Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

verleihen, den mittleren aber bey hinreißender Schönheit der
Form und Anmuth der Gebehrde, doch eine gewisse Ehrfurcht
gebietende Miene und Haltung zu geben.

Wäre es ausgemacht, daß Peter von Perugia, wie Va-
sari
angiebt, beym Andrea del Verocchio gelernt, oder doch,
wie es wahrscheinlicher ist, unter dessen Leitung sich vervoll-
kommnet habe: so dürfte es nahe liegen, jene zartere, inni-
gere Auffassung modern christlicher Aufgaben, welche die Ge-
mälde des Lionardo günstig von denen seiner florentinischen
Zeitgenossen unterscheidet, aus Anregungen abzuleiten, welche
Peter aus der umbrischen, in die Schule des Verocchio ver-
pflanzt haben könnte. Gewiß verlebte Perugino einen Theil
seiner frischesten Jahre zu Florenz; gewiß bemühte er sich
eben damals die Objectivität der Florentiner mit den entge-
gengesetzten Eigenthümlichkeiten der umbrischen Malerschulen
zu verschmelzen.

Diese letzten hatten seit der Mitte des funfzehnten Jahr-
hundertes, vielleicht schon ungleich früher, durch Tiefe und
Zartheit des Gefühles, durch eine wunderbare Vereinigung
halbdeutlicher Reminiscenzen aus den Kunstbestrebungen der
ältesten Christen mit den milderen Vorstellungen der neueren,
über ihre toscanischen, lombardischen und venezianischen Zeit-
genossen, ungeachtet vieler technischen Unvollkommenheiten, ei-
nen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube,
jedes Herz sich öffnet; obwohl ihre, an sich selbst schöne und
lobenswerthe Stimmung auf die Länge durch Einförmigkeit
zu ermüden pflegt. Woher eben diesem engen Bezirke Italiens
eine so ganz eigenthümliche Richtung gekommen sey, habe ich
oben, dort freylich noch ohne zulängliche Beweise, aus der
Einwirkung des Sienesers Taddeo Bartoli auf den Bezirk von

verleihen, den mittleren aber bey hinreißender Schoͤnheit der
Form und Anmuth der Gebehrde, doch eine gewiſſe Ehrfurcht
gebietende Miene und Haltung zu geben.

Waͤre es ausgemacht, daß Peter von Perugia, wie Va-
ſari
angiebt, beym Andrea del Verocchio gelernt, oder doch,
wie es wahrſcheinlicher iſt, unter deſſen Leitung ſich vervoll-
kommnet habe: ſo duͤrfte es nahe liegen, jene zartere, inni-
gere Auffaſſung modern chriſtlicher Aufgaben, welche die Ge-
maͤlde des Lionardo guͤnſtig von denen ſeiner florentiniſchen
Zeitgenoſſen unterſcheidet, aus Anregungen abzuleiten, welche
Peter aus der umbriſchen, in die Schule des Verocchio ver-
pflanzt haben koͤnnte. Gewiß verlebte Perugino einen Theil
ſeiner friſcheſten Jahre zu Florenz; gewiß bemuͤhte er ſich
eben damals die Objectivitaͤt der Florentiner mit den entge-
gengeſetzten Eigenthuͤmlichkeiten der umbriſchen Malerſchulen
zu verſchmelzen.

