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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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streitendsten Gefühle, mochte dagesessen haben, als es an die
Thüre klopfte. Erschreckt fuhr ich empor, warf ein Tuch über
den Strauß und öffnete.

Es war der Kirchendiener in Begleitung eines Mannes,
der einige Papiere in der Hand hatte. "Der Sakristan von
Sankt Carl wünscht Euer Hochwürden im Auftrage seines
Herrn Pfarrers zu sprechen", sagte der Kirchendiener. "Wir
haben morgen eine Leiche."

"Eine Leiche?" fragte ich mechanisch.

"Eine vornehme Leiche", bekräftigte der Kirchendiener mit
einem gewissen Behagen. "Die Tochter des reichen Gro߬
händlers Friedheim. Ich habe sie gut gekannt; denn sie kam
fast jeden Sonntag in unsere Kirche herauf. Ein schönes
schlankes Fräulein mit blonden Haaren. Sie müssen sie ja
auch schon gesehen haben. Sie saß immer im ersten Betstuhle
rechts, wo ich jedesmal für sie und die alte Dame, die sie be¬
gleitete, Plätze aufhob."

"Ich entsinne mich nicht", sagte ich, ohne daß ich dabei
nur an etwas gedacht hätte, und wandte mich an den Sa¬
kristan mit der Frage, warum die Todte nicht bei Sankt
Carl, wohin sie doch eigentlich zu gehören scheine, begraben
würde.

"Damit hat es ein eigenes Bewenden", antwortete der
Mann. "Die ganze Stadt ist voll davon. Das Fräulein
war mit einem jungen Rechtsgelehrten verlobt und die Trauung

ſtreitendſten Gefühle, mochte dageſeſſen haben, als es an die
Thüre klopfte. Erſchreckt fuhr ich empor, warf ein Tuch über
den Strauß und öffnete.

Es war der Kirchendiener in Begleitung eines Mannes,
der einige Papiere in der Hand hatte. „Der Sakriſtan von
Sankt Carl wünſcht Euer Hochwürden im Auftrage ſeines
Herrn Pfarrers zu ſprechen“, ſagte der Kirchendiener. „Wir
haben morgen eine Leiche.“

„Eine Leiche?“ fragte ich mechaniſch.

„Eine vornehme Leiche“, bekräftigte der Kirchendiener mit
einem gewiſſen Behagen. „Die Tochter des reichen Gro߬
händlers Friedheim. Ich habe ſie gut gekannt; denn ſie kam
faſt jeden Sonntag in unſere Kirche herauf. Ein ſchönes
ſchlankes Fräulein mit blonden Haaren. Sie müſſen ſie ja
auch ſchon geſehen haben. Sie ſaß immer im erſten Betſtuhle
rechts, wo ich jedesmal für ſie und die alte Dame, die ſie be¬
gleitete, Plätze aufhob.“

„Ich entſinne mich nicht“, ſagte ich, ohne daß ich dabei
nur an etwas gedacht hätte, und wandte mich an den Sa¬
kriſtan mit der Frage, warum die Todte nicht bei Sankt
Carl, wohin ſie doch eigentlich zu gehören ſcheine, begraben
würde.

„Damit hat es ein eigenes Bewenden“, antwortete der
Mann. „Die ganze Stadt iſt voll davon. Das Fräulein
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[60/0076] ſtreitendſten Gefühle, mochte dageſeſſen haben, als es an die Thüre klopfte. Erſchreckt fuhr ich empor, warf ein Tuch über den Strauß und öffnete. Es war der Kirchendiener in Begleitung eines Mannes, der einige Papiere in der Hand hatte. „Der Sakriſtan von Sankt Carl wünſcht Euer Hochwürden im Auftrage ſeines Herrn Pfarrers zu ſprechen“, ſagte der Kirchendiener. „Wir haben morgen eine Leiche.“ „Eine Leiche?“ fragte ich mechaniſch. „Eine vornehme Leiche“, bekräftigte der Kirchendiener mit einem gewiſſen Behagen. „Die Tochter des reichen Gro߬ händlers Friedheim. Ich habe ſie gut gekannt; denn ſie kam faſt jeden Sonntag in unſere Kirche herauf. Ein ſchönes ſchlankes Fräulein mit blonden Haaren. Sie müſſen ſie ja auch ſchon geſehen haben. Sie ſaß immer im erſten Betſtuhle rechts, wo ich jedesmal für ſie und die alte Dame, die ſie be¬ gleitete, Plätze aufhob.“ „Ich entſinne mich nicht“, ſagte ich, ohne daß ich dabei nur an etwas gedacht hätte, und wandte mich an den Sa¬ kriſtan mit der Frage, warum die Todte nicht bei Sankt Carl, wohin ſie doch eigentlich zu gehören ſcheine, begraben würde. „Damit hat es ein eigenes Bewenden“, antwortete der Mann. „Die ganze Stadt iſt voll davon. Das Fräulein war mit einem jungen Rechtsgelehrten verlobt und die Trauung

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/76>, abgerufen am 24.11.2024.