Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

gel. Ich befürchte daher, daß Raphael wohl jenen Act ge-
zeichnet, wohl gebilligt habe, daß er von seinen Gehülfen und
Schülern, vielleicht im Wetteifer, malerisch ausgeführt werde,
doch ohne an irgend einer dieser zahlreichen Repliken thätigen
Antheil zu nehmen. Einige gehören sicher seiner Schule
an *); allein das Berliner Exemplar galt zu Florenz, wo ich
es erstanden, nicht ohne Gründe für eine Jugendarbeit des
Francesco Salviati **).

Die Gleichgültigkeit des Ausdruckes, die unbestimmte
Allgemeinheit der Charaktere, die Schwächen der Zeichnung,
welche in diesen Bildern häufig wahrgenommen werden, brachte
in den letzten Decennien den alten Vorwurf ***) wiederum
in Anregung, daß Raphael in seinen letzten Lebensjahren zu-
rückgeschritten sey. Unstreitig befriedigen die Werke, welche
Raphael ganz mit eigener Hand zu Ende gebracht, unter die-
sen sogar seine ältesten, ungleich mehr, als jene Schülerar-
beiten. Wie sollte auch der unmittelbare Erguß eines so

*) Zu Florenz, Paris, Bologna, zu Rom auf dem Capitol.
**) So schließt man aus der sicheren, schulmäßigen Zeichnung, den
ohne pastose Unterlage lasirten Schattenseiten, der generellen Behandlung
der Landschaft.
***) Vas . P. c. p. 86. suchte den Rückschritt Raphaels, den Grund
des Tadels, dem er in späteren Jahren ausgesetzt war, theils in einem
seinem Naturell unangemessenen Wetteifer mit dem Michelangelo (per
mostrare ch' egli intendeva gl' ignudi cosi bene come Michelagnuolo)
,
theils, gelegentlich der Psyche, aus dem Umstande, daß er die Ausführung
seiner Entwürfe mehr und mehr seinen Gehülfen überließ (l'havergli
fatti colorire ad altri col suo disegno
). Das Geräusch muß groß ge-
wesen seyn, da Vasari wagen konnte, zu sagen: non si sarebbe tolto
parte di quel buon nome, che acquistato si haveva.
-- Also sehr mit
Unrecht hält man diese alte Bemerkung für ein Paradoxon der Roman-
tiker.

gel. Ich befuͤrchte daher, daß Raphael wohl jenen Act ge-
zeichnet, wohl gebilligt habe, daß er von ſeinen Gehuͤlfen und
Schuͤlern, vielleicht im Wetteifer, maleriſch ausgefuͤhrt werde,
doch ohne an irgend einer dieſer zahlreichen Repliken thaͤtigen
Antheil zu nehmen. Einige gehoͤren ſicher ſeiner Schule
an *); allein das Berliner Exemplar galt zu Florenz, wo ich
es erſtanden, nicht ohne Gruͤnde fuͤr eine Jugendarbeit des
Francesco Salviati **).

Die Gleichguͤltigkeit des Ausdruckes, die unbeſtimmte
Allgemeinheit der Charaktere, die Schwaͤchen der Zeichnung,
welche in dieſen Bildern haͤufig wahrgenommen werden, brachte
in den letzten Decennien den alten Vorwurf ***) wiederum
in Anregung, daß Raphael in ſeinen letzten Lebensjahren zu-
ruͤckgeſchritten ſey. Unſtreitig befriedigen die Werke, welche
Raphael ganz mit eigener Hand zu Ende gebracht, unter die-
ſen ſogar ſeine aͤlteſten, ungleich mehr, als jene Schuͤlerar-
beiten. Wie ſollte auch der unmittelbare Erguß eines ſo

