Frescomalereyen, welche Vasari ohne alle Begründung durch Urkunden oder Aufschriften dem Cimabue beylegt, nebst anderen, von Neueren nach einem anmaßlichen Kennergefühle dem Giunta beygemessenen, noch immer, obwohl meist in schlechtem Stande vorhanden.
Diese Arbeiten müssen nach dem Jahre 1220. beschafft wor- den seyn, weil die Kirche vor dieser Zeit nicht vorhanden war; sie können nicht wohl über das Jahr 1300. hinausreichen, weil sie in roher Nachahmung der byzantinischen Manier ge- malt sind, welche, wie wir wissen, um das Jahr 1300., theils verbessert, theils gänzlich aus dem Geschmacke und aus der Kunstübung der Italiener verdrängt wurde. Wer indeß wei- ter gehen und in Malereyen, welche aus befangener Nachah- mung hochalterthümlicher Typen und Manieren hervorgegan- gen sind, in denen folglich höchstens ein ganz allgemeiner, ört- licher und zeitlicher Charakter vorhanden ist, schon die Eigen- thümlichkeit bestimmter Meister erkennen will, verschwendet seine Anstrengungen, verliert sich in eine fruchtlose und in so fern es von Belang ist, in geschichtlichen Dingen, Vermuthen und Wissen getrennt zu halten, auch nachtheilige Selbsttäu- schung. -- In dem Kataloge, Gallerie de Mr. Massias etc. Paris 1815. 8. p. 147. pl. 71. wird ein Bildniß im Ge- schmack und in der Bekleidung der späteren Hälfte des funf- zehnten Jahrhundertes für ein Werk unseres Cimabue ausge- geben. L'execution de ce portrait, versichert der Pariser, remonte au 13me Siecle etc. So keck und frech ist die kunsthistorische Lüge selbst in diesem großen Mittelpunkte der Kennerschaft und des Kunsthandels!
Es ist in der That eben so unmöglich, als unwichtig, bey allen noch vorhandenen Malereyen des dreyzehnten Jahr-
Frescomalereyen, welche Vaſari ohne alle Begruͤndung durch Urkunden oder Aufſchriften dem Cimabue beylegt, nebſt anderen, von Neueren nach einem anmaßlichen Kennergefuͤhle dem Giunta beygemeſſenen, noch immer, obwohl meiſt in ſchlechtem Stande vorhanden.
Dieſe Arbeiten muͤſſen nach dem Jahre 1220. beſchafft wor- den ſeyn, weil die Kirche vor dieſer Zeit nicht vorhanden war; ſie koͤnnen nicht wohl uͤber das Jahr 1300. hinausreichen, weil ſie in roher Nachahmung der byzantiniſchen Manier ge- malt ſind, welche, wie wir wiſſen, um das Jahr 1300., theils verbeſſert, theils gaͤnzlich aus dem Geſchmacke und aus der Kunſtuͤbung der Italiener verdraͤngt wurde. Wer indeß wei- ter gehen und in Malereyen, welche aus befangener Nachah- mung hochalterthuͤmlicher Typen und Manieren hervorgegan- gen ſind, in denen folglich hoͤchſtens ein ganz allgemeiner, oͤrt- licher und zeitlicher Charakter vorhanden iſt, ſchon die Eigen- thuͤmlichkeit beſtimmter Meiſter erkennen will, verſchwendet ſeine Anſtrengungen, verliert ſich in eine fruchtloſe und in ſo fern es von Belang iſt, in geſchichtlichen Dingen, Vermuthen und Wiſſen getrennt zu halten, auch nachtheilige Selbſttaͤu- ſchung. — In dem Kataloge, Gallerie de Mr. Massias etc. Paris 1815. 8. p. 147. pl. 71. wird ein Bildniß im Ge- ſchmack und in der Bekleidung der ſpaͤteren Haͤlfte des funf- zehnten Jahrhundertes fuͤr ein Werk unſeres Cimabue ausge- geben. L’exécution de ce portrait, verſichert der Pariſer, remonte au 13me Siècle etc. So keck und frech iſt die kunſthiſtoriſche Luͤge ſelbſt in dieſem großen Mittelpunkte der Kennerſchaft und des Kunſthandels!
