Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

"O nicht doch -- nicht so, Frau Dorner! Ich meinte
nur -- es ist eine gar zu stille, traurige Geschichte."

"Eben deßhalb gefällt sie mir. Ich bin nicht immer so
fröhlich, wie Sie mich zu sehen pflegen. Ich habe auch meine
trüben Stunden, und mir ist eigentlich stets am wohlsten, wenn
ich still für mich allein sein und meinen Gedanken nachhängen
kann. Nur unter Menschen überkommt es mich. --"

"Dann ist es doch nur die Heiterkeit Ihrer innersten
Natur, was sich da Bahn bricht."

"Meinen Sie?" sagte sie nachdenklich.

"Gewiß. Und die Menschen sollten sich glücklich schätzen,
daß sie so sprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬
mögen."

Sie schüttelte leicht das Haupt. "Nun, ich habe meistens
nur Tadel und Verweise zu hören bekommen. Von meinen
Eltern und Lehrern, von --" sie unterbrach sich. "Ich glaube,
man hat mich seit jeher für leichtsinnig und einfältig gehalten",
setzte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.

"O wer könnte, wer dürfte so urtheilen", sagte ich warm.

Sie schien diesen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an
ihre letzten Worte anknüpfend, mit gesenktem Haupte fort.
"Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre sind
mir wie im Traume vergangen; selbst der Tod unserer Mut¬
ter, die uns freilich schon sehr früh entrissen wurde, hat mich
nicht besonders schmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes

„O nicht doch — nicht ſo, Frau Dorner! Ich meinte
nur — es iſt eine gar zu ſtille, traurige Geſchichte.“

„Eben deßhalb gefällt ſie mir. Ich bin nicht immer ſo
fröhlich, wie Sie mich zu ſehen pflegen. Ich habe auch meine
trüben Stunden, und mir iſt eigentlich ſtets am wohlſten, wenn
ich ſtill für mich allein ſein und meinen Gedanken nachhängen
kann. Nur unter Menſchen überkommt es mich. —“

„Dann iſt es doch nur die Heiterkeit Ihrer innerſten
Natur, was ſich da Bahn bricht.“

„Meinen Sie?“ ſagte ſie nachdenklich.

„Gewiß. Und die Menſchen ſollten ſich glücklich ſchätzen,
daß ſie ſo ſprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬
mögen.“

Sie ſchüttelte leicht das Haupt. „Nun, ich habe meiſtens
nur Tadel und Verweiſe zu hören bekommen. Von meinen
Eltern und Lehrern, von —“ ſie unterbrach ſich. „Ich glaube,
man hat mich ſeit jeher für leichtſinnig und einfältig gehalten“,
ſetzte ſie mit gedämpfter Stimme hinzu.

„O wer könnte, wer dürfte ſo urtheilen“, ſagte ich warm.

Sie ſchien dieſen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an
ihre letzten Worte anknüpfend, mit geſenktem Haupte fort.
„Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre ſind
mir wie im Traume vergangen; ſelbſt der Tod unſerer Mut¬
ter, die uns freilich ſchon ſehr früh entriſſen wurde, hat mich
nicht beſonders ſchmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0119" n="103"/>
        <p>&#x201E;O nicht doch &#x2014; nicht &#x017F;o, Frau Dorner! Ich meinte<lb/>
nur &#x2014; es i&#x017F;t eine gar zu &#x017F;tille, traurige Ge&#x017F;chichte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eben deßhalb gefällt &#x017F;ie mir. Ich bin nicht immer &#x017F;o<lb/>
fröhlich, wie Sie mich zu &#x017F;ehen pflegen. Ich habe auch meine<lb/>
trüben Stunden, und mir i&#x017F;t eigentlich &#x017F;tets am wohl&#x017F;ten, wenn<lb/>
ich &#x017F;till für mich allein &#x017F;ein und meinen Gedanken nachhängen<lb/>
kann. Nur unter Men&#x017F;chen überkommt es mich. &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann i&#x017F;t es doch nur die Heiterkeit Ihrer inner&#x017F;ten<lb/>
Natur, was &#x017F;ich da Bahn bricht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Meinen Sie?&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie nachdenklich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gewiß. Und die Men&#x017F;chen &#x017F;ollten &#x017F;ich glücklich &#x017F;chätzen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;prühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬<lb/>
mögen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chüttelte leicht das Haupt. &#x201E;Nun, ich habe mei&#x017F;tens<lb/>
nur Tadel und Verwei&#x017F;e zu hören bekommen. Von meinen<lb/>
Eltern und Lehrern, von &#x2014;&#x201C; &#x017F;ie unterbrach &#x017F;ich. &#x201E;Ich glaube,<lb/>
man hat mich &#x017F;eit jeher für leicht&#x017F;innig und einfältig gehalten&#x201C;,<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ie mit gedämpfter Stimme hinzu.</p><lb/>
        <p>&#x201E;O wer könnte, wer dürfte &#x017F;o urtheilen&#x201C;, &#x017F;agte ich warm.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chien die&#x017F;en Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an<lb/>
ihre letzten Worte anknüpfend, mit ge&#x017F;enktem Haupte fort.<lb/>
&#x201E;Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre &#x017F;ind<lb/>
mir wie im Traume vergangen; &#x017F;elb&#x017F;t der Tod un&#x017F;erer Mut¬<lb/>
ter, die uns freilich &#x017F;chon &#x017F;ehr früh entri&#x017F;&#x017F;en wurde, hat mich<lb/>
nicht be&#x017F;onders &#x017F;chmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0119] „O nicht doch — nicht ſo, Frau Dorner! Ich meinte nur — es iſt eine gar zu ſtille, traurige Geſchichte.“ „Eben deßhalb gefällt ſie mir. Ich bin nicht immer ſo fröhlich, wie Sie mich zu ſehen pflegen. Ich habe auch meine trüben Stunden, und mir iſt eigentlich ſtets am wohlſten, wenn ich ſtill für mich allein ſein und meinen Gedanken nachhängen kann. Nur unter Menſchen überkommt es mich. —“ „Dann iſt es doch nur die Heiterkeit Ihrer innerſten Natur, was ſich da Bahn bricht.“ „Meinen Sie?“ ſagte ſie nachdenklich. „Gewiß. Und die Menſchen ſollten ſich glücklich ſchätzen, daß ſie ſo ſprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬ mögen.“ Sie ſchüttelte leicht das Haupt. „Nun, ich habe meiſtens nur Tadel und Verweiſe zu hören bekommen. Von meinen Eltern und Lehrern, von —“ ſie unterbrach ſich. „Ich glaube, man hat mich ſeit jeher für leichtſinnig und einfältig gehalten“, ſetzte ſie mit gedämpfter Stimme hinzu. „O wer könnte, wer dürfte ſo urtheilen“, ſagte ich warm. Sie ſchien dieſen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an ihre letzten Worte anknüpfend, mit geſenktem Haupte fort. „Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre ſind mir wie im Traume vergangen; ſelbſt der Tod unſerer Mut¬ ter, die uns freilich ſchon ſehr früh entriſſen wurde, hat mich nicht beſonders ſchmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/119
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/119>, abgerufen am 24.11.2024.