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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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sonnen wäre, sein Nachfolger zu werden. Er habe mit dem
Fürsten bereits gesprochen; dieser sei ganz einverstanden und
so hinge jetzt Alles nur von meinem raschen Entschlusse ab.
Daß ich mit beiden Händen zugriff, kannst Du Dir denken!
Wollte sich doch jetzt erfüllen, wonach ich mich so lange ge¬
sehnt: unbekümmert um literarischen Erwerb in gänzlicher
Zurückgezogenheit meiner Kunst leben zu können. Gewisse
Leute werden freilich die Köpfe schütteln. "Wie man nur daran
denken könne, fern von aller Welt in einem alten Schlosse zu
versauern", hör' ich sie sagen; "daß der Dichter Anregung
brauche --" und was sonst noch an ähnlichen Gemeinplätzen
vorzubringen sein wird. Als ob ich bis jetzt nicht gelebt
hätte! An meinen Schläfen schimmern schon die ersten grauen
Haare und ich müßte wirklich unsterblich sein, um auch nur
die Hälfte meiner Erfahrungen künstlerisch zu verwerthen. Und
so will ich nur noch meine Angelegenheiten ordnen, mich von
einigen guten und edlen Menschen, denen ich so Manches zu
danken habe, verabschieden und dann der Residenz Lebewohl
sagen. Jetzt aber kann ich Dir auch gestehen: es ist hohe
Zeit, daß ich fortkomme. Aus Folgendem magst Du es ent¬
nehmen. --

Seit jenem denkwürdigen Nachmittage war Marianne
nicht mehr so oft, wie sonst, und zumeist nur auf kürzere Zeit
in den Garten gekommen. Dabei hatte es mir geschienen, als
wiche sie einer Begegnung mit mir aus, so daß ich selbst ver¬

ſonnen wäre, ſein Nachfolger zu werden. Er habe mit dem
Fürſten bereits geſprochen; dieſer ſei ganz einverſtanden und
ſo hinge jetzt Alles nur von meinem raſchen Entſchluſſe ab.
Daß ich mit beiden Händen zugriff, kannſt Du Dir denken!
Wollte ſich doch jetzt erfüllen, wonach ich mich ſo lange ge¬
ſehnt: unbekümmert um literariſchen Erwerb in gänzlicher
Zurückgezogenheit meiner Kunſt leben zu können. Gewiſſe
Leute werden freilich die Köpfe ſchütteln. „Wie man nur daran
denken könne, fern von aller Welt in einem alten Schloſſe zu
verſauern“, hör' ich ſie ſagen; „daß der Dichter Anregung
brauche —“ und was ſonſt noch an ähnlichen Gemeinplätzen
vorzubringen ſein wird. Als ob ich bis jetzt nicht gelebt
hätte! An meinen Schläfen ſchimmern ſchon die erſten grauen
Haare und ich müßte wirklich unſterblich ſein, um auch nur
die Hälfte meiner Erfahrungen künſtleriſch zu verwerthen. Und
ſo will ich nur noch meine Angelegenheiten ordnen, mich von
einigen guten und edlen Menſchen, denen ich ſo Manches zu
danken habe, verabſchieden und dann der Reſidenz Lebewohl
ſagen. Jetzt aber kann ich Dir auch geſtehen: es iſt hohe
Zeit, daß ich fortkomme. Aus Folgendem magſt Du es ent¬
nehmen. —

Seit jenem denkwürdigen Nachmittage war Marianne
nicht mehr ſo oft, wie ſonſt, und zumeiſt nur auf kürzere Zeit
in den Garten gekommen. Dabei hatte es mir geſchienen, als
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[109/0125] ſonnen wäre, ſein Nachfolger zu werden. Er habe mit dem Fürſten bereits geſprochen; dieſer ſei ganz einverſtanden und ſo hinge jetzt Alles nur von meinem raſchen Entſchluſſe ab. Daß ich mit beiden Händen zugriff, kannſt Du Dir denken! Wollte ſich doch jetzt erfüllen, wonach ich mich ſo lange ge¬ ſehnt: unbekümmert um literariſchen Erwerb in gänzlicher Zurückgezogenheit meiner Kunſt leben zu können. Gewiſſe Leute werden freilich die Köpfe ſchütteln. „Wie man nur daran denken könne, fern von aller Welt in einem alten Schloſſe zu verſauern“, hör' ich ſie ſagen; „daß der Dichter Anregung brauche —“ und was ſonſt noch an ähnlichen Gemeinplätzen vorzubringen ſein wird. Als ob ich bis jetzt nicht gelebt hätte! An meinen Schläfen ſchimmern ſchon die erſten grauen Haare und ich müßte wirklich unſterblich ſein, um auch nur die Hälfte meiner Erfahrungen künſtleriſch zu verwerthen. Und ſo will ich nur noch meine Angelegenheiten ordnen, mich von einigen guten und edlen Menſchen, denen ich ſo Manches zu danken habe, verabſchieden und dann der Reſidenz Lebewohl ſagen. Jetzt aber kann ich Dir auch geſtehen: es iſt hohe Zeit, daß ich fortkomme. Aus Folgendem magſt Du es ent¬ nehmen. — Seit jenem denkwürdigen Nachmittage war Marianne nicht mehr ſo oft, wie ſonſt, und zumeiſt nur auf kürzere Zeit in den Garten gekommen. Dabei hatte es mir geſchienen, als wiche ſie einer Begegnung mit mir aus, ſo daß ich ſelbſt ver¬

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/125>, abgerufen am 24.11.2024.