Es iſt in der That eben ſo unmoͤglich, als unwichtig, bey allen noch vorhandenen Malereyen des dreyzehnten Jahr-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0055"n="37"/>
Frescomalereyen, welche <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName> ohne alle Begruͤndung durch<lb/>
Urkunden oder Aufſchriften dem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119138883">Cimabue</persName> beylegt, nebſt anderen,<lb/>
von Neueren nach einem anmaßlichen Kennergefuͤhle dem <persNameref="vocab.getty.edu/ulan/500010959">Giunta</persName><lb/>
beygemeſſenen, noch immer, obwohl meiſt in ſchlechtem Stande<lb/>
vorhanden.</p><lb/><p>Dieſe Arbeiten muͤſſen nach dem Jahre 1220. beſchafft wor-<lb/>
den ſeyn, weil die Kirche vor dieſer Zeit nicht vorhanden war;<lb/>ſie koͤnnen nicht wohl uͤber das Jahr 1300. hinausreichen,<lb/>
weil ſie in roher Nachahmung der byzantiniſchen Manier ge-<lb/>
malt ſind, welche, wie wir wiſſen, um das Jahr 1300., theils<lb/>
verbeſſert, theils gaͤnzlich aus dem Geſchmacke und aus der<lb/>
Kunſtuͤbung der Italiener verdraͤngt wurde. Wer indeß wei-<lb/>
ter gehen und in Malereyen, welche aus befangener Nachah-<lb/>
mung hochalterthuͤmlicher Typen und Manieren hervorgegan-<lb/>
gen ſind, in denen folglich hoͤchſtens ein ganz allgemeiner, oͤrt-<lb/>
licher und zeitlicher Charakter vorhanden iſt, ſchon die Eigen-<lb/>
thuͤmlichkeit beſtimmter Meiſter erkennen will, verſchwendet<lb/>ſeine Anſtrengungen, verliert ſich in eine fruchtloſe und in ſo<lb/>
fern es von Belang iſt, in geſchichtlichen Dingen, Vermuthen<lb/>
und Wiſſen getrennt zu halten, auch nachtheilige Selbſttaͤu-<lb/>ſchung. — In dem Kataloge, <hirendition="#aq">Gallerie de <persNameref="nognd">Mr. Massias</persName> etc.<lb/><placeName>Paris</placeName> 1815. 8. p. 147. pl. 71.</hi> wird ein Bildniß im Ge-<lb/>ſchmack und in der Bekleidung der ſpaͤteren Haͤlfte des funf-<lb/>
zehnten Jahrhundertes fuͤr ein Werk unſeres <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119138883">Cimabue</persName> ausge-<lb/>
geben. <hirendition="#aq">L’exécution de ce portrait,</hi> verſichert der Pariſer,<lb/><hirendition="#aq">remonte au 13me Siècle etc.</hi> So keck und frech iſt die<lb/>
kunſthiſtoriſche Luͤge ſelbſt in dieſem großen Mittelpunkte der<lb/>
Kennerſchaft und des Kunſthandels!</p><lb/><p>Es iſt in der That eben ſo unmoͤglich, als unwichtig,<lb/>
bey allen noch vorhandenen Malereyen des dreyzehnten Jahr-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[37/0055]
Frescomalereyen, welche Vaſari ohne alle Begruͤndung durch
Urkunden oder Aufſchriften dem Cimabue beylegt, nebſt anderen,
von Neueren nach einem anmaßlichen Kennergefuͤhle dem Giunta
beygemeſſenen, noch immer, obwohl meiſt in ſchlechtem Stande
vorhanden.
Dieſe Arbeiten muͤſſen nach dem Jahre 1220. beſchafft wor-
den ſeyn, weil die Kirche vor dieſer Zeit nicht vorhanden war;
ſie koͤnnen nicht wohl uͤber das Jahr 1300. hinausreichen,
weil ſie in roher Nachahmung der byzantiniſchen Manier ge-
malt ſind, welche, wie wir wiſſen, um das Jahr 1300., theils
verbeſſert, theils gaͤnzlich aus dem Geſchmacke und aus der
Kunſtuͤbung der Italiener verdraͤngt wurde. Wer indeß wei-
ter gehen und in Malereyen, welche aus befangener Nachah-
mung hochalterthuͤmlicher Typen und Manieren hervorgegan-
gen ſind, in denen folglich hoͤchſtens ein ganz allgemeiner, oͤrt-
licher und zeitlicher Charakter vorhanden iſt, ſchon die Eigen-
thuͤmlichkeit beſtimmter Meiſter erkennen will, verſchwendet
ſeine Anſtrengungen, verliert ſich in eine fruchtloſe und in ſo
fern es von Belang iſt, in geſchichtlichen Dingen, Vermuthen
und Wiſſen getrennt zu halten, auch nachtheilige Selbſttaͤu-
ſchung. — In dem Kataloge, Gallerie de Mr. Massias etc.
Paris 1815. 8. p. 147. pl. 71. wird ein Bildniß im Ge-
ſchmack und in der Bekleidung der ſpaͤteren Haͤlfte des funf-
zehnten Jahrhundertes fuͤr ein Werk unſeres Cimabue ausge-
geben. L’exécution de ce portrait, verſichert der Pariſer,
remonte au 13me Siècle etc. So keck und frech iſt die
kunſthiſtoriſche Luͤge ſelbſt in dieſem großen Mittelpunkte der
Kennerſchaft und des Kunſthandels!
Es iſt in der That eben ſo unmoͤglich, als unwichtig,
bey allen noch vorhandenen Malereyen des dreyzehnten Jahr-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/55>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.