Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Uebrigens sind die Bildnisse dieser guten alten Zeit durch-
hin so gemächlich ungezwungen, daß in dem Bildnisse des
Hauses Altoviti die Spannung in dem Blicke, die Wendung
des Kopfes über die Schulter hin, nicht anders zu erklären
ist, als eben aus der nothwendigen Stellung und Lage des
Künstlers, welcher sich selbst darstellen mußte, wie er sich sah:
mit künstlerischem Scharfblicke, in einer etwas gezwungenen
Stellung, sich selbst ins Auge fassend. Muß ich nun end-
lich Wikars Behauptung, daß Raphaels Bildniß in der
Schule von Athen dem unsrigen ganz ungleich sey, ebenfalls
durchaus ablehnen *), so wird nichts weiter der Ueberzeu-
gung entgegenstehen, welche die Schrift des Missiri zu er-
schüttern sucht.

Vasari sagt gelegentlich und summarisch: "Raphael malte
die Beatrice aus Ferrara und andere Frauen, besonders seine
eigene Geliebte, aber auch viele andere." Es scheint, daß
viele dieser Bildnisse, als Studien, theils unvollendet geblie-
ben, theils von seinen Gehülfen ergänzt worden sind. Denn
es zeigt das schöne jugendliche Bildniß der Fornarina, zu
Florenz in der Tribune der Gallerie, wo im verdunkelten
Grunde das Jahr 1512 gelesen wird, im Antlitz, in Brust
und Hand, eine rasche, augenblickliche Behandlung, hingegen
in dem Gefälte des weißen Hemdes kleinliche Emsigkeit ohne
deutliches Verständniß. Auch jene beiden Fornarinen der
Gallerieen Sciarra und Barberini sind bloße Studien des

*) Hr. Vinc. Camoccini sandte vor längerer Zeit eine Chalke des
genannten Kopfes nach München, welche bey genauerer Vergleichung in
allem Wesentlichen mit dem Bilde Altoviti übereinstimmte; dieses un-
geachtet der nothwendig allgemeineren Behandlung der Nebenfigur eines
historischen Bildes.

Uebrigens ſind die Bildniſſe dieſer guten alten Zeit durch-
hin ſo gemaͤchlich ungezwungen, daß in dem Bildniſſe des
Hauſes Altoviti die Spannung in dem Blicke, die Wendung
des Kopfes uͤber die Schulter hin, nicht anders zu erklaͤren
iſt, als eben aus der nothwendigen Stellung und Lage des
Kuͤnſtlers, welcher ſich ſelbſt darſtellen mußte, wie er ſich ſah:
mit kuͤnſtleriſchem Scharfblicke, in einer etwas gezwungenen
Stellung, ſich ſelbſt ins Auge faſſend. Muß ich nun end-
lich Wikars Behauptung, daß Raphaels Bildniß in der
Schule von Athen dem unſrigen ganz ungleich ſey, ebenfalls
durchaus ablehnen *), ſo wird nichts weiter der Ueberzeu-
gung entgegenſtehen, welche die Schrift des Miſſiri zu er-
ſchuͤttern ſucht.

Vaſari ſagt gelegentlich und ſummariſch: „Raphael malte
die Beatrice aus Ferrara und andere Frauen, beſonders ſeine
eigene Geliebte, aber auch viele andere.“ Es ſcheint, daß
viele dieſer Bildniſſe, als Studien, theils unvollendet geblie-
ben, theils von ſeinen Gehuͤlfen ergaͤnzt worden ſind. Denn
es zeigt das ſchoͤne jugendliche Bildniß der Fornarina, zu
Florenz in der Tribune der Gallerie, wo im verdunkelten
Grunde das Jahr 1512 geleſen wird, im Antlitz, in Bruſt
und Hand, eine raſche, augenblickliche Behandlung, hingegen
in dem Gefaͤlte des weißen Hemdes kleinliche Emſigkeit ohne
deutliches Verſtaͤndniß. Auch jene beiden Fornarinen der
Gallerieen Sciarra und Barberini ſind bloße Studien des

