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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Ebenbild im Mittelstücke; der Künstler läßt sie von einem
geheimen Schauer überraschen, welcher meisterlich ausgedrückt
ist. Die Engel in der Pieta des Gipfels sind so ausdrucks-
voll, daß sie unwillkührlich an jene gegenwärtig verlorenen
des Niccolo erinnern, deren schmerzlichen Ausdruck Vasari
für unübertrefflich hielt. Die Ausführung ist beendigt, doch
ohne Härte und Trockenheit; der Hauptton, dem die Zeit
möchte nachgeholfen haben, fällt in das Bräunliche *).

Um so weit zu kommen, mußte Bernardino schon eine
längere Zeit gearbeitet haben, ob in Gesellschaft des Perugino,
oder für eigene Rechnung, ist nicht wohl zu entscheiden, so
lange das erste bloß auf einer Angabe des Vasari beruhet,
für das andere aber keine Beyspiele bekannt sind. Vielleicht
arbeitete er in seiner Jugend für die kleineren Ortschaften des
Landes, wo noch so Vieles zu entdecken ist; vielleicht traf
seine früheren Arbeiten eben jenes Mißgeschick, welches die
Leistungen des Fiorenzo bis auf wenige Proben seines Talen-
tes vernichtet hat. Gewiß kenne ich unter den zahlreichen
Werken des Pinturicchio nur ein Einziges, seiner äußeren
Verschiedenheit ungeachtet, dem Werthe jenes Bildes der Aka-
demie zu Perugia sich annäherndes: die Mauergemälde der
Kappelle des Hl. Bernhardin in der Kirche ara coeli zu
Rom, am kapitolinischen Hügel. Vielleicht trifft diese Arbeit
der Vorwurf einer ungleichen, bald überfüllten, bald zu lufti-
gen Austheilung des Raumes. Die Charakterköpfe sind in-

*) Die Urkunde der Bestellung dieses Bildes findet sich bey
Mariotti, Lettere Perug. Lett. IX. p. 220. s. Anm. 1. -- Dieser
redliche Forscher, vereinigt in diesem Briefe viele umständliche und
urkundliche Nachrichten über das Leben, die Leistungen, die Be-
günstigungen des Pinturicchio, welche der Beachtung werth sind.

Ebenbild im Mittelſtuͤcke; der Kuͤnſtler laͤßt ſie von einem
geheimen Schauer uͤberraſchen, welcher meiſterlich ausgedruͤckt
iſt. Die Engel in der Pietà des Gipfels ſind ſo ausdrucks-
voll, daß ſie unwillkuͤhrlich an jene gegenwaͤrtig verlorenen
des Niccolò erinnern, deren ſchmerzlichen Ausdruck Vaſari
fuͤr unuͤbertrefflich hielt. Die Ausfuͤhrung iſt beendigt, doch
ohne Haͤrte und Trockenheit; der Hauptton, dem die Zeit
moͤchte nachgeholfen haben, faͤllt in das Braͤunliche *).

Um ſo weit zu kommen, mußte Bernardino ſchon eine
laͤngere Zeit gearbeitet haben, ob in Geſellſchaft des Perugino,
oder fuͤr eigene Rechnung, iſt nicht wohl zu entſcheiden, ſo
lange das erſte bloß auf einer Angabe des Vaſari beruhet,
fuͤr das andere aber keine Beyſpiele bekannt ſind. Vielleicht
arbeitete er in ſeiner Jugend fuͤr die kleineren Ortſchaften des
Landes, wo noch ſo Vieles zu entdecken iſt; vielleicht traf
ſeine fruͤheren Arbeiten eben jenes Mißgeſchick, welches die
Leiſtungen des Fiorenzo bis auf wenige Proben ſeines Talen-
tes vernichtet hat. Gewiß kenne ich unter den zahlreichen
Werken des Pinturicchio nur ein Einziges, ſeiner aͤußeren
Verſchiedenheit ungeachtet, dem Werthe jenes Bildes der Aka-
demie zu Perugia ſich annaͤherndes: die Mauergemaͤlde der
Kappelle des Hl. Bernhardin in der Kirche ara coeli zu
Rom, am kapitoliniſchen Huͤgel. Vielleicht trifft dieſe Arbeit
der Vorwurf einer ungleichen, bald uͤberfuͤllten, bald zu lufti-
gen Austheilung des Raumes. Die Charakterkoͤpfe ſind in-

*) Die Urkunde der Beſtellung dieſes Bildes findet ſich bey
Mariotti, Lettere Perug. Lett. IX. p. 220. ſ. Anm. 1. — Dieſer
redliche Forſcher, vereinigt in dieſem Briefe viele umſtaͤndliche und
urkundliche Nachrichten uͤber das Leben, die Leiſtungen, die Be-
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[332/0350] Ebenbild im Mittelſtuͤcke; der Kuͤnſtler laͤßt ſie von einem geheimen Schauer uͤberraſchen, welcher meiſterlich ausgedruͤckt iſt. Die Engel in der Pietà des Gipfels ſind ſo ausdrucks- voll, daß ſie unwillkuͤhrlich an jene gegenwaͤrtig verlorenen des Niccolò erinnern, deren ſchmerzlichen Ausdruck Vaſari fuͤr unuͤbertrefflich hielt. Die Ausfuͤhrung iſt beendigt, doch ohne Haͤrte und Trockenheit; der Hauptton, dem die Zeit moͤchte nachgeholfen haben, faͤllt in das Braͤunliche *). Um ſo weit zu kommen, mußte Bernardino ſchon eine laͤngere Zeit gearbeitet haben, ob in Geſellſchaft des Perugino, oder fuͤr eigene Rechnung, iſt nicht wohl zu entſcheiden, ſo lange das erſte bloß auf einer Angabe des Vaſari beruhet, fuͤr das andere aber keine Beyſpiele bekannt ſind. Vielleicht arbeitete er in ſeiner Jugend fuͤr die kleineren Ortſchaften des Landes, wo noch ſo Vieles zu entdecken iſt; vielleicht traf ſeine fruͤheren Arbeiten eben jenes Mißgeſchick, welches die Leiſtungen des Fiorenzo bis auf wenige Proben ſeines Talen- tes vernichtet hat. Gewiß kenne ich unter den zahlreichen Werken des Pinturicchio nur ein Einziges, ſeiner aͤußeren Verſchiedenheit ungeachtet, dem Werthe jenes Bildes der Aka- demie zu Perugia ſich annaͤherndes: die Mauergemaͤlde der Kappelle des Hl. Bernhardin in der Kirche ara coeli zu Rom, am kapitoliniſchen Huͤgel. Vielleicht trifft dieſe Arbeit der Vorwurf einer ungleichen, bald uͤberfuͤllten, bald zu lufti- gen Austheilung des Raumes. Die Charakterkoͤpfe ſind in- *) Die Urkunde der Beſtellung dieſes Bildes findet ſich bey Mariotti, Lettere Perug. Lett. IX. p. 220. ſ. Anm. 1. — Dieſer redliche Forſcher, vereinigt in dieſem Briefe viele umſtaͤndliche und urkundliche Nachrichten uͤber das Leben, die Leiſtungen, die Be- guͤnſtigungen des Pinturicchio, welche der Beachtung werth ſind.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/350>, abgerufen am 17.05.2024.