiben zu können,
half man ſich mit Worten von unbeſtimmtem Sinn, denen man
nach Belieben eine metaphoriſche Bedeutung geben konnte. An
die Stelle deſſen, was Linné eine Klaſſenpflanze oder eine
Gattungspflanze genannt hatte, ſetzte man jetzt das Wort Sym-
metrieplan oder Typus, unter welchem man eine ideale Grund-
form verſtand, von welcher zahlreiche verwandte Formen ſich
ableiten ließen. Ob aber dieſe ideale Grundform jemals exiſtirt
habe oder ob ſie bloß durch Abſtraction des Verſtandes gewonnen
ſei, blieb unbeſtimmt; und bald fand ſich auch hier wieder
Gelegenheit, auf die Denkformen der alten Philoſophie zurückzu-
greifen. Die platoniſchen Ideen, obgleich bloße Abſtractionen,
alſo bloße Erzeugniſſe des Verſtandes, waren ja als objectiv
exiſtirende Dinge nicht blos von der platoniſchen Schule, ſondern
auch von den ſogenannten Realiſten unter den Scholaſtikern
betrachtet worden. Die Syſtematiker nun gewannen durch Ab-
ſtraction den Begriff eines Typus und leicht war es, im plato-
niſchen Sinne dieſem Gedankending eine objective Exiſtenz zuzu-
ſchreiben, und den Typus im Sinne einer platoniſchen Idee
aufzufaſſen und in ſtrenger Conſequenz dieſer auf dem Dogma
der Conſtanz allein möglichen Anſchauungsweiſe konnte Elias
Fries
(corpus florarum 1835) von dem natürlichen Syſtem
ſagen, est quoddam supranaturale, und behaupten, daß jede
Abtheilung desſelben ideam quandam exponit. So lange man
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gezogene Folgerung nicht umgehen können; daß damit aber auch

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[119/0131] Dogma von der Conſtanz der Arten. Verwandtſchaften fortſchritt, deſto klarer traten alle die Beziehungen hervor, welche die Arten, Gattungen und Familien unter einan- der verknüpfen; mit großer Klarheit entwickelte Pyrame de Candolle eine lange Reihe von verwandtſchaftlichen Beziehungen, welche die vergleichende Morphologie offenbart; aber was ließ ſich dabei denken, ſo lange das Dogma von der Conſtanz der Arten jedes objectiv reale Band zwiſchen zwei verwandten Or- ganismen entzwei ſchnitt? Denken ließ ſich nun eben eigentlich dabei nicht viel, um aber wenigſtens die erkannten verwandt- ſchaftlichen Beziehungen beſprechen und beſchreiben zu können, half man ſich mit Worten von unbeſtimmtem Sinn, denen man nach Belieben eine metaphoriſche Bedeutung geben konnte. An die Stelle deſſen, was Linné eine Klaſſenpflanze oder eine Gattungspflanze genannt hatte, ſetzte man jetzt das Wort Sym- metrieplan oder Typus, unter welchem man eine ideale Grund- form verſtand, von welcher zahlreiche verwandte Formen ſich ableiten ließen. Ob aber dieſe ideale Grundform jemals exiſtirt habe oder ob ſie bloß durch Abſtraction des Verſtandes gewonnen ſei, blieb unbeſtimmt; und bald fand ſich auch hier wieder Gelegenheit, auf die Denkformen der alten Philoſophie zurückzu- greifen. Die platoniſchen Ideen, obgleich bloße Abſtractionen, alſo bloße Erzeugniſſe des Verſtandes, waren ja als objectiv exiſtirende Dinge nicht blos von der platoniſchen Schule, ſondern auch von den ſogenannten Realiſten unter den Scholaſtikern betrachtet worden. Die Syſtematiker nun gewannen durch Ab- ſtraction den Begriff eines Typus und leicht war es, im plato- niſchen Sinne dieſem Gedankending eine objective Exiſtenz zuzu- ſchreiben, und den Typus im Sinne einer platoniſchen Idee aufzufaſſen und in ſtrenger Conſequenz dieſer auf dem Dogma der Conſtanz allein möglichen Anſchauungsweiſe konnte Elias Fries (corpus florarum 1835) von dem natürlichen Syſtem ſagen, est quoddam supranaturale, und behaupten, daß jede Abtheilung desſelben ideam quandam exponit. So lange man an der Conſtanz der Arten feſthält, wird man dieſe von Fries gezogene Folgerung nicht umgehen können; daß damit aber auch

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/131>, abgerufen am 28.04.2024.