gender Walzer ertönte. Auch Dorner hatte zu meinem Erstau¬ nen den schlanken Leib seiner Frau umfaßt und die halb Wider¬ strebende mit sich fortgezogen. Ich folgte langsam nach und setzte mich in eine Fensternische. Und wie ich so dasaß, vor mir das bunte, schimmernde Gewühl der Tanzenden; hinter mir die schweigende, dunkelnde Landschaft: da wurde mir eigen¬ thümlich traumhaft zu Muth. Ein Heer von Erinnerungen stieg vor mir auf; die schönen leuchteten immer reiner und verklärter; die bösen vergingen und zerrannen und die ganze Wehmuth des Scheidens zog in mein Herz. Und es war mir, als könnt' ich nun nicht mehr die Stadt verlassen, in der ich gelebt, gestrebt, gerungen mit allen Leiden und Freuden einer Menschenseele; als könnt' ich mich nicht trennen von dem klei¬ nen Hause und seinen Bewohnern, von dem traulichen Garten -- und von der jungen Frau, welche dort, schon mit andern Tänzern, zwischen den hin und her wogenden Paaren auf¬ tauchte und wieder verschwand. Aber der Würfel war ge¬ fallen, und ich mußte fort.
Dem Walzer folgten rasch nach einander neue Tänze. Der süße Taumel des Vergessens, welcher im Tanze liegt und diesen für ihr Geschlecht so verlockend macht, schien dabei Ma¬ rianne mehr und mehr zu überkommen. Ihre Wangen glühten, ihr Haar hatte sich gelöst, ihre dunkel leuchtenden Augen schienen mich aus der Ferne zu suchen. Endlich trat eine Pause ein und die Paare machten Arm in Arm plaudernd
gender Walzer ertönte. Auch Dorner hatte zu meinem Erſtau¬ nen den ſchlanken Leib ſeiner Frau umfaßt und die halb Wider¬ ſtrebende mit ſich fortgezogen. Ich folgte langſam nach und ſetzte mich in eine Fenſterniſche. Und wie ich ſo daſaß, vor mir das bunte, ſchimmernde Gewühl der Tanzenden; hinter mir die ſchweigende, dunkelnde Landſchaft: da wurde mir eigen¬ thümlich traumhaft zu Muth. Ein Heer von Erinnerungen ſtieg vor mir auf; die ſchönen leuchteten immer reiner und verklärter; die böſen vergingen und zerrannen und die ganze Wehmuth des Scheidens zog in mein Herz. Und es war mir, als könnt' ich nun nicht mehr die Stadt verlaſſen, in der ich gelebt, geſtrebt, gerungen mit allen Leiden und Freuden einer Menſchenſeele; als könnt' ich mich nicht trennen von dem klei¬ nen Hauſe und ſeinen Bewohnern, von dem traulichen Garten — und von der jungen Frau, welche dort, ſchon mit andern Tänzern, zwiſchen den hin und her wogenden Paaren auf¬ tauchte und wieder verſchwand. Aber der Würfel war ge¬ fallen, und ich mußte fort.
Dem Walzer folgten raſch nach einander neue Tänze. Der ſüße Taumel des Vergeſſens, welcher im Tanze liegt und dieſen für ihr Geſchlecht ſo verlockend macht, ſchien dabei Ma¬ rianne mehr und mehr zu überkommen. Ihre Wangen glühten, ihr Haar hatte ſich gelöſt, ihre dunkel leuchtenden Augen ſchienen mich aus der Ferne zu ſuchen. Endlich trat eine Pauſe ein und die Paare machten Arm in Arm plaudernd
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gender Walzer ertönte. Auch Dorner hatte zu meinem Erſtau¬
nen den ſchlanken Leib ſeiner Frau umfaßt und die halb Wider¬
ſtrebende mit ſich fortgezogen. Ich folgte langſam nach und
ſetzte mich in eine Fenſterniſche. Und wie ich ſo daſaß, vor
mir das bunte, ſchimmernde Gewühl der Tanzenden; hinter
mir die ſchweigende, dunkelnde Landſchaft: da wurde mir eigen¬
thümlich traumhaft zu Muth. Ein Heer von Erinnerungen
ſtieg vor mir auf; die ſchönen leuchteten immer reiner und
verklärter; die böſen vergingen und zerrannen und die ganze
Wehmuth des Scheidens zog in mein Herz. Und es war mir,
als könnt' ich nun nicht mehr die Stadt verlaſſen, in der ich
gelebt, geſtrebt, gerungen mit allen Leiden und Freuden einer
Menſchenſeele; als könnt' ich mich nicht trennen von dem klei¬
nen Hauſe und ſeinen Bewohnern, von dem traulichen Garten
— und von der jungen Frau, welche dort, ſchon mit andern
Tänzern, zwiſchen den hin und her wogenden Paaren auf¬
tauchte und wieder verſchwand. Aber der Würfel war ge¬
fallen, und ich mußte fort.
Dem Walzer folgten raſch nach einander neue Tänze.
Der ſüße Taumel des Vergeſſens, welcher im Tanze liegt und
dieſen für ihr Geſchlecht ſo verlockend macht, ſchien dabei Ma¬
rianne mehr und mehr zu überkommen. Ihre Wangen glühten,
ihr Haar hatte ſich gelöſt, ihre dunkel leuchtenden Augen
ſchienen mich aus der Ferne zu ſuchen. Endlich trat eine
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/135>, abgerufen am 24.11.2024.
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