Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.und unbeachtet dahingeht, bis es zuletzt in irgend einem dum¬ Die Bahn über den Semmering war hergestellt. Der Saar, Novellen aus Oesterreich. 9
und unbeachtet dahingeht, bis es zuletzt in irgend einem dum¬ Die Bahn über den Semmering war hergeſtellt. Der Saar, Novellen aus Oeſterreich. 9
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0145" n="129"/> und unbeachtet dahingeht, bis es zuletzt in irgend einem dum¬<lb/> pfen Winkel der Erde ſpurlos endet; — nur um zu zeigen,<lb/> wie Leid und Luſt jedes Menſchenherz bewegen und daß ſich<lb/> überall im Kleinen abſpielt die große Tragödie der Welt. —</p><lb/> <p>Die Bahn über den Semmering war hergeſtellt. Der<lb/> cyklopiſche Lärm der Arbeit, das Donnern der Sprengſchüſſe<lb/> war verhallt, und das zahl- und raſtloſe Menſchengewirr, das<lb/> ſich aus dem entlegenen Böhmen, den mähriſch-ungariſchen<lb/> Niederungen, aus dem ſteinigen Karſt und dem geſegneten<lb/> Friaul hier zuſammen gefunden hatte, war weiter ſüdwärts<lb/> gezogen, um dort ſein mühevolles Tagwerk fortzuſetzen. Das<lb/> tief in die Wälder hinein verſcheuchte Wild kehrte allmälig<lb/> wieder zurück und wagte ſich, wie neugierig, auf den rieſigen<lb/> Höhenpfad, der, noch unbefahren, gleich einer vergeſſenen Spur<lb/> menſchlicher Thatkraft in dem ſtillen Frieden des Hochgebirges<lb/> lag. Nur hier und dort, etwa zwei Wegſtunden von einander<lb/> entfernt, ſtand noch eine jener geräumigen Bretterhütten, welche<lb/> die Nomaden der Arbeit in Schaaren bewohnt und bei ihrem<lb/> Aufbruche wieder niedergeriſſen hatten. Sie beherbergten eine<lb/> Anzahl von Zurückgebliebenen und ſpäteren Nachzüglern, welche<lb/> beſtimmt waren, den Oberbau gänzlich zu vollenden. Denn<lb/> noch galt es, an mancher Stelle Schienen zu legen, Geleiſe<lb/> zu beſchottern, Telegraphenſtangen aufzurichten und Wächter¬<lb/> häuschen auszumauern, an deren Geſimſe die zierlichen<lb/> Schwalben, welche ſich tagüber oft in langen Reihen auf<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Saar</hi>, Novellen aus Oeſterreich. 9<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [129/0145]
und unbeachtet dahingeht, bis es zuletzt in irgend einem dum¬
pfen Winkel der Erde ſpurlos endet; — nur um zu zeigen,
wie Leid und Luſt jedes Menſchenherz bewegen und daß ſich
überall im Kleinen abſpielt die große Tragödie der Welt. —
Die Bahn über den Semmering war hergeſtellt. Der
cyklopiſche Lärm der Arbeit, das Donnern der Sprengſchüſſe
war verhallt, und das zahl- und raſtloſe Menſchengewirr, das
ſich aus dem entlegenen Böhmen, den mähriſch-ungariſchen
Niederungen, aus dem ſteinigen Karſt und dem geſegneten
Friaul hier zuſammen gefunden hatte, war weiter ſüdwärts
gezogen, um dort ſein mühevolles Tagwerk fortzuſetzen. Das
tief in die Wälder hinein verſcheuchte Wild kehrte allmälig
wieder zurück und wagte ſich, wie neugierig, auf den rieſigen
Höhenpfad, der, noch unbefahren, gleich einer vergeſſenen Spur
menſchlicher Thatkraft in dem ſtillen Frieden des Hochgebirges
lag. Nur hier und dort, etwa zwei Wegſtunden von einander
entfernt, ſtand noch eine jener geräumigen Bretterhütten, welche
die Nomaden der Arbeit in Schaaren bewohnt und bei ihrem
Aufbruche wieder niedergeriſſen hatten. Sie beherbergten eine
Anzahl von Zurückgebliebenen und ſpäteren Nachzüglern, welche
beſtimmt waren, den Oberbau gänzlich zu vollenden. Denn
noch galt es, an mancher Stelle Schienen zu legen, Geleiſe
zu beſchottern, Telegraphenſtangen aufzurichten und Wächter¬
häuschen auszumauern, an deren Geſimſe die zierlichen
Schwalben, welche ſich tagüber oft in langen Reihen auf
Saar, Novellen aus Oeſterreich. 9
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