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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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den blonden Haaren Ludmilla's nach, und wie geisterhaft
fühlte ich mich von Sirenenklängen jenes Liedes umweht. Selbst
an der Orgel, deren Töne mich sonst über alles Irdische hin¬
ausgehoben, fand ich keine Beruhigung, keinen Trost. Ihr
feierlich-ernstes, gleichmäßiges Rauschen stimmte nicht zu dem
Zwiespalte meiner Brust, der, das fühlte ich, nur auf einer
Geige in wildklagenden Accorden, grellen Läufen und schnei¬
denden Cadenzen hätte ausklingen können. Ein Opfer dieses
Zwiespaltes, nannte ich mich selbst einen pflichtvergessenen
Priester, der mit unwürdiger Hand den Kelch erhebe, und
dessen befleckte Lippe das Wort Gottes entheilige. Und dann
nahm ich mir vor, nie mehr die Schwelle des Zeugwartes
zu betreten, was ich doch schon der Kranken halber von Zeit zu
Zeit thun mußte, hätte mich auch nicht die Sehnsucht, Ludmilla zu
sehen, hingetrieben. Gleich darauf aber beklagte ich mich wieder
als einen unglückseligen Menschen, der inmitten der holden
Freuden und Genüsse dieser Welt an einen düsteren Fels¬
block geschmiedet sei, und weinte heiße Thränen darüber, daß
ich das unauflösbare Gelübde abgelegt. -- Fast eine Woche
lang war es mir gelungen, die drängende Sehnsucht zurückzu¬
dämmen; länger aber ertrug ich's nicht. Ich umkreiste, wie
damals der Falter die Lampe, immer enger das kleine Haus
und trat endlich hinein.

Ich fand die Kranke schon im Gärtchen. Man hatte ihr
den alten Lehnstuhl unter einen breitästigen Apfelbaum getra¬

den blonden Haaren Ludmilla's nach, und wie geiſterhaft
fühlte ich mich von Sirenenklängen jenes Liedes umweht. Selbſt
an der Orgel, deren Töne mich ſonſt über alles Irdiſche hin¬
ausgehoben, fand ich keine Beruhigung, keinen Troſt. Ihr
feierlich-ernſtes, gleichmäßiges Rauſchen ſtimmte nicht zu dem
Zwieſpalte meiner Bruſt, der, das fühlte ich, nur auf einer
Geige in wildklagenden Accorden, grellen Läufen und ſchnei¬
denden Cadenzen hätte ausklingen können. Ein Opfer dieſes
Zwieſpaltes, nannte ich mich ſelbſt einen pflichtvergeſſenen
Prieſter, der mit unwürdiger Hand den Kelch erhebe, und
deſſen befleckte Lippe das Wort Gottes entheilige. Und dann
nahm ich mir vor, nie mehr die Schwelle des Zeugwartes
zu betreten, was ich doch ſchon der Kranken halber von Zeit zu
Zeit thun mußte, hätte mich auch nicht die Sehnſucht, Ludmilla zu
ſehen, hingetrieben. Gleich darauf aber beklagte ich mich wieder
als einen unglückſeligen Menſchen, der inmitten der holden
Freuden und Genüſſe dieſer Welt an einen düſteren Fels¬
block geſchmiedet ſei, und weinte heiße Thränen darüber, daß
ich das unauflösbare Gelübde abgelegt. — Faſt eine Woche
lang war es mir gelungen, die drängende Sehnſucht zurückzu¬
dämmen; länger aber ertrug ich's nicht. Ich umkreiſte, wie
damals der Falter die Lampe, immer enger das kleine Haus
und trat endlich hinein.

Ich fand die Kranke ſchon im Gärtchen. Man hatte ihr
den alten Lehnſtuhl unter einen breitäſtigen Apfelbaum getra¬

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[54/0070] den blonden Haaren Ludmilla's nach, und wie geiſterhaft fühlte ich mich von Sirenenklängen jenes Liedes umweht. Selbſt an der Orgel, deren Töne mich ſonſt über alles Irdiſche hin¬ ausgehoben, fand ich keine Beruhigung, keinen Troſt. Ihr feierlich-ernſtes, gleichmäßiges Rauſchen ſtimmte nicht zu dem Zwieſpalte meiner Bruſt, der, das fühlte ich, nur auf einer Geige in wildklagenden Accorden, grellen Läufen und ſchnei¬ denden Cadenzen hätte ausklingen können. Ein Opfer dieſes Zwieſpaltes, nannte ich mich ſelbſt einen pflichtvergeſſenen Prieſter, der mit unwürdiger Hand den Kelch erhebe, und deſſen befleckte Lippe das Wort Gottes entheilige. Und dann nahm ich mir vor, nie mehr die Schwelle des Zeugwartes zu betreten, was ich doch ſchon der Kranken halber von Zeit zu Zeit thun mußte, hätte mich auch nicht die Sehnſucht, Ludmilla zu ſehen, hingetrieben. Gleich darauf aber beklagte ich mich wieder als einen unglückſeligen Menſchen, der inmitten der holden Freuden und Genüſſe dieſer Welt an einen düſteren Fels¬ block geſchmiedet ſei, und weinte heiße Thränen darüber, daß ich das unauflösbare Gelübde abgelegt. — Faſt eine Woche lang war es mir gelungen, die drängende Sehnſucht zurückzu¬ dämmen; länger aber ertrug ich's nicht. Ich umkreiſte, wie damals der Falter die Lampe, immer enger das kleine Haus und trat endlich hinein. Ich fand die Kranke ſchon im Gärtchen. Man hatte ihr den alten Lehnſtuhl unter einen breitäſtigen Apfelbaum getra¬

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/70>, abgerufen am 24.11.2024.