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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
welche er nun im fünften Capitel behandelt, wurde schon oben
Einiges mitgetheilt, um zu zeigen, wie Linne sich bezüglich der
Thatsache der Sexualität selbst ganz wesentlich auf nichtssagende
scholastische Deductionen stützte. Hier mögen noch einige seiner
später berühmt gewordenen Sätze kurz erwähnt werden. -- Am
Anfang der Dinge, heißt es, wurde, wie wir annehmen, von jeder Spe-
cies der Lebewesen ein einziges Paar von Geschlechtern geschaffen.
-- Die Vegetabilien entbehren der Empfindung, daß sie aber
gleich den Thieren leben, beweist ihre Entstehung, das Altern
(aetas), die Bewegung, der Trieb (propulsio), die Krankheit,
der Tod, die Anatomie, die organische Struktur (organismus).
Für diese Worte werden nun einfache Worterklärungen gegeben,
die in der Frage Nichts beweisen. -- Im Verfolg wird die
ganze Sexualitätstheorie, wie weiter oben bereits gezeigt, überall
auf scholastische Beweise sich stützend vorgetragen, dabei zugleich
die Parallele zwischen thierischen und vegetabilischen Sexualver-
hältnissen bis zum Uebermaaß ausgesponnen. Dieses Capitel
der Philosophia botanica ist es offenbar, neben seiner Abhand-
lung "Sponsalia plantarum", welches die Anhänger Linne's,
denen die ältere Literatur unbekannt war und denen die schola-
stische Gewandtheit Linne's gerade hier imponirte, veranlaßte,
in ihm den Begründer der Sexualtheorie der Pflanzen überhaupt
zu feiern, während ein sorgfältigeres Studium der Geschichte
unwiderleglich zeigt, daß Linne auf diese Weise zwar zur Ver-
breitung der Lehre, aber absolut Nichts zur Begründung der-
selben beigetragen hat.

Bei allem bisher Mitgetheilten handelte es sich um die
Natur der Pflanze selbst und Alles, was Linne darüber wußte,
ist vor ihm erforscht und erdacht worden; gerade bei dieser Ge-
legenheit zeigt sich überall das Eigenthümliche der Linne' schen
Scholastik im Gegensatz zu den inductiv gewonnenen Thatsachen,
die er seinen Lesern überliefert. Die starke Seite seiner Natur
macht sich dagegen in den folgenden Capiteln der Philo-
sophia botanica,
welche die Grundlagen der Systematik behan-
deln, in glänzender Weise geltend, hier, wo es sich nicht mehr

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
welche er nun im fünften Capitel behandelt, wurde ſchon oben
Einiges mitgetheilt, um zu zeigen, wie Linné ſich bezüglich der
Thatſache der Sexualität ſelbſt ganz weſentlich auf nichtsſagende
ſcholaſtiſche Deductionen ſtützte. Hier mögen noch einige ſeiner
ſpäter berühmt gewordenen Sätze kurz erwähnt werden. — Am
Anfang der Dinge, heißt es, wurde, wie wir annehmen, von jeder Spe-
cies der Lebeweſen ein einziges Paar von Geſchlechtern geſchaffen.
— Die Vegetabilien entbehren der Empfindung, daß ſie aber
gleich den Thieren leben, beweiſt ihre Entſtehung, das Altern
(aetas), die Bewegung, der Trieb (propulsio), die Krankheit,
der Tod, die Anatomie, die organiſche Struktur (organismus).
Für dieſe Worte werden nun einfache Worterklärungen gegeben,
die in der Frage Nichts beweiſen. — Im Verfolg wird die
ganze Sexualitätstheorie, wie weiter oben bereits gezeigt, überall
auf ſcholaſtiſche Beweiſe ſich ſtützend vorgetragen, dabei zugleich
die Parallele zwiſchen thieriſchen und vegetabiliſchen Sexualver-
hältniſſen bis zum Uebermaaß ausgeſponnen. Dieſes Capitel
der Philosophia botanica iſt es offenbar, neben ſeiner Abhand-
lung „Sponsalia plantarum“, welches die Anhänger Linné's,
denen die ältere Literatur unbekannt war und denen die ſchola-
ſtiſche Gewandtheit Linné's gerade hier imponirte, veranlaßte,
in ihm den Begründer der Sexualtheorie der Pflanzen überhaupt
zu feiern, während ein ſorgfältigeres Studium der Geſchichte
unwiderleglich zeigt, daß Linné auf dieſe Weiſe zwar zur Ver-
breitung der Lehre, aber abſolut Nichts zur Begründung der-
ſelben beigetragen hat.

