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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Mönche des h. Sixtus zu Piacenza die Tafel des Hauptalta-
res gemalt, welche die Madonna, mit den Heiligen Sixtus
und Barbara enthalte." Indeß muß Vasari die Nachricht
aus zweyter Hand erhalten haben, weil er davon nichts Um-
ständliches aussagt, auf ein allgemeines Lob sich beschränkt;
besonders aber, weil er sogar den Stoff, auf welchem das
Bild gemalt ist, falsch angiebt, es eine Tafel (tavola) nennt,
nicht anzeigt, daß es auf Leinwand, in tela, gemalt sey, was
er bey Bildern dieser Zeit und Schule doch sonst nicht leicht
versäumt.

Wer, diesen Andeutungen durch örtliche Untersuchungen
einen historischen Boden zu geben, sich künftig einmal bemü-
hen sollte, möge beachten, daß es hier mehr darauf ankomme,
auszumachen, ob man das Bild jemals in Procession umher-
getragen habe, als, wo es in den Zwischenzeiten aufgestellt
wurde. Unter allen Umständen erklärt sich das Visionäre der
Darstellung nur aus dieser Bestimmung des Bildes, versteht
sich die ganze Gewalt des Eindruckes, den es bewirken mußte,
nur indem man dasselbe als mit dem Zuge langsam fortschrei-
tend sich vorstellt. -- Die Künstler der guten alten Zeit pfleg-
ten für das Poetische ihrer Entwürfe den Anknüpfungspunct,
den positiven Boden, in den Wünschen und Ansorderungen
derer zu suchen, welche ihnen Vertrauen schenkten und ihre
Leistungen nach den Umständen belohnten. Kunstwerke waren
dazumal überhaupt mehr ein allgemeines, ein wesentliches,
als ein rein ästhetisches Bedürfniß; man wollte Begriffe, Vor-
stellungen, Dinge, über welche man mit sich selbst ein-

Sisto in Piacenza la tavola dello altare maggiore dentrovi la nostra
Donna, S. Sisto e S. Barbara, cosa veramente rarissima e singolare.

Moͤnche des h. Sixtus zu Piacenza die Tafel des Hauptalta-
res gemalt, welche die Madonna, mit den Heiligen Sixtus
und Barbara enthalte.“ Indeß muß Vaſari die Nachricht
aus zweyter Hand erhalten haben, weil er davon nichts Um-
ſtaͤndliches ausſagt, auf ein allgemeines Lob ſich beſchraͤnkt;
beſonders aber, weil er ſogar den Stoff, auf welchem das
Bild gemalt iſt, falſch angiebt, es eine Tafel (tavola) nennt,
nicht anzeigt, daß es auf Leinwand, in tela, gemalt ſey, was
er bey Bildern dieſer Zeit und Schule doch ſonſt nicht leicht
verſaͤumt.

Wer, dieſen Andeutungen durch oͤrtliche Unterſuchungen
einen hiſtoriſchen Boden zu geben, ſich kuͤnftig einmal bemuͤ-
hen ſollte, moͤge beachten, daß es hier mehr darauf ankomme,
auszumachen, ob man das Bild jemals in Proceſſion umher-
getragen habe, als, wo es in den Zwiſchenzeiten aufgeſtellt
wurde. Unter allen Umſtaͤnden erklaͤrt ſich das Viſionaͤre der
Darſtellung nur aus dieſer Beſtimmung des Bildes, verſteht
ſich die ganze Gewalt des Eindruckes, den es bewirken mußte,
nur indem man daſſelbe als mit dem Zuge langſam fortſchrei-
tend ſich vorſtellt. — Die Kuͤnſtler der guten alten Zeit pfleg-
ten fuͤr das Poetiſche ihrer Entwuͤrfe den Anknuͤpfungspunct,
den poſitiven Boden, in den Wuͤnſchen und Anſorderungen
derer zu ſuchen, welche ihnen Vertrauen ſchenkten und ihre
Leiſtungen nach den Umſtaͤnden belohnten. Kunſtwerke waren
dazumal uͤberhaupt mehr ein allgemeines, ein weſentliches,
als ein rein aͤſthetiſches Beduͤrfniß; man wollte Begriffe, Vor-
ſtellungen, Dinge, uͤber welche man mit ſich ſelbſt ein-

Sisto in Piacenza la tavola dello altare maggiore dentrovi la nostra
Donna, S. Sisto e S. Barbara, cosa veramente rarissima e singolare.
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[130/0152] Moͤnche des h. Sixtus zu Piacenza die Tafel des Hauptalta- res gemalt, welche die Madonna, mit den Heiligen Sixtus und Barbara enthalte.“ Indeß muß Vaſari die Nachricht aus zweyter Hand erhalten haben, weil er davon nichts Um- ſtaͤndliches ausſagt, auf ein allgemeines Lob ſich beſchraͤnkt; beſonders aber, weil er ſogar den Stoff, auf welchem das Bild gemalt iſt, falſch angiebt, es eine Tafel (tavola) nennt, nicht anzeigt, daß es auf Leinwand, in tela, gemalt ſey, was er bey Bildern dieſer Zeit und Schule doch ſonſt nicht leicht verſaͤumt. Wer, dieſen Andeutungen durch oͤrtliche Unterſuchungen einen hiſtoriſchen Boden zu geben, ſich kuͤnftig einmal bemuͤ- hen ſollte, moͤge beachten, daß es hier mehr darauf ankomme, auszumachen, ob man das Bild jemals in Proceſſion umher- getragen habe, als, wo es in den Zwiſchenzeiten aufgeſtellt wurde. Unter allen Umſtaͤnden erklaͤrt ſich das Viſionaͤre der Darſtellung nur aus dieſer Beſtimmung des Bildes, verſteht ſich die ganze Gewalt des Eindruckes, den es bewirken mußte, nur indem man daſſelbe als mit dem Zuge langſam fortſchrei- tend ſich vorſtellt. — Die Kuͤnſtler der guten alten Zeit pfleg- ten fuͤr das Poetiſche ihrer Entwuͤrfe den Anknuͤpfungspunct, den poſitiven Boden, in den Wuͤnſchen und Anſorderungen derer zu ſuchen, welche ihnen Vertrauen ſchenkten und ihre Leiſtungen nach den Umſtaͤnden belohnten. Kunſtwerke waren dazumal uͤberhaupt mehr ein allgemeines, ein weſentliches, als ein rein aͤſthetiſches Beduͤrfniß; man wollte Begriffe, Vor- ſtellungen, Dinge, uͤber welche man mit ſich ſelbſt ein- **) **) Sisto in Piacenza la tavola dello altare maggiore dentrovi la nostra Donna, S. Sisto e S. Barbara, cosa veramente rarissima e singolare.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/152>, abgerufen am 02.05.2024.