am Horizont zuckte von Zeit zu Zeit ein fahles Wetter¬ leuchten.
Schweigend, in nächtlicher Ruhe lag endlich das Schloß vor mir; nur einige wenige Fenster waren noch erleuchtet. Ich fand das kleine Thor unverschlossen und begab mich in mein Zimmer. Da der Abmarsch um drei Uhr Morgens stattfinden sollte, so warf ich mich halb entkleidet auf das Sopha, wo ich mich einem leichten Schlummer überließ. Plötz¬ lich erwachte ich; es war wie taghell im Zimmer. Erschreckt richtete ich mich empor; ich glaubte schon weit in den Morgen hinein geschlafen zu haben. Aber es war nur der Mond, der sich inzwischen am Himmel erhoben hatte und mit seinem mil¬ den Lichte das Gemach durchfluthete. Ich blickte nach der Uhr; sie wies eine Stunde nach Mitternacht. Was sollte ich nun beginnen? An Schlaf und Ruhe war nicht mehr zu den¬ ken; ich beschloß daher, die Zeit bis zum Aufbruche im Parke zu verbringen, dessen mondbeglänzte Wipfel mich wundersam anlockten. Rasch kleidete ich mich völlig an, warf einen leichten Mantel über -- und bald knisterte der feine Kies der Wege unter meinen Tritten. In hellem Thau schimmerte der Rasen, geisterhaft leuchteten die Blumen auf, und eh' ich es dachte, war ich bei dem Teiche angelangt, der mir glitzernd und flimmernd entgegensah. Mit weitgeöffneten Kelchen lagen die Wasser¬ lilien im feuchten Glanze, kaum unterscheidbar von dem Ge¬ fieder der Schwäne, die auf einer kleinen Insel schliefen und
am Horizont zuckte von Zeit zu Zeit ein fahles Wetter¬ leuchten.
Schweigend, in nächtlicher Ruhe lag endlich das Schloß vor mir; nur einige wenige Fenſter waren noch erleuchtet. Ich fand das kleine Thor unverſchloſſen und begab mich in mein Zimmer. Da der Abmarſch um drei Uhr Morgens ſtattfinden ſollte, ſo warf ich mich halb entkleidet auf das Sopha, wo ich mich einem leichten Schlummer überließ. Plötz¬ lich erwachte ich; es war wie taghell im Zimmer. Erſchreckt richtete ich mich empor; ich glaubte ſchon weit in den Morgen hinein geſchlafen zu haben. Aber es war nur der Mond, der ſich inzwiſchen am Himmel erhoben hatte und mit ſeinem mil¬ den Lichte das Gemach durchfluthete. Ich blickte nach der Uhr; ſie wies eine Stunde nach Mitternacht. Was ſollte ich nun beginnen? An Schlaf und Ruhe war nicht mehr zu den¬ ken; ich beſchloß daher, die Zeit bis zum Aufbruche im Parke zu verbringen, deſſen mondbeglänzte Wipfel mich wunderſam anlockten. Raſch kleidete ich mich völlig an, warf einen leichten Mantel über — und bald kniſterte der feine Kies der Wege unter meinen Tritten. In hellem Thau ſchimmerte der Raſen, geiſterhaft leuchteten die Blumen auf, und eh' ich es dachte, war ich bei dem Teiche angelangt, der mir glitzernd und flimmernd entgegenſah. Mit weitgeöffneten Kelchen lagen die Waſſer¬ lilien im feuchten Glanze, kaum unterſcheidbar von dem Ge¬ fieder der Schwäne, die auf einer kleinen Inſel ſchliefen und
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am Horizont zuckte von Zeit zu Zeit ein fahles Wetter¬
leuchten.
Schweigend, in nächtlicher Ruhe lag endlich das Schloß
vor mir; nur einige wenige Fenſter waren noch erleuchtet.
Ich fand das kleine Thor unverſchloſſen und begab mich in
mein Zimmer. Da der Abmarſch um drei Uhr Morgens
ſtattfinden ſollte, ſo warf ich mich halb entkleidet auf das
Sopha, wo ich mich einem leichten Schlummer überließ. Plötz¬
lich erwachte ich; es war wie taghell im Zimmer. Erſchreckt
richtete ich mich empor; ich glaubte ſchon weit in den Morgen
hinein geſchlafen zu haben. Aber es war nur der Mond, der
ſich inzwiſchen am Himmel erhoben hatte und mit ſeinem mil¬
den Lichte das Gemach durchfluthete. Ich blickte nach der
Uhr; ſie wies eine Stunde nach Mitternacht. Was ſollte ich
nun beginnen? An Schlaf und Ruhe war nicht mehr zu den¬
ken; ich beſchloß daher, die Zeit bis zum Aufbruche im Parke
zu verbringen, deſſen mondbeglänzte Wipfel mich wunderſam
anlockten. Raſch kleidete ich mich völlig an, warf einen leichten
Mantel über — und bald kniſterte der feine Kies der Wege
unter meinen Tritten. In hellem Thau ſchimmerte der Raſen,
geiſterhaft leuchteten die Blumen auf, und eh' ich es dachte, war
ich bei dem Teiche angelangt, der mir glitzernd und flimmernd
entgegenſah. Mit weitgeöffneten Kelchen lagen die Waſſer¬
lilien im feuchten Glanze, kaum unterſcheidbar von dem Ge¬
fieder der Schwäne, die auf einer kleinen Inſel ſchliefen und
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/282>, abgerufen am 23.11.2024.
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