zugegen. Man merkte, wie sie ihrem Glücke Gewalt anthun mußten, um die Trauer der Andern mitempfinden zu können. Dorner war nicht erschienen. Als man die Leiche forttrug, folgte ich auch zur Kirche. Nach der Einsegnung stiegen die Eltern mit dem Manne, der den Sarg trug, in einen bereit stehenden Wagen; Marianne leise in ihr Tuch weinend, setzte sich zu ihnen; die Uebrigen entfernten sich. Ich aber kehrte wieder nach Hause zurück und schritt einsam im Garten auf und nieder. Ein leichter Strichregen war gefallen und an den Blättern funkelten helle Tropfen im Strahl der späten Nachmittagssonne. Ein Nelkenbeet duftete scharf; am Himmel standen dunkle, feurig umsäumte Wolken; von Zeit zu Zeit ging ein leises Rauschen durch die Wipfel. Ueber eine Stunde mochte ich so in weh¬ müthigen Empfindungen versunken gewesen sein und hatte mich endlich im Pavillon niedergelassen, als der Wagen am Thore hielt, der die Leidtragenden vom Friedhof brachte. Ich ver¬ muthete, sie würden in den Garten kommen; aber sie gingen alle miteinander hinauf. Nach einer Weile jedoch wurde das Gitter geöffnet; Marianne trat ein, Erni an der Hand führend, und bewegte sich mit dem Kinde, das während des Begräbnisses oben bei der alten Frau geblieben war, langsam auf dem mittleren Pfade fort. Sie blickte nicht nach dem Pavillon; aber Erni that es und hatte mich auch gleich be¬ merkt. "Tante Marianne, Herr A. ist hier!" rief sie und wiederholte diese Worte, da die junge Frau nicht darauf zu
zugegen. Man merkte, wie ſie ihrem Glücke Gewalt anthun mußten, um die Trauer der Andern mitempfinden zu können. Dorner war nicht erſchienen. Als man die Leiche forttrug, folgte ich auch zur Kirche. Nach der Einſegnung ſtiegen die Eltern mit dem Manne, der den Sarg trug, in einen bereit ſtehenden Wagen; Marianne leiſe in ihr Tuch weinend, ſetzte ſich zu ihnen; die Uebrigen entfernten ſich. Ich aber kehrte wieder nach Hauſe zurück und ſchritt einſam im Garten auf und nieder. Ein leichter Strichregen war gefallen und an den Blättern funkelten helle Tropfen im Strahl der ſpäten Nachmittagsſonne. Ein Nelkenbeet duftete ſcharf; am Himmel ſtanden dunkle, feurig umſäumte Wolken; von Zeit zu Zeit ging ein leiſes Rauſchen durch die Wipfel. Ueber eine Stunde mochte ich ſo in weh¬ müthigen Empfindungen verſunken geweſen ſein und hatte mich endlich im Pavillon niedergelaſſen, als der Wagen am Thore hielt, der die Leidtragenden vom Friedhof brachte. Ich ver¬ muthete, ſie würden in den Garten kommen; aber ſie gingen alle miteinander hinauf. Nach einer Weile jedoch wurde das Gitter geöffnet; Marianne trat ein, Erni an der Hand führend, und bewegte ſich mit dem Kinde, das während des Begräbniſſes oben bei der alten Frau geblieben war, langſam auf dem mittleren Pfade fort. Sie blickte nicht nach dem Pavillon; aber Erni that es und hatte mich auch gleich be¬ merkt. „Tante Marianne, Herr A. iſt hier!“ rief ſie und wiederholte dieſe Worte, da die junge Frau nicht darauf zu
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zugegen. Man merkte, wie ſie ihrem Glücke Gewalt anthun
mußten, um die Trauer der Andern mitempfinden zu können.
Dorner war nicht erſchienen. Als man die Leiche forttrug, folgte
ich auch zur Kirche. Nach der Einſegnung ſtiegen die Eltern
mit dem Manne, der den Sarg trug, in einen bereit ſtehenden
Wagen; Marianne leiſe in ihr Tuch weinend, ſetzte ſich zu
ihnen; die Uebrigen entfernten ſich. Ich aber kehrte wieder
nach Hauſe zurück und ſchritt einſam im Garten auf und nieder.
Ein leichter Strichregen war gefallen und an den Blättern
funkelten helle Tropfen im Strahl der ſpäten Nachmittagsſonne.
Ein Nelkenbeet duftete ſcharf; am Himmel ſtanden dunkle,
feurig umſäumte Wolken; von Zeit zu Zeit ging ein leiſes Rauſchen
durch die Wipfel. Ueber eine Stunde mochte ich ſo in weh¬
müthigen Empfindungen verſunken geweſen ſein und hatte mich
endlich im Pavillon niedergelaſſen, als der Wagen am Thore
hielt, der die Leidtragenden vom Friedhof brachte. Ich ver¬
muthete, ſie würden in den Garten kommen; aber ſie gingen
alle miteinander hinauf. Nach einer Weile jedoch wurde das
Gitter geöffnet; Marianne trat ein, Erni an der Hand
führend, und bewegte ſich mit dem Kinde, das während des
Begräbniſſes oben bei der alten Frau geblieben war, langſam
auf dem mittleren Pfade fort. Sie blickte nicht nach dem
Pavillon; aber Erni that es und hatte mich auch gleich be¬
merkt. „Tante Marianne, Herr A. iſt hier!“ rief ſie und
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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