verzitterten mit leisem Wiederhall in der lautlosen Luft des Nachmittags. Das Lied war zu Ende; noch einige Accorde auf dem Clavier, dann wie ein nachzuckendes Gefühl die Wiederholung des Schlusses -- und es herrschte wieder die frühere Ruhe. Seltsam ergriffen lag ich da und lauschte noch immer. Endlich sah ich nach der Uhr; die Stunde war fast abgelaufen. Ich sprang auf, und als ich einen Blick durch das Fenster that, gewahrte ich, wie unten eine hochgewachsene schlanke Mädchengestalt langsam um den kleinen Rosenwald herum schritt. Sie trug ein weißes Kleid, dem ein dunkles Band als Gürtel diente; ihre Gesichtszüge konnte ich nicht erspähen; aber ihr blondes Haar schimmerte mir wie helles Gold entgegen. Jetzt blieb sie vor einem Bäumchen mit weißen Rosen stehen, und nachdem sie eine davon gepflückt hatte, schlug sie langsam, das Haupt zur Blume in ihrer Hand niederneigend, einen Seitenpfad ein, der sie bald meinen Blicken entzog. Während sie verschwand, war es mir, als hätte sie die Rose an die Lippen gedrückt. --
Mittlerweile hatte sich mein Diener eingefunden und da bereits die vierte Stunde heranrückte, so galt es, mit raschem Entschlusse den Dingen entgegen zu gehen, die da kommen sollten. Ich kleidete mich um und ließ anfragen, ob mich Seine Excellenz empfangen wolle. Eine bejahende Antwort erfolgte bald, und so begab ich mich, von einem Diener des Hauses geführt, in das obere Stockwerk und über einen langen,
verzitterten mit leiſem Wiederhall in der lautloſen Luft des Nachmittags. Das Lied war zu Ende; noch einige Accorde auf dem Clavier, dann wie ein nachzuckendes Gefühl die Wiederholung des Schluſſes — und es herrſchte wieder die frühere Ruhe. Seltſam ergriffen lag ich da und lauſchte noch immer. Endlich ſah ich nach der Uhr; die Stunde war faſt abgelaufen. Ich ſprang auf, und als ich einen Blick durch das Fenſter that, gewahrte ich, wie unten eine hochgewachſene ſchlanke Mädchengeſtalt langſam um den kleinen Roſenwald herum ſchritt. Sie trug ein weißes Kleid, dem ein dunkles Band als Gürtel diente; ihre Geſichtszüge konnte ich nicht erſpähen; aber ihr blondes Haar ſchimmerte mir wie helles Gold entgegen. Jetzt blieb ſie vor einem Bäumchen mit weißen Roſen ſtehen, und nachdem ſie eine davon gepflückt hatte, ſchlug ſie langſam, das Haupt zur Blume in ihrer Hand niederneigend, einen Seitenpfad ein, der ſie bald meinen Blicken entzog. Während ſie verſchwand, war es mir, als hätte ſie die Roſe an die Lippen gedrückt. —
Mittlerweile hatte ſich mein Diener eingefunden und da bereits die vierte Stunde heranrückte, ſo galt es, mit raſchem Entſchluſſe den Dingen entgegen zu gehen, die da kommen ſollten. Ich kleidete mich um und ließ anfragen, ob mich Seine Excellenz empfangen wolle. Eine bejahende Antwort erfolgte bald, und ſo begab ich mich, von einem Diener des Hauſes geführt, in das obere Stockwerk und über einen langen,
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verzitterten mit leiſem Wiederhall in der lautloſen Luft des
Nachmittags. Das Lied war zu Ende; noch einige Accorde
auf dem Clavier, dann wie ein nachzuckendes Gefühl die
Wiederholung des Schluſſes — und es herrſchte wieder die
frühere Ruhe. Seltſam ergriffen lag ich da und lauſchte noch
immer. Endlich ſah ich nach der Uhr; die Stunde war faſt
abgelaufen. Ich ſprang auf, und als ich einen Blick durch
das Fenſter that, gewahrte ich, wie unten eine hochgewachſene
ſchlanke Mädchengeſtalt langſam um den kleinen Roſenwald
herum ſchritt. Sie trug ein weißes Kleid, dem ein dunkles
Band als Gürtel diente; ihre Geſichtszüge konnte ich nicht
erſpähen; aber ihr blondes Haar ſchimmerte mir wie helles
Gold entgegen. Jetzt blieb ſie vor einem Bäumchen mit
weißen Roſen ſtehen, und nachdem ſie eine davon gepflückt
hatte, ſchlug ſie langſam, das Haupt zur Blume in ihrer
Hand niederneigend, einen Seitenpfad ein, der ſie bald meinen
Blicken entzog. Während ſie verſchwand, war es mir, als
hätte ſie die Roſe an die Lippen gedrückt. —
Mittlerweile hatte ſich mein Diener eingefunden und da
bereits die vierte Stunde heranrückte, ſo galt es, mit raſchem
Entſchluſſe den Dingen entgegen zu gehen, die da kommen
ſollten. Ich kleidete mich um und ließ anfragen, ob mich
Seine Excellenz empfangen wolle. Eine bejahende Antwort
erfolgte bald, und ſo begab ich mich, von einem Diener des
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/269>, abgerufen am 23.11.2024.
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