vorüber, brach sich ein Zweiglein vom Flieder und verließ, still wie er gekommen, die Bastei.
Mich aber überkam jetzt eine eigenthümliche Unruhe. Es war mir, als hätte ich den Priester durch meine Anwesenheit von hier vertrieben. Er pflegte gewiß täglich um diese Zeit einige Stunden lesend in der Fliederlaube zuzubringen; de߬ halb war er auch so unbekümmert und in sich versunken dar¬ auf zugegangen. Und nun nahm ich den traulichen Platz ein, der ihm schon aus Gewohnheit lieb sein mußte. Mit einem Male erschien mir auch alles Bequeme daran, das ich früher für ein Zusammentreffen günstiger Umstände gehalten hatte, als ein Werk anordnender Absichtlichkeit. Die Laube, das sah man, war durch Beschneiden der Zweige hergestellt, und der Rasensitz wäre ohne Nachhilfe eines Spatens gewiß nicht zu Stande gekommen. Rasch sprang ich auf. Der Pater konnte noch nicht weit sein; ich wollte ihn einholen, auf daß er sähe, er könne ungestört wieder nach der Bastei zurückkehren. Bald gewahrte ich ihn auch in einiger Entfernung von mir auf dem Pfade hinschreiten. Ich fürchtete, er würde, eh' er mich noch bemerken konnte, sein Haus erreichen, und verdoppelte meine Schritte. Da kam von drüben das kleine Mädchen mit freu¬ digen Geberden auf ihn zugelaufen. Er ging dem Kinde ent¬ gegen, beugte sich zu ihm nieder und küßte es auf die Stirn. Hierauf ließ er sich von der Kleinen zur Mutter führen, die ihm von der Schwelle aus entgegen kam. Ihr folgte ein
vorüber, brach ſich ein Zweiglein vom Flieder und verließ, ſtill wie er gekommen, die Baſtei.
Mich aber überkam jetzt eine eigenthümliche Unruhe. Es war mir, als hätte ich den Prieſter durch meine Anweſenheit von hier vertrieben. Er pflegte gewiß täglich um dieſe Zeit einige Stunden leſend in der Fliederlaube zuzubringen; de߬ halb war er auch ſo unbekümmert und in ſich verſunken dar¬ auf zugegangen. Und nun nahm ich den traulichen Platz ein, der ihm ſchon aus Gewohnheit lieb ſein mußte. Mit einem Male erſchien mir auch alles Bequeme daran, das ich früher für ein Zuſammentreffen günſtiger Umſtände gehalten hatte, als ein Werk anordnender Abſichtlichkeit. Die Laube, das ſah man, war durch Beſchneiden der Zweige hergeſtellt, und der Raſenſitz wäre ohne Nachhilfe eines Spatens gewiß nicht zu Stande gekommen. Raſch ſprang ich auf. Der Pater konnte noch nicht weit ſein; ich wollte ihn einholen, auf daß er ſähe, er könne ungeſtört wieder nach der Baſtei zurückkehren. Bald gewahrte ich ihn auch in einiger Entfernung von mir auf dem Pfade hinſchreiten. Ich fürchtete, er würde, eh' er mich noch bemerken konnte, ſein Haus erreichen, und verdoppelte meine Schritte. Da kam von drüben das kleine Mädchen mit freu¬ digen Geberden auf ihn zugelaufen. Er ging dem Kinde ent¬ gegen, beugte ſich zu ihm nieder und küßte es auf die Stirn. Hierauf ließ er ſich von der Kleinen zur Mutter führen, die ihm von der Schwelle aus entgegen kam. Ihr folgte ein
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vorüber, brach ſich ein Zweiglein vom Flieder und verließ,
ſtill wie er gekommen, die Baſtei.
Mich aber überkam jetzt eine eigenthümliche Unruhe. Es
war mir, als hätte ich den Prieſter durch meine Anweſenheit
von hier vertrieben. Er pflegte gewiß täglich um dieſe Zeit
einige Stunden leſend in der Fliederlaube zuzubringen; de߬
halb war er auch ſo unbekümmert und in ſich verſunken dar¬
auf zugegangen. Und nun nahm ich den traulichen Platz ein,
der ihm ſchon aus Gewohnheit lieb ſein mußte. Mit einem
Male erſchien mir auch alles Bequeme daran, das ich früher
für ein Zuſammentreffen günſtiger Umſtände gehalten hatte,
als ein Werk anordnender Abſichtlichkeit. Die Laube, das ſah
man, war durch Beſchneiden der Zweige hergeſtellt, und der
Raſenſitz wäre ohne Nachhilfe eines Spatens gewiß nicht zu
Stande gekommen. Raſch ſprang ich auf. Der Pater konnte
noch nicht weit ſein; ich wollte ihn einholen, auf daß er ſähe,
er könne ungeſtört wieder nach der Baſtei zurückkehren. Bald
gewahrte ich ihn auch in einiger Entfernung von mir auf dem
Pfade hinſchreiten. Ich fürchtete, er würde, eh' er mich noch
bemerken konnte, ſein Haus erreichen, und verdoppelte meine
Schritte. Da kam von drüben das kleine Mädchen mit freu¬
digen Geberden auf ihn zugelaufen. Er ging dem Kinde ent¬
gegen, beugte ſich zu ihm nieder und küßte es auf die Stirn.
Hierauf ließ er ſich von der Kleinen zur Mutter führen, die
ihm von der Schwelle aus entgegen kam. Ihr folgte ein
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/26>, abgerufen am 24.11.2024.
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