Bei allem bisher Mitgetheilten handelte es ſich um die
Natur der Pflanze ſelbſt und Alles, was Linné darüber wußte,
iſt vor ihm erforſcht und erdacht worden; gerade bei dieſer Ge-
legenheit zeigt ſich überall das Eigenthümliche der Linné' ſchen
Scholaſtik im Gegenſatz zu den inductiv gewonnenen Thatſachen,
die er ſeinen Leſern überliefert. Die ſtarke Seite ſeiner Natur
macht ſich dagegen in den folgenden Capiteln der Philo-
sophia botanica,
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[105/0117] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. welche er nun im fünften Capitel behandelt, wurde ſchon oben Einiges mitgetheilt, um zu zeigen, wie Linné ſich bezüglich der Thatſache der Sexualität ſelbſt ganz weſentlich auf nichtsſagende ſcholaſtiſche Deductionen ſtützte. Hier mögen noch einige ſeiner ſpäter berühmt gewordenen Sätze kurz erwähnt werden. — Am Anfang der Dinge, heißt es, wurde, wie wir annehmen, von jeder Spe- cies der Lebeweſen ein einziges Paar von Geſchlechtern geſchaffen. — Die Vegetabilien entbehren der Empfindung, daß ſie aber gleich den Thieren leben, beweiſt ihre Entſtehung, das Altern (aetas), die Bewegung, der Trieb (propulsio), die Krankheit, der Tod, die Anatomie, die organiſche Struktur (organismus). Für dieſe Worte werden nun einfache Worterklärungen gegeben, die in der Frage Nichts beweiſen. — Im Verfolg wird die ganze Sexualitätstheorie, wie weiter oben bereits gezeigt, überall auf ſcholaſtiſche Beweiſe ſich ſtützend vorgetragen, dabei zugleich die Parallele zwiſchen thieriſchen und vegetabiliſchen Sexualver- hältniſſen bis zum Uebermaaß ausgeſponnen. Dieſes Capitel der Philosophia botanica iſt es offenbar, neben ſeiner Abhand- lung „Sponsalia plantarum“, welches die Anhänger Linné's, denen die ältere Literatur unbekannt war und denen die ſchola- ſtiſche Gewandtheit Linné's gerade hier imponirte, veranlaßte, in ihm den Begründer der Sexualtheorie der Pflanzen überhaupt zu feiern, während ein ſorgfältigeres Studium der Geſchichte unwiderleglich zeigt, daß Linné auf dieſe Weiſe zwar zur Ver- breitung der Lehre, aber abſolut Nichts zur Begründung der- ſelben beigetragen hat. Bei allem bisher Mitgetheilten handelte es ſich um die Natur der Pflanze ſelbſt und Alles, was Linné darüber wußte, iſt vor ihm erforſcht und erdacht worden; gerade bei dieſer Ge- legenheit zeigt ſich überall das Eigenthümliche der Linné' ſchen Scholaſtik im Gegenſatz zu den inductiv gewonnenen Thatſachen, die er ſeinen Leſern überliefert. Die ſtarke Seite ſeiner Natur macht ſich dagegen in den folgenden Capiteln der Philo- sophia botanica, welche die Grundlagen der Syſtematik behan- deln, in glänzender Weiſe geltend, hier, wo es ſich nicht mehr

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/117>, abgerufen am 27.04.2024.