Dieſe letzten hatten ſeit der Mitte des funfzehnten Jahr-
hundertes, vielleicht ſchon ungleich fruͤher, durch Tiefe und
Zartheit des Gefuͤhles, durch eine wunderbare Vereinigung
halbdeutlicher Reminiſcenzen aus den Kunſtbeſtrebungen der
aͤlteſten Chriſten mit den milderen Vorſtellungen der neueren,
uͤber ihre toscaniſchen, lombardiſchen und venezianiſchen Zeit-
genoſſen, ungeachtet vieler techniſchen Unvollkommenheiten, ei-
nen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube,
jedes Herz ſich oͤffnet; obwohl ihre, an ſich ſelbſt ſchoͤne und
lobenswerthe Stimmung auf die Laͤnge durch Einfoͤrmigkeit
zu ermuͤden pflegt. Woher eben dieſem engen Bezirke Italiens
eine ſo ganz eigenthuͤmliche Richtung gekommen ſey, habe ich
oben, dort freylich noch ohne zulaͤngliche Beweiſe, aus der
Einwirkung des Sieneſers Taddeo Bartoli auf den Bezirk von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0328" n="310"/>
verleihen, den mittleren aber bey hinreißender Scho&#x0364;nheit der<lb/>
Form und Anmuth der Gebehrde, doch eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ehrfurcht<lb/>
gebietende Miene und Haltung zu geben.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;re es ausgemacht, daß <persName ref="vocab.getty.edu/ulan/500024544">Peter von Perugia</persName>, wie <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va-<lb/>
&#x017F;ari</persName> angiebt, beym <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118768158">Andrea del Verocchio</persName> gelernt, oder doch,<lb/>
wie es wahr&#x017F;cheinlicher i&#x017F;t, unter de&#x017F;&#x017F;en Leitung &#x017F;ich vervoll-<lb/>
kommnet habe: &#x017F;o du&#x0364;rfte es nahe liegen, jene zartere, inni-<lb/>
gere Auffa&#x017F;&#x017F;ung modern chri&#x017F;tlicher Aufgaben, welche die Ge-<lb/>
ma&#x0364;lde des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo</persName> gu&#x0364;n&#x017F;tig von denen &#x017F;einer florentini&#x017F;chen<lb/>
Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en unter&#x017F;cheidet, aus Anregungen abzuleiten, welche<lb/><persName ref="vocab.getty.edu/ulan/500024544">Peter</persName> aus der umbri&#x017F;chen, in die Schule des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118768158">Verocchio</persName> ver-<lb/>
pflanzt haben ko&#x0364;nnte. Gewiß verlebte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119091771">Perugino</persName> einen Theil<lb/>
&#x017F;einer fri&#x017F;che&#x017F;ten Jahre zu <placeName>Florenz</placeName>; gewiß bemu&#x0364;hte er &#x017F;ich<lb/>
eben damals die Objectivita&#x0364;t der Florentiner mit den entge-<lb/>
genge&#x017F;etzten Eigenthu&#x0364;mlichkeiten der umbri&#x017F;chen Maler&#x017F;chulen<lb/>
zu ver&#x017F;chmelzen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e letzten hatten &#x017F;eit der Mitte des funfzehnten Jahr-<lb/>
hundertes, vielleicht &#x017F;chon ungleich fru&#x0364;her, durch Tiefe und<lb/>
Zartheit des Gefu&#x0364;hles, durch eine wunderbare Vereinigung<lb/>
halbdeutlicher Remini&#x017F;cenzen aus den Kun&#x017F;tbe&#x017F;trebungen der<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;ten Chri&#x017F;ten mit den milderen Vor&#x017F;tellungen der neueren,<lb/>
u&#x0364;ber ihre toscani&#x017F;chen, lombardi&#x017F;chen und veneziani&#x017F;chen Zeit-<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en, ungeachtet vieler techni&#x017F;chen Unvollkommenheiten, ei-<lb/>
nen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube,<lb/>
jedes Herz &#x017F;ich o&#x0364;ffnet; obwohl ihre, an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;ne und<lb/>
lobenswerthe Stimmung auf die La&#x0364;nge durch Einfo&#x0364;rmigkeit<lb/>
zu ermu&#x0364;den pflegt. Woher eben die&#x017F;em engen Bezirke <placeName>Italiens</placeName><lb/>
eine &#x017F;o ganz eigenthu&#x0364;mliche Richtung gekommen &#x017F;ey, habe ich<lb/>
oben, dort freylich noch ohne zula&#x0364;ngliche Bewei&#x017F;e, aus der<lb/>
Einwirkung des Siene&#x017F;ers <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118716077">Taddeo Bartoli</persName> auf den Bezirk von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0328] verleihen, den mittleren aber bey hinreißender Schoͤnheit der Form und Anmuth der Gebehrde, doch eine gewiſſe Ehrfurcht gebietende Miene und Haltung zu geben. Waͤre es ausgemacht, daß Peter von Perugia, wie Va- ſari angiebt, beym Andrea del Verocchio gelernt, oder doch, wie es wahrſcheinlicher iſt, unter deſſen Leitung ſich vervoll- kommnet habe: ſo duͤrfte es nahe liegen, jene zartere, inni- gere Auffaſſung modern chriſtlicher Aufgaben, welche die Ge- maͤlde des Lionardo guͤnſtig von denen ſeiner florentiniſchen Zeitgenoſſen unterſcheidet, aus Anregungen abzuleiten, welche Peter aus der umbriſchen, in die Schule des Verocchio ver- pflanzt haben koͤnnte. Gewiß verlebte Perugino einen Theil ſeiner friſcheſten Jahre zu Florenz; gewiß bemuͤhte er ſich eben damals die Objectivitaͤt der Florentiner mit den entge- gengeſetzten Eigenthuͤmlichkeiten der umbriſchen Malerſchulen zu verſchmelzen. Dieſe letzten hatten ſeit der Mitte des funfzehnten Jahr- hundertes, vielleicht ſchon ungleich fruͤher, durch Tiefe und Zartheit des Gefuͤhles, durch eine wunderbare Vereinigung halbdeutlicher Reminiſcenzen aus den Kunſtbeſtrebungen der aͤlteſten Chriſten mit den milderen Vorſtellungen der neueren, uͤber ihre toscaniſchen, lombardiſchen und venezianiſchen Zeit- genoſſen, ungeachtet vieler techniſchen Unvollkommenheiten, ei- nen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube, jedes Herz ſich oͤffnet; obwohl ihre, an ſich ſelbſt ſchoͤne und lobenswerthe Stimmung auf die Laͤnge durch Einfoͤrmigkeit zu ermuͤden pflegt. Woher eben dieſem engen Bezirke Italiens eine ſo ganz eigenthuͤmliche Richtung gekommen ſey, habe ich oben, dort freylich noch ohne zulaͤngliche Beweiſe, aus der Einwirkung des Sieneſers Taddeo Bartoli auf den Bezirk von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/328
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/328>, abgerufen am 25.11.2024.