Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter seinen Zeit- *) Ich habe bereits, mit anderen Beyspielen, auch jene gleich-
laufenden Darstellungen des Lebens Christi und des Hl. Franz in Erinnerung gebracht (Abh. IX.). -- Zu Asisi, im Kloster der Hl. Chiara, zeigt man im Kreuzgewölbe über dem Hauptaltar Malereyen, welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl. Chiara zu bezielen scheinen. Diese Arbeit wird dem Giottino bey- gemessen, was seinen Grund haben mag, da sie dessen florentini- schen Arbeiten zu gleichen scheinen. Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter ſeinen Zeit- *) Ich habe bereits, mit anderen Beyſpielen, auch jene gleich-
laufenden Darſtellungen des Lebens Chriſti und des Hl. Franz in Erinnerung gebracht (Abh. IX.). — Zu Aſiſi, im Kloſter der Hl. Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen, welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl. Chiara zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem Giottino bey- gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini- ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0231" n="213"/> <p>Wie wir uns erinnern, hatte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> unter ſeinen Zeit-<lb/> genoſſen die vielfaͤltigſte Auffaſſung des Lebens beliebt gemacht;<lb/> der Enthuſiasmus fuͤr neuere Heilige, das Intereſſe an ihren<lb/> mannichfaltigſten Lebensverhaͤltniſſen <note place="foot" n="*)">Ich habe bereits, mit anderen Beyſpielen, auch jene gleich-<lb/> laufenden Darſtellungen des Lebens <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557513">Chriſti</persName> und des Hl. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118534963">Franz</persName> in<lb/> Erinnerung gebracht (Abh. <hi rendition="#g">IX</hi>.). — Zu <placeName>Aſiſi</placeName>, im Kloſter der Hl.<lb/> Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen,<lb/> welche eine Vergleichung des Lebens der <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640909">Madonna</persName> mit jenem der Hl.<lb/><persName ref=" http://d-nb.info/gnd/118562746">Chiara</persName> zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983342 ">Giottino</persName> bey-<lb/> gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini-<lb/> ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen.</note>, war jener Wendung<lb/> ſeines großen Talentes entgegengekommen, hatte deſſen Ent-<lb/> wickelung und allgemeine Anerkennung entſchieden beguͤnſtigt.<lb/> Seinerzeit war die Frage nach typiſchen Darſtellungen der<lb/> Patriarchen, Propheten, Apoſtel, oder des Heilands ſelbſt und<lb/> der bedeutenderen Ereigniſſe der Evangelien, allgemach in den<lb/> Hintergrund getreten; hingegen waren alle Haͤnde geſchaͤftig,<lb/> die Uebergaͤnge im Leben moderner Heiligen zu malen: fruͤhere<lb/> Weltlichkeit, ploͤtzliches Erwachen des Bewußtſeyns des Heili-<lb/> gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeſchiedenen,<lb/> Wunder im Leben, wie beſonders nach dem Tode, in deren<lb/> Darſtellung, wie es in den aͤußeren Bedingungen der Kunſt<lb/> liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung<lb/> der unſichtbaren Wunderkraft uͤberwog. Allein auch die Le-<lb/> bensbegebenheiten des Erloͤſers wurden zur Traulichkeit des<lb/> Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung,<lb/> die Mutter mit dem Kinde (Vorſtellungen, welche die aͤlte-<lb/> ſten Kuͤnſtler aus religioͤſem Bedenken, oder aus anderen Ur-<lb/> ſachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [213/0231]
Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter ſeinen Zeit-
genoſſen die vielfaͤltigſte Auffaſſung des Lebens beliebt gemacht;
der Enthuſiasmus fuͤr neuere Heilige, das Intereſſe an ihren
mannichfaltigſten Lebensverhaͤltniſſen *), war jener Wendung
ſeines großen Talentes entgegengekommen, hatte deſſen Ent-
wickelung und allgemeine Anerkennung entſchieden beguͤnſtigt.
Seinerzeit war die Frage nach typiſchen Darſtellungen der
Patriarchen, Propheten, Apoſtel, oder des Heilands ſelbſt und
der bedeutenderen Ereigniſſe der Evangelien, allgemach in den
Hintergrund getreten; hingegen waren alle Haͤnde geſchaͤftig,
die Uebergaͤnge im Leben moderner Heiligen zu malen: fruͤhere
Weltlichkeit, ploͤtzliches Erwachen des Bewußtſeyns des Heili-
gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeſchiedenen,
Wunder im Leben, wie beſonders nach dem Tode, in deren
Darſtellung, wie es in den aͤußeren Bedingungen der Kunſt
liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung
der unſichtbaren Wunderkraft uͤberwog. Allein auch die Le-
bensbegebenheiten des Erloͤſers wurden zur Traulichkeit des
Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung,
die Mutter mit dem Kinde (Vorſtellungen, welche die aͤlte-
ſten Kuͤnſtler aus religioͤſem Bedenken, oder aus anderen Ur-
ſachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein
*) Ich habe bereits, mit anderen Beyſpielen, auch jene gleich-
laufenden Darſtellungen des Lebens Chriſti und des Hl. Franz in
Erinnerung gebracht (Abh. IX.). — Zu Aſiſi, im Kloſter der Hl.
Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen,
welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl.
Chiara zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem Giottino bey-
gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini-
ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen.
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