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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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convento entlegen ist. Von dort aus, wo man ohnehin anzu-
halten pflegt, führt ein gebahnter Weg nach dem wohlbelege-
nen, schön gebauten Kloster hinauf, wo die gastlichen Ordens-
geistlichen den Ankommenden Erfrischungen zu reichen bereit
sind, das erdenklich beste Brodt, den reinsten und reifesten Wein,
des köstlichen, balsamischen Oeles nicht zu gedenken. Wie
wäre es möglich, so mannichfaltigen Lockungen zu widerstehen?
Indeß überlassen die meisten Reisenden die Eintheilung ihres
Weges den Anordnungen der Lohnkutscher, was sie allerdings
der Mühe überhebt, zu überlegen und sich selbst zu bestimmen.

Der große Hof dieses Klosters enthält sechsunddreißig
bemalte Mauerflächen, Lunetten, wie die Italiener solche halb-
rund beschlossene Bilder zu nennen pflegen. Den größesten
Theil dieser Arbeit beschaffte ein sienesischer Maler, Giovann
Antonio Razzi
, dessen Talent meist nach seinen späteren, flüch-
tigeren Arbeiten zu Rom und Siena abgemessen wird, denen
allerdings der Reiz und Formensinn nicht abzusprechen ist,
wohl aber Gediegenheit der Ausbildung, Styl und begeistertes
Eingehn in das Wesen seiner jedesmaligen Aufgabe. Da nun
auch Vasari gegen diesen Künstler, dem er einen üblen Na-
men gemacht hat, ich weiß nicht aus welchem Grunde gereizt
war *), so vereinigte sich Vieles, ihm in den Augen unserer

*) Vasari, vita di Gio. Ant. detto il Soddoma. Er behauptet
darin: Razzi sey nur bey dem Pöbel seiner Vaterstadt in Ansehn
gestanden; er habe die Arbeit in Monte Uliveto erbettelt; die
Mönche daselbst haben ihn den: Mattaccio genannt. Von seinen
Arbeiten im Vatican sagt er: ma perche questo animale, atten-
dendo alle sue bestivole et alle baje, non tirava il lavoro innanzi
etc.
-- In diesem einzigen Leben ist Vasari unwürdig. Er selbst,
oder nur sein Berichtgeber, mochte persönliche Veranlassung haben,
den Razzi zu hassen.
II. 25

convento entlegen iſt. Von dort aus, wo man ohnehin anzu-
halten pflegt, fuͤhrt ein gebahnter Weg nach dem wohlbelege-
nen, ſchoͤn gebauten Kloſter hinauf, wo die gaſtlichen Ordens-
geiſtlichen den Ankommenden Erfriſchungen zu reichen bereit
ſind, das erdenklich beſte Brodt, den reinſten und reifeſten Wein,
des koͤſtlichen, balſamiſchen Oeles nicht zu gedenken. Wie
waͤre es moͤglich, ſo mannichfaltigen Lockungen zu widerſtehen?
Indeß uͤberlaſſen die meiſten Reiſenden die Eintheilung ihres
Weges den Anordnungen der Lohnkutſcher, was ſie allerdings
der Muͤhe uͤberhebt, zu uͤberlegen und ſich ſelbſt zu beſtimmen.

Der große Hof dieſes Kloſters enthaͤlt ſechsunddreißig
bemalte Mauerflaͤchen, Lunetten, wie die Italiener ſolche halb-
rund beſchloſſene Bilder zu nennen pflegen. Den groͤßeſten
Theil dieſer Arbeit beſchaffte ein ſieneſiſcher Maler, Giovann
Antonio Razzi
, deſſen Talent meiſt nach ſeinen ſpaͤteren, fluͤch-
tigeren Arbeiten zu Rom und Siena abgemeſſen wird, denen
allerdings der Reiz und Formenſinn nicht abzuſprechen iſt,
wohl aber Gediegenheit der Ausbildung, Styl und begeiſtertes
Eingehn in das Weſen ſeiner jedesmaligen Aufgabe. Da nun
auch Vaſari gegen dieſen Kuͤnſtler, dem er einen uͤblen Na-
men gemacht hat, ich weiß nicht aus welchem Grunde gereizt
war *), ſo vereinigte ſich Vieles, ihm in den Augen unſerer

*) Vasari, vita di Gio. Ant. detto il Soddoma. Er behauptet
darin: Razzi ſey nur bey dem Poͤbel ſeiner Vaterſtadt in Anſehn
geſtanden; er habe die Arbeit in Monte Uliveto erbettelt; die
Moͤnche daſelbſt haben ihn den: Mattaccio genannt. Von ſeinen
Arbeiten im Vatican ſagt er: ma perchè questo animale, atten-
dendo alle sue bestivole et alle baje, non tirava il lavoro innanzi
etc.
— In dieſem einzigen Leben iſt Vaſari unwuͤrdig. Er ſelbſt,
oder nur ſein Berichtgeber, mochte perſoͤnliche Veranlaſſung haben,
den Razzi zu haſſen.
II. 25
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[385/0403] convento entlegen iſt. Von dort aus, wo man ohnehin anzu- halten pflegt, fuͤhrt ein gebahnter Weg nach dem wohlbelege- nen, ſchoͤn gebauten Kloſter hinauf, wo die gaſtlichen Ordens- geiſtlichen den Ankommenden Erfriſchungen zu reichen bereit ſind, das erdenklich beſte Brodt, den reinſten und reifeſten Wein, des koͤſtlichen, balſamiſchen Oeles nicht zu gedenken. Wie waͤre es moͤglich, ſo mannichfaltigen Lockungen zu widerſtehen? Indeß uͤberlaſſen die meiſten Reiſenden die Eintheilung ihres Weges den Anordnungen der Lohnkutſcher, was ſie allerdings der Muͤhe uͤberhebt, zu uͤberlegen und ſich ſelbſt zu beſtimmen. Der große Hof dieſes Kloſters enthaͤlt ſechsunddreißig bemalte Mauerflaͤchen, Lunetten, wie die Italiener ſolche halb- rund beſchloſſene Bilder zu nennen pflegen. Den groͤßeſten Theil dieſer Arbeit beſchaffte ein ſieneſiſcher Maler, Giovann Antonio Razzi, deſſen Talent meiſt nach ſeinen ſpaͤteren, fluͤch- tigeren Arbeiten zu Rom und Siena abgemeſſen wird, denen allerdings der Reiz und Formenſinn nicht abzuſprechen iſt, wohl aber Gediegenheit der Ausbildung, Styl und begeiſtertes Eingehn in das Weſen ſeiner jedesmaligen Aufgabe. Da nun auch Vaſari gegen dieſen Kuͤnſtler, dem er einen uͤblen Na- men gemacht hat, ich weiß nicht aus welchem Grunde gereizt war *), ſo vereinigte ſich Vieles, ihm in den Augen unſerer *) Vasari, vita di Gio. Ant. detto il Soddoma. Er behauptet darin: Razzi ſey nur bey dem Poͤbel ſeiner Vaterſtadt in Anſehn geſtanden; er habe die Arbeit in Monte Uliveto erbettelt; die Moͤnche daſelbſt haben ihn den: Mattaccio genannt. Von ſeinen Arbeiten im Vatican ſagt er: ma perchè questo animale, atten- dendo alle sue bestivole et alle baje, non tirava il lavoro innanzi etc. — In dieſem einzigen Leben iſt Vaſari unwuͤrdig. Er ſelbſt, oder nur ſein Berichtgeber, mochte perſoͤnliche Veranlaſſung haben, den Razzi zu haſſen. II. 25

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/403>, abgerufen am 03.05.2024.