Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergnügen muß es für mich sein, Jemandem, der sich, wie
ich schon unlängst zu bemerken Gelegenheit hatte, in dieser
Einsamkeit wohl fühlt, mein gewöhnliches Leseplätzchen über¬
lassen zu können."

"Von welchem ich Sie schon damals, freilich ohne es zu
wollen, vertrieben habe," sagte ich, im Innersten erfreut, daß
er sich meiner erinnerte.

"Oder ich Sie," entgegnete er lächelnd. "Sie sind ja
gleich nach mir weggegangen."

"Um Ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mißgriff ein¬
gesehen."

"Ich weiß es; und Sie haben mir Ihres Zartgefühles
wegen herzlich leid gethan. Aber ich denke, wir sollten uns
nicht länger mit der Erörterung mühen, wer von uns Beiden
eigentlich den Andern aus dieser Laube vertrieben, sondern
uns vielmehr einträchtig in der unschuldigen Urheberin unseres
kleinen freundschaftlichen Streites niederlassen, die wohl Raum
genug dazu bietet. Zwei Lesende," setzte er mit einem Blicke
auf das Buch unter meinem Arme hinzu, "vertragen sich ja
leicht und stören einander nicht." Mit einer Handbewegung,
die mich zu folgen einlud, lagerte er sich wieder in den Schat¬
ten und nahm sein Buch vor. Ich that ein Gleiches; aber
mein Blick schweifte beständig über die Seiten nach meinem
Nachbar hinüber, in dessen Gesichtsbildung etwas wunderbar
Anziehendes lag. Die Stirn war gerade nicht hoch zu nennen,

Saar, Novellen aus Oesterreich. 2

Vergnügen muß es für mich ſein, Jemandem, der ſich, wie
ich ſchon unlängſt zu bemerken Gelegenheit hatte, in dieſer
Einſamkeit wohl fühlt, mein gewöhnliches Leſeplätzchen über¬
laſſen zu können.“

„Von welchem ich Sie ſchon damals, freilich ohne es zu
wollen, vertrieben habe,“ ſagte ich, im Innerſten erfreut, daß
er ſich meiner erinnerte.

„Oder ich Sie,“ entgegnete er lächelnd. „Sie ſind ja
gleich nach mir weggegangen.“

„Um Ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mißgriff ein¬
geſehen.“

„Ich weiß es; und Sie haben mir Ihres Zartgefühles
wegen herzlich leid gethan. Aber ich denke, wir ſollten uns
nicht länger mit der Erörterung mühen, wer von uns Beiden
eigentlich den Andern aus dieſer Laube vertrieben, ſondern
uns vielmehr einträchtig in der unſchuldigen Urheberin unſeres
kleinen freundſchaftlichen Streites niederlaſſen, die wohl Raum
genug dazu bietet. Zwei Leſende,“ ſetzte er mit einem Blicke
auf das Buch unter meinem Arme hinzu, „vertragen ſich ja
leicht und ſtören einander nicht.“ Mit einer Handbewegung,
die mich zu folgen einlud, lagerte er ſich wieder in den Schat¬
ten und nahm ſein Buch vor. Ich that ein Gleiches; aber
mein Blick ſchweifte beſtändig über die Seiten nach meinem
Nachbar hinüber, in deſſen Geſichtsbildung etwas wunderbar
Anziehendes lag. Die Stirn war gerade nicht hoch zu nennen,

Saar, Novellen aus Oeſterreich. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0033" n="17"/>
Vergnügen muß es für mich &#x017F;ein, Jemandem, der &#x017F;ich, wie<lb/>
ich &#x017F;chon unläng&#x017F;t zu bemerken Gelegenheit hatte, in die&#x017F;er<lb/>
Ein&#x017F;amkeit wohl fühlt, mein gewöhnliches Le&#x017F;eplätzchen über¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en zu können.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Von welchem ich Sie &#x017F;chon damals, freilich ohne es zu<lb/>
wollen, vertrieben habe,&#x201C; &#x017F;agte ich, im Inner&#x017F;ten erfreut, daß<lb/>
er &#x017F;ich meiner erinnerte.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Oder ich Sie,&#x201C; entgegnete er lächelnd. &#x201E;Sie &#x017F;ind ja<lb/>
gleich nach mir weggegangen.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Um Ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mißgriff ein¬<lb/>
ge&#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Ich weiß es; und Sie haben mir Ihres Zartgefühles<lb/>
wegen herzlich leid gethan. Aber ich denke, wir &#x017F;ollten uns<lb/>
nicht länger mit der Erörterung mühen, wer von uns Beiden<lb/>
eigentlich den Andern aus die&#x017F;er Laube vertrieben, &#x017F;ondern<lb/>
uns vielmehr einträchtig in der un&#x017F;chuldigen Urheberin un&#x017F;eres<lb/>
kleinen freund&#x017F;chaftlichen Streites niederla&#x017F;&#x017F;en, die wohl Raum<lb/>
genug dazu bietet. Zwei Le&#x017F;ende,&#x201C; &#x017F;etzte er mit einem Blicke<lb/>
auf das Buch unter meinem Arme hinzu, &#x201E;vertragen &#x017F;ich ja<lb/>
leicht und &#x017F;tören einander nicht.&#x201C; Mit einer Handbewegung,<lb/>
die mich zu folgen einlud, lagerte er &#x017F;ich wieder in den Schat¬<lb/>
ten und nahm &#x017F;ein Buch vor. Ich that ein Gleiches; aber<lb/>
mein Blick &#x017F;chweifte be&#x017F;tändig über die Seiten nach meinem<lb/>
Nachbar hinüber, in de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;ichtsbildung etwas wunderbar<lb/>
Anziehendes lag. Die Stirn war gerade nicht hoch zu nennen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Saar</hi>, Novellen aus Oe&#x017F;terreich. 2<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0033] Vergnügen muß es für mich ſein, Jemandem, der ſich, wie ich ſchon unlängſt zu bemerken Gelegenheit hatte, in dieſer Einſamkeit wohl fühlt, mein gewöhnliches Leſeplätzchen über¬ laſſen zu können.“ „Von welchem ich Sie ſchon damals, freilich ohne es zu wollen, vertrieben habe,“ ſagte ich, im Innerſten erfreut, daß er ſich meiner erinnerte. „Oder ich Sie,“ entgegnete er lächelnd. „Sie ſind ja gleich nach mir weggegangen.“ „Um Ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mißgriff ein¬ geſehen.“ „Ich weiß es; und Sie haben mir Ihres Zartgefühles wegen herzlich leid gethan. Aber ich denke, wir ſollten uns nicht länger mit der Erörterung mühen, wer von uns Beiden eigentlich den Andern aus dieſer Laube vertrieben, ſondern uns vielmehr einträchtig in der unſchuldigen Urheberin unſeres kleinen freundſchaftlichen Streites niederlaſſen, die wohl Raum genug dazu bietet. Zwei Leſende,“ ſetzte er mit einem Blicke auf das Buch unter meinem Arme hinzu, „vertragen ſich ja leicht und ſtören einander nicht.“ Mit einer Handbewegung, die mich zu folgen einlud, lagerte er ſich wieder in den Schat¬ ten und nahm ſein Buch vor. Ich that ein Gleiches; aber mein Blick ſchweifte beſtändig über die Seiten nach meinem Nachbar hinüber, in deſſen Geſichtsbildung etwas wunderbar Anziehendes lag. Die Stirn war gerade nicht hoch zu nennen, Saar, Novellen aus Oeſterreich. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/33
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/33>, abgerufen am 24.11.2024.