*) Hr. Vinc. Camoccini ſandte vor längerer Zeit eine Chalke des
genannten Kopfes nach München, welche bey genauerer Vergleichung in
allem Weſentlichen mit dem Bilde Altoviti übereinſtimmte; dieſes un-
geachtet der nothwendig allgemeineren Behandlung der Nebenfigur eines
hiſtoriſchen Bildes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0138" n="116"/>
            <p>Uebrigens &#x017F;ind die Bildni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er guten alten Zeit durch-<lb/>
hin &#x017F;o gema&#x0364;chlich ungezwungen, daß in dem Bildni&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Hau&#x017F;es Altoviti die Spannung in dem Blicke, die Wendung<lb/>
des Kopfes u&#x0364;ber die Schulter hin, nicht anders zu erkla&#x0364;ren<lb/>
i&#x017F;t, als eben aus der nothwendigen Stellung und Lage des<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, welcher &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dar&#x017F;tellen mußte, wie er &#x017F;ich &#x017F;ah:<lb/>
mit ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;chem Scharfblicke, in einer etwas gezwungenen<lb/>
Stellung, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ins Auge fa&#x017F;&#x017F;end. Muß ich nun end-<lb/>
lich <persName ref="nognd">Wikars</persName> Behauptung, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> Bildniß in der<lb/>
Schule von <placeName>Athen</placeName> dem un&#x017F;rigen ganz ungleich &#x017F;ey, ebenfalls<lb/>
durchaus ablehnen <note place="foot" n="*)">Hr. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116436956">Vinc. Camoccini</persName> &#x017F;andte vor längerer Zeit eine Chalke des<lb/>
genannten Kopfes nach <placeName>München</placeName>, welche bey genauerer Vergleichung in<lb/>
allem We&#x017F;entlichen mit dem Bilde <persName ref="http://d-nb.info/gnd/124713491">Altoviti</persName> überein&#x017F;timmte; die&#x017F;es un-<lb/>
geachtet der nothwendig allgemeineren Behandlung der Nebenfigur eines<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Bildes.</note>, &#x017F;o wird nichts weiter der Ueberzeu-<lb/>
gung entgegen&#x017F;tehen, welche die Schrift des <persName ref="nognd">Mi&#x017F;&#x017F;iri</persName> zu er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttern &#x017F;ucht.</p><lb/>
            <p><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> &#x017F;agt gelegentlich und &#x017F;ummari&#x017F;ch: &#x201E;<persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> malte<lb/>
die <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118654152">Beatrice</persName> aus <placeName>Ferrara</placeName> und andere Frauen, be&#x017F;onders &#x017F;eine<lb/>
eigene Geliebte, aber auch viele andere.&#x201C; Es &#x017F;cheint, daß<lb/>
viele die&#x017F;er Bildni&#x017F;&#x017F;e, als Studien, theils unvollendet geblie-<lb/>
ben, theils von &#x017F;einen Gehu&#x0364;lfen erga&#x0364;nzt worden &#x017F;ind. Denn<lb/>
es zeigt das &#x017F;cho&#x0364;ne jugendliche Bildniß der <persName ref="http://d-nb.info/gnd/142732516">Fornarina</persName>, zu<lb/><placeName>Florenz</placeName> in der Tribune der Gallerie, wo im verdunkelten<lb/>
Grunde das Jahr 1512 gele&#x017F;en wird, im Antlitz, in Bru&#x017F;t<lb/>
und Hand, eine ra&#x017F;che, augenblickliche Behandlung, hingegen<lb/>
in dem Gefa&#x0364;lte des weißen Hemdes kleinliche Em&#x017F;igkeit ohne<lb/>
deutliches Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß. Auch jene beiden <persName ref="http://d-nb.info/gnd/142732516">Fornarinen</persName> der<lb/>
Gallerieen Sciarra und Barberini &#x017F;ind bloße Studien des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0138] Uebrigens ſind die Bildniſſe dieſer guten alten Zeit durch- hin ſo gemaͤchlich ungezwungen, daß in dem Bildniſſe des Hauſes Altoviti die Spannung in dem Blicke, die Wendung des Kopfes uͤber die Schulter hin, nicht anders zu erklaͤren iſt, als eben aus der nothwendigen Stellung und Lage des Kuͤnſtlers, welcher ſich ſelbſt darſtellen mußte, wie er ſich ſah: mit kuͤnſtleriſchem Scharfblicke, in einer etwas gezwungenen Stellung, ſich ſelbſt ins Auge faſſend. Muß ich nun end- lich Wikars Behauptung, daß Raphaels Bildniß in der Schule von Athen dem unſrigen ganz ungleich ſey, ebenfalls durchaus ablehnen *), ſo wird nichts weiter der Ueberzeu- gung entgegenſtehen, welche die Schrift des Miſſiri zu er- ſchuͤttern ſucht. Vaſari ſagt gelegentlich und ſummariſch: „Raphael malte die Beatrice aus Ferrara und andere Frauen, beſonders ſeine eigene Geliebte, aber auch viele andere.“ Es ſcheint, daß viele dieſer Bildniſſe, als Studien, theils unvollendet geblie- ben, theils von ſeinen Gehuͤlfen ergaͤnzt worden ſind. Denn es zeigt das ſchoͤne jugendliche Bildniß der Fornarina, zu Florenz in der Tribune der Gallerie, wo im verdunkelten Grunde das Jahr 1512 geleſen wird, im Antlitz, in Bruſt und Hand, eine raſche, augenblickliche Behandlung, hingegen in dem Gefaͤlte des weißen Hemdes kleinliche Emſigkeit ohne deutliches Verſtaͤndniß. Auch jene beiden Fornarinen der Gallerieen Sciarra und Barberini ſind bloße Studien des *) Hr. Vinc. Camoccini ſandte vor längerer Zeit eine Chalke des genannten Kopfes nach München, welche bey genauerer Vergleichung in allem Weſentlichen mit dem Bilde Altoviti übereinſtimmte; dieſes un- geachtet der nothwendig allgemeineren Behandlung der Nebenfigur eines hiſtoriſchen Bildes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/138
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/138>, abgerufen am 28.04.2024.