obwohl nach seinen Entwürfen. Im Archiv der Gonzaghi zu Mantua sah ich einige Blätter mit den Wochenrechnungen des Meisters, in welchen zehen bis zwanzig, theils wenig bekannte Künstler für ihre untergeordnete Arbeit im Schlosse und im T als bezahlt angeführt werden; andererseits bey einem Kunstfreunde ausführliche Vorzeichnungen, besonders zum Rie- sensturze, welche unendlich correcter, schöner, geistreicher sind, als deren malerische Ausführung, in so weit sie unter den Retouchen zu erkennen ist. Wie früher Raphael, so hat auch Giulio Vorwürfen sich ausgesetzt, welche eigentlich nur die geringe Fähigkeit oder die Uebereilung seiner Gehülfen treffen. Indeß ist der Meister, welcher für Genua die Marter des h. Stephanus und für Raphael den Erzengel Michael und die Madonna Franz I. gemalt, Studien, Entwürfe gemacht hat, wie man sie hie und da in den Sammlungen sieht, doch nur zu oft mit der größeren Zahl der Schulzeichnungen in seinem Geschmacke vermengt wird, kein Manierist zu nennen Wie ganz anders verwilderten die übrigen Schüler Raphaels, vor- nehmlich die Colonie, welche in Genua sich niedergelassen!
Wir haben uns erinnert, daß während der Regierung Leo X. zwar Raphaels Methodik, Kunsteinsicht, Productions- kraft an sich selbst ihre höchste Stufe erreicht hatte, wie es, nächst den Bildnissen, die Dresdener Madonna, die Kreuz- schleifung und andere Gemälde bezeugen; auch, daß die Kunst in dieser Epoche durch ein neues Element, die Fabel, berei- chert, hiedurch zuerst in das häusliche und gesellige Leben ein- geführt wurde. Doch haben wir auf der anderen Seite auch die Vorboten sich nahenden Verfalles nicht übersehen. Im Rausche des ersten Erstaunens über die plötzlich in ungeahn- deter Schönheit und Fülle aus dem Dunkel auftauchende
Kunst,
obwohl nach ſeinen Entwuͤrfen. Im Archiv der Gonzaghi zu Mantua ſah ich einige Blaͤtter mit den Wochenrechnungen des Meiſters, in welchen zehen bis zwanzig, theils wenig bekannte Kuͤnſtler fuͤr ihre untergeordnete Arbeit im Schloſſe und im T als bezahlt angefuͤhrt werden; andererſeits bey einem Kunſtfreunde ausfuͤhrliche Vorzeichnungen, beſonders zum Rie- ſenſturze, welche unendlich correcter, ſchoͤner, geiſtreicher ſind, als deren maleriſche Ausfuͤhrung, in ſo weit ſie unter den Retouchen zu erkennen iſt. Wie fruͤher Raphael, ſo hat auch Giulio Vorwuͤrfen ſich ausgeſetzt, welche eigentlich nur die geringe Faͤhigkeit oder die Uebereilung ſeiner Gehuͤlfen treffen. Indeß iſt der Meiſter, welcher fuͤr Genua die Marter des h. Stephanus und fuͤr Raphael den Erzengel Michael und die Madonna Franz I. gemalt, Studien, Entwuͤrfe gemacht hat, wie man ſie hie und da in den Sammlungen ſieht, doch nur zu oft mit der groͤßeren Zahl der Schulzeichnungen in ſeinem Geſchmacke vermengt wird, kein Manieriſt zu nennen Wie ganz anders verwilderten die uͤbrigen Schuͤler Raphaels, vor- nehmlich die Colonie, welche in Genua ſich niedergelaſſen!
Wir haben uns erinnert, daß waͤhrend der Regierung Leo X. zwar Raphaels Methodik, Kunſteinſicht, Productions- kraft an ſich ſelbſt ihre hoͤchſte Stufe erreicht hatte, wie es, naͤchſt den Bildniſſen, die Dresdener Madonna, die Kreuz- ſchleifung und andere Gemaͤlde bezeugen; auch, daß die Kunſt in dieſer Epoche durch ein neues Element, die Fabel, berei- chert, hiedurch zuerſt in das haͤusliche und geſellige Leben ein- gefuͤhrt wurde. Doch haben wir auf der anderen Seite auch die Vorboten ſich nahenden Verfalles nicht uͤberſehen. Im Rauſche des erſten Erſtaunens uͤber die ploͤtzlich in ungeahn- deter Schoͤnheit und Fuͤlle aus dem Dunkel auftauchende
Kunſt,
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obwohl nach ſeinen Entwuͤrfen. Im Archiv der Gonzaghi zu
Mantua ſah ich einige Blaͤtter mit den Wochenrechnungen des
Meiſters, in welchen zehen bis zwanzig, theils wenig bekannte
Kuͤnſtler fuͤr ihre untergeordnete Arbeit im Schloſſe und im
T als bezahlt angefuͤhrt werden; andererſeits bey einem
Kunſtfreunde ausfuͤhrliche Vorzeichnungen, beſonders zum Rie-
ſenſturze, welche unendlich correcter, ſchoͤner, geiſtreicher ſind,
als deren maleriſche Ausfuͤhrung, in ſo weit ſie unter den
Retouchen zu erkennen iſt. Wie fruͤher Raphael, ſo hat auch
Giulio Vorwuͤrfen ſich ausgeſetzt, welche eigentlich nur die
geringe Faͤhigkeit oder die Uebereilung ſeiner Gehuͤlfen treffen.
Indeß iſt der Meiſter, welcher fuͤr Genua die Marter des h.
Stephanus und fuͤr Raphael den Erzengel Michael und die
Madonna Franz I. gemalt, Studien, Entwuͤrfe gemacht hat,
wie man ſie hie und da in den Sammlungen ſieht, doch nur
zu oft mit der groͤßeren Zahl der Schulzeichnungen in ſeinem
Geſchmacke vermengt wird, kein Manieriſt zu nennen Wie
ganz anders verwilderten die uͤbrigen Schuͤler Raphaels, vor-
nehmlich die Colonie, welche in Genua ſich niedergelaſſen!
Wir haben uns erinnert, daß waͤhrend der Regierung
Leo X. zwar Raphaels Methodik, Kunſteinſicht, Productions-
kraft an ſich ſelbſt ihre hoͤchſte Stufe erreicht hatte, wie es,
naͤchſt den Bildniſſen, die Dresdener Madonna, die Kreuz-
ſchleifung und andere Gemaͤlde bezeugen; auch, daß die Kunſt
in dieſer Epoche durch ein neues Element, die Fabel, berei-
chert, hiedurch zuerſt in das haͤusliche und geſellige Leben ein-
gefuͤhrt wurde. Doch haben wir auf der anderen Seite auch
die Vorboten ſich nahenden Verfalles nicht uͤberſehen. Im
Rauſche des erſten Erſtaunens uͤber die ploͤtzlich in ungeahn-
deter Schoͤnheit und Fuͤlle aus dem Dunkel auftauchende
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/166>, abgerufen am 29.07.2024.
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