*) Zu Florenz, Paris, Bologna, zu Rom auf dem Capitol.
**) So ſchließt man aus der ſicheren, ſchulmäßigen Zeichnung, den
ohne paſtoſe Unterlage laſirten Schattenſeiten, der generellen Behandlung
der Landſchaft.
***) Vas . P. c. p. 86. ſuchte den Rückſchritt Raphaels, den Grund
des Tadels, dem er in ſpäteren Jahren ausgeſetzt war, theils in einem
ſeinem Naturell unangemeſſenen Wetteifer mit dem Michelangelo (per
mostrare ch’ egli intendeva gl’ ignudi cosi bene come Michelagnuolo)
,
theils, gelegentlich der Pſyche, aus dem Umſtande, daß er die Ausführung
ſeiner Entwürfe mehr und mehr ſeinen Gehülfen überließ (l’havergli
fatti colorire ad altri col suo disegno
). Das Geräuſch muß groß ge-
weſen ſeyn, da Vaſari wagen konnte, zu ſagen: non si sarebbe tolto
parte di quel buon nome, che acquistato si haveva.
— Alſo ſehr mit
Unrecht hält man dieſe alte Bemerkung für ein Paradoxon der Roman-
tiker.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0158" n="136"/>
gel. Ich befu&#x0364;rchte daher, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> wohl jenen Act ge-<lb/>
zeichnet, wohl gebilligt habe, daß er von &#x017F;einen Gehu&#x0364;lfen und<lb/>
Schu&#x0364;lern, vielleicht im Wetteifer, maleri&#x017F;ch ausgefu&#x0364;hrt werde,<lb/>
doch ohne an irgend einer die&#x017F;er zahlreichen Repliken tha&#x0364;tigen<lb/>
Antheil zu nehmen. Einige geho&#x0364;ren &#x017F;icher &#x017F;einer Schule<lb/>
an <note place="foot" n="*)">Zu <placeName>Florenz</placeName>, <placeName>Paris</placeName>, <placeName>Bologna</placeName>, zu <placeName>Rom</placeName> auf dem Capitol.</note>; allein das Berliner Exemplar galt zu <placeName>Florenz</placeName>, wo ich<lb/>
es er&#x017F;tanden, nicht ohne Gru&#x0364;nde fu&#x0364;r eine Jugendarbeit des<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118794280">Francesco Salviati</persName> <note place="foot" n="**)">So &#x017F;chließt man aus der &#x017F;icheren, &#x017F;chulmäßigen Zeichnung, den<lb/>
ohne pa&#x017F;to&#x017F;e Unterlage la&#x017F;irten Schatten&#x017F;eiten, der generellen Behandlung<lb/>
der Land&#x017F;chaft.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Gleichgu&#x0364;ltigkeit des Ausdruckes, die unbe&#x017F;timmte<lb/>
Allgemeinheit der Charaktere, die Schwa&#x0364;chen der Zeichnung,<lb/>
welche in die&#x017F;en Bildern ha&#x0364;ufig wahrgenommen werden, brachte<lb/>
in den letzten Decennien den alten Vorwurf <note place="foot" n="***)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vas .</persName> P. c. p. 86.</hi> &#x017F;uchte den Rück&#x017F;chritt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName>, den Grund<lb/>
des Tadels, dem er in &#x017F;päteren Jahren ausge&#x017F;etzt war, theils in einem<lb/>
&#x017F;einem Naturell unangeme&#x017F;&#x017F;enen Wetteifer mit dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo</persName> <hi rendition="#aq">(per<lb/>
mostrare ch&#x2019; egli intendeva gl&#x2019; ignudi cosi bene come <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelagnuolo</persName>)</hi>,<lb/>
theils, gelegentlich der P&#x017F;yche, aus dem Um&#x017F;tande, daß er die Ausführung<lb/>
&#x017F;einer Entwürfe mehr und mehr &#x017F;einen Gehülfen überließ (<hi rendition="#aq">l&#x2019;havergli<lb/>
fatti colorire ad altri col suo disegno</hi>). Das Geräu&#x017F;ch muß groß ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;eyn, da <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> wagen konnte, zu &#x017F;agen: <hi rendition="#aq">non si sarebbe tolto<lb/>
parte di quel buon nome, che acquistato si haveva.</hi> &#x2014; Al&#x017F;o &#x017F;ehr mit<lb/>
Unrecht hält man die&#x017F;e alte Bemerkung für ein Paradoxon der Roman-<lb/>
tiker.</note> wiederum<lb/>
in Anregung, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> in &#x017F;einen letzten Lebensjahren zu-<lb/>
ru&#x0364;ckge&#x017F;chritten &#x017F;ey. Un&#x017F;treitig befriedigen die Werke, welche<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> ganz mit eigener Hand zu Ende gebracht, unter die-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ogar &#x017F;eine a&#x0364;lte&#x017F;ten, ungleich mehr, als jene Schu&#x0364;lerar-<lb/>
beiten. Wie &#x017F;ollte auch der unmittelbare Erguß eines &#x017F;o<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0158] gel. Ich befuͤrchte daher, daß Raphael wohl jenen Act ge- zeichnet, wohl gebilligt habe, daß er von ſeinen Gehuͤlfen und Schuͤlern, vielleicht im Wetteifer, maleriſch ausgefuͤhrt werde, doch ohne an irgend einer dieſer zahlreichen Repliken thaͤtigen Antheil zu nehmen. Einige gehoͤren ſicher ſeiner Schule an *); allein das Berliner Exemplar galt zu Florenz, wo ich es erſtanden, nicht ohne Gruͤnde fuͤr eine Jugendarbeit des Francesco Salviati **). Die Gleichguͤltigkeit des Ausdruckes, die unbeſtimmte Allgemeinheit der Charaktere, die Schwaͤchen der Zeichnung, welche in dieſen Bildern haͤufig wahrgenommen werden, brachte in den letzten Decennien den alten Vorwurf ***) wiederum in Anregung, daß Raphael in ſeinen letzten Lebensjahren zu- ruͤckgeſchritten ſey. Unſtreitig befriedigen die Werke, welche Raphael ganz mit eigener Hand zu Ende gebracht, unter die- ſen ſogar ſeine aͤlteſten, ungleich mehr, als jene Schuͤlerar- beiten. Wie ſollte auch der unmittelbare Erguß eines ſo *) Zu Florenz, Paris, Bologna, zu Rom auf dem Capitol. **) So ſchließt man aus der ſicheren, ſchulmäßigen Zeichnung, den ohne paſtoſe Unterlage laſirten Schattenſeiten, der generellen Behandlung der Landſchaft. ***) Vas . P. c. p. 86. ſuchte den Rückſchritt Raphaels, den Grund des Tadels, dem er in ſpäteren Jahren ausgeſetzt war, theils in einem ſeinem Naturell unangemeſſenen Wetteifer mit dem Michelangelo (per mostrare ch’ egli intendeva gl’ ignudi cosi bene come Michelagnuolo), theils, gelegentlich der Pſyche, aus dem Umſtande, daß er die Ausführung ſeiner Entwürfe mehr und mehr ſeinen Gehülfen überließ (l’havergli fatti colorire ad altri col suo disegno). Das Geräuſch muß groß ge- weſen ſeyn, da Vaſari wagen konnte, zu ſagen: non si sarebbe tolto parte di quel buon nome, che acquistato si haveva. — Alſo ſehr mit Unrecht hält man dieſe alte Bemerkung für ein Paradoxon der Roman- tiker.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/158
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/158>, abgerufen am 27.11.2024.