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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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ren und Einwirkungen seines Meisters verdanke; hingegen die
gründliche Durchbildung seiner Darstellung, jenem offenen, hei-
teren, allseitigen Natursinn, den er im Wetteifer mit seinen
florentinischen Zeitgenossen, wenn nicht erwarb, doch weiter
ausbildete. Der Gang seiner Entwickelung war im Ganzen
jenem gleich, den sein Lehrer um etwa dreißig Jahre früher
eingeschlagen hatte. Indeß hatten die Umstände sich verän-
dert. Als Raphael nach Florenz kam, war bereits durch Lio-
nardo
, bald auch durch Michelangelo einem bestimmteren ana-
tomischen Wissen die Bahn gebrochen, hatte man eben begon-
nen im Einzelnen auch das Allgemeine aufzufinden, und vom
Allgemeinen ausgehend, auch wiederum das Einzelne behender,
sicherer, gründlicher aufzufassen. Von dem an war es zuerst
möglich geworden, inmitten der mannichfaltigsten Beobachtun-
gen und Studien die Idee der Aufgabe, die vorwaltende
Stimmung des eigenen Gemüthes ungestört festzuhalten, strenge
Beachtung des Herkömmlichen, tiefes Eingehn in die Idee der
Aufgabe, Eigenthümlichkeit des Gefühles und Sinnes mit ei-
ner, bis dahin unbekannten Klarheit und Umständlichkeit der
Darstellung zu vereinigen. Der schönste, der wahre Genius
der neueren Kunst begann demnach seine Laufbahn unter den
glücklichsten Umständen; durch seinen Meister zu strenger Auf-
fassung seiner Aufgaben angeleitet, durch seine übrigen Zeitge-
nossen zu tieferem Eindringen in die Gesetze des sich Gestal-
tens und Erscheinens angespornt, als jenem jemals gelingen
konnte, mußte er, da die Natur mit seltener Freygebigkeit das
Uebrige ihm verliehen hatte, dahinkommen, der gesammten
Malerey neuerer Zeiten als ein allgemeines Muster vorzuschwe-
ben. Hätte man nur, anstatt sein nothwendig unerreichbares
Eigenthümliche nachzuahmen, vielmehr seine Bahn einschlagen

ren und Einwirkungen ſeines Meiſters verdanke; hingegen die
gruͤndliche Durchbildung ſeiner Darſtellung, jenem offenen, hei-
teren, allſeitigen Naturſinn, den er im Wetteifer mit ſeinen
florentiniſchen Zeitgenoſſen, wenn nicht erwarb, doch weiter
ausbildete. Der Gang ſeiner Entwickelung war im Ganzen
jenem gleich, den ſein Lehrer um etwa dreißig Jahre fruͤher
eingeſchlagen hatte. Indeß hatten die Umſtaͤnde ſich veraͤn-
dert. Als Raphael nach Florenz kam, war bereits durch Lio-
nardo
, bald auch durch Michelangelo einem beſtimmteren ana-
tomiſchen Wiſſen die Bahn gebrochen, hatte man eben begon-
nen im Einzelnen auch das Allgemeine aufzufinden, und vom
Allgemeinen ausgehend, auch wiederum das Einzelne behender,
ſicherer, gruͤndlicher aufzufaſſen. Von dem an war es zuerſt
moͤglich geworden, inmitten der mannichfaltigſten Beobachtun-
gen und Studien die Idee der Aufgabe, die vorwaltende
Stimmung des eigenen Gemuͤthes ungeſtoͤrt feſtzuhalten, ſtrenge
Beachtung des Herkoͤmmlichen, tiefes Eingehn in die Idee der
Aufgabe, Eigenthuͤmlichkeit des Gefuͤhles und Sinnes mit ei-
ner, bis dahin unbekannten Klarheit und Umſtaͤndlichkeit der
Darſtellung zu vereinigen. Der ſchoͤnſte, der wahre Genius
der neueren Kunſt begann demnach ſeine Laufbahn unter den
gluͤcklichſten Umſtaͤnden; durch ſeinen Meiſter zu ſtrenger Auf-
faſſung ſeiner Aufgaben angeleitet, durch ſeine uͤbrigen Zeitge-
noſſen zu tieferem Eindringen in die Geſetze des ſich Geſtal-
tens und Erſcheinens angeſpornt, als jenem jemals gelingen
konnte, mußte er, da die Natur mit ſeltener Freygebigkeit das
Uebrige ihm verliehen hatte, dahinkommen, der geſammten
Malerey neuerer Zeiten als ein allgemeines Muſter vorzuſchwe-
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[350/0368] ren und Einwirkungen ſeines Meiſters verdanke; hingegen die gruͤndliche Durchbildung ſeiner Darſtellung, jenem offenen, hei- teren, allſeitigen Naturſinn, den er im Wetteifer mit ſeinen florentiniſchen Zeitgenoſſen, wenn nicht erwarb, doch weiter ausbildete. Der Gang ſeiner Entwickelung war im Ganzen jenem gleich, den ſein Lehrer um etwa dreißig Jahre fruͤher eingeſchlagen hatte. Indeß hatten die Umſtaͤnde ſich veraͤn- dert. Als Raphael nach Florenz kam, war bereits durch Lio- nardo, bald auch durch Michelangelo einem beſtimmteren ana- tomiſchen Wiſſen die Bahn gebrochen, hatte man eben begon- nen im Einzelnen auch das Allgemeine aufzufinden, und vom Allgemeinen ausgehend, auch wiederum das Einzelne behender, ſicherer, gruͤndlicher aufzufaſſen. Von dem an war es zuerſt moͤglich geworden, inmitten der mannichfaltigſten Beobachtun- gen und Studien die Idee der Aufgabe, die vorwaltende Stimmung des eigenen Gemuͤthes ungeſtoͤrt feſtzuhalten, ſtrenge Beachtung des Herkoͤmmlichen, tiefes Eingehn in die Idee der Aufgabe, Eigenthuͤmlichkeit des Gefuͤhles und Sinnes mit ei- ner, bis dahin unbekannten Klarheit und Umſtaͤndlichkeit der Darſtellung zu vereinigen. Der ſchoͤnſte, der wahre Genius der neueren Kunſt begann demnach ſeine Laufbahn unter den gluͤcklichſten Umſtaͤnden; durch ſeinen Meiſter zu ſtrenger Auf- faſſung ſeiner Aufgaben angeleitet, durch ſeine uͤbrigen Zeitge- noſſen zu tieferem Eindringen in die Geſetze des ſich Geſtal- tens und Erſcheinens angeſpornt, als jenem jemals gelingen konnte, mußte er, da die Natur mit ſeltener Freygebigkeit das Uebrige ihm verliehen hatte, dahinkommen, der geſammten Malerey neuerer Zeiten als ein allgemeines Muſter vorzuſchwe- ben. Haͤtte man nur, anſtatt ſein nothwendig unerreichbares Eigenthuͤmliche nachzuahmen, vielmehr ſeine Bahn einſchlagen

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/368>, abgerufen am 22.11.2024.