Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Ansehn, mit großer Besorgniß sich zu decken; man sieht Wei-
ber und Männer sich niederwerfen, und ihre Gewande über
den Kopf ziehen, und die Bewaffneten ihre Schilder über den
Kopf halten, auf denen der Hagel sich sammelt, welcher mit
mächtiger Sturmesgewalt auf den Schildern zu prasseln
scheint. Auch sieht man die Bäume sich zur Erde neigen,
und einige sich spalten, und Jeden glaubt man fliehen zu
sehen. Auch sieht man, wie dem Scharfrichter sein Pferd
stürzt und ihn im Fallen erschlägt; und dieser Wunder willen
ließ sich vieles Volk taufen. Als eine Malerey betrachtet, *)
fügt Ghiberti hinzu, scheint mir diese Darstellung wahrhaft
bewundernswerth zu seyn."

Ein anderes, der Richtung nach, dem beschriebenen nahe
verwandtes Mauergemälde an einer Seitenwand der Sala
delle balestre,
im öffentlichen Palaste zu Siena, bestätigt das
günstige Urtheil des Ghiberti, indem es auch unseren, in Be-
zug auf sinnliche Wahrscheinlichkeit verwöhnteren Augen viel
Leben und Ausdruck zu besitzen scheint. Der Künstler hat
darin das städtische und ländliche Leben schildern wollen; die
Hälfte des Bildes nimmt eine innere Ansicht der malerischen
Stadt Siena ein, in welcher die Gebäude gut charakterisirt,
die Straßen und Plätze mit lebendigen Figuren erfüllt sind.
Einige betreiben ihr Gewerbe; doch an einer freyeren Stelle
tanzen einige Mädchen nach der Handtrommel, in denen der
Künstler sein Bestes versucht und viel Anmuth der Miene und
Bewegung ausgedrückt hat. Tänze auf offener Gasse gehören

*) "-- Per una storia picta mi pare una maravigliosa cosa." --
Ich denke, daß er ausdrücken wollte: für eine Nachahmung,
welche nicht das Wirkliche selbst ist
, scheint etc. etc.

Anſehn, mit großer Beſorgniß ſich zu decken; man ſieht Wei-
ber und Maͤnner ſich niederwerfen, und ihre Gewande uͤber
den Kopf ziehen, und die Bewaffneten ihre Schilder uͤber den
Kopf halten, auf denen der Hagel ſich ſammelt, welcher mit
maͤchtiger Sturmesgewalt auf den Schildern zu praſſeln
ſcheint. Auch ſieht man die Baͤume ſich zur Erde neigen,
und einige ſich ſpalten, und Jeden glaubt man fliehen zu
ſehen. Auch ſieht man, wie dem Scharfrichter ſein Pferd
ſtuͤrzt und ihn im Fallen erſchlaͤgt; und dieſer Wunder willen
ließ ſich vieles Volk taufen. Als eine Malerey betrachtet, *)
fuͤgt Ghiberti hinzu, ſcheint mir dieſe Darſtellung wahrhaft
bewundernswerth zu ſeyn.“

Ein anderes, der Richtung nach, dem beſchriebenen nahe
verwandtes Mauergemaͤlde an einer Seitenwand der Sala
delle balestre,
im oͤffentlichen Palaſte zu Siena, beſtaͤtigt das
guͤnſtige Urtheil des Ghiberti, indem es auch unſeren, in Be-
zug auf ſinnliche Wahrſcheinlichkeit verwoͤhnteren Augen viel
Leben und Ausdruck zu beſitzen ſcheint. Der Kuͤnſtler hat
darin das ſtaͤdtiſche und laͤndliche Leben ſchildern wollen; die
Haͤlfte des Bildes nimmt eine innere Anſicht der maleriſchen
Stadt Siena ein, in welcher die Gebaͤude gut charakteriſirt,
die Straßen und Plaͤtze mit lebendigen Figuren erfuͤllt ſind.
Einige betreiben ihr Gewerbe; doch an einer freyeren Stelle
tanzen einige Maͤdchen nach der Handtrommel, in denen der
Kuͤnſtler ſein Beſtes verſucht und viel Anmuth der Miene und
Bewegung ausgedruͤckt hat. Taͤnze auf offener Gaſſe gehoͤren

*) „— Per una storia picta mi pare una maravigliosa cosa.“
Ich denke, daß er ausdruͤcken wollte: fuͤr eine Nachahmung,
welche nicht das Wirkliche ſelbſt iſt
, ſcheint etc. etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0120" n="102"/>
An&#x017F;ehn, mit großer Be&#x017F;orgniß &#x017F;ich zu decken; man &#x017F;ieht Wei-<lb/>
ber und Ma&#x0364;nner &#x017F;ich niederwerfen, und ihre Gewande u&#x0364;ber<lb/>
den Kopf ziehen, und die Bewaffneten ihre Schilder u&#x0364;ber den<lb/>
Kopf halten, auf denen der Hagel &#x017F;ich &#x017F;ammelt, welcher mit<lb/>
ma&#x0364;chtiger Sturmesgewalt auf den Schildern zu pra&#x017F;&#x017F;eln<lb/>
&#x017F;cheint. Auch &#x017F;ieht man die Ba&#x0364;ume &#x017F;ich zur Erde neigen,<lb/>
und einige &#x017F;ich &#x017F;palten, und Jeden glaubt man fliehen zu<lb/>
&#x017F;ehen. Auch &#x017F;ieht man, wie dem Scharfrichter &#x017F;ein Pferd<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzt und ihn im Fallen er&#x017F;chla&#x0364;gt; und die&#x017F;er Wunder willen<lb/>
ließ &#x017F;ich vieles Volk taufen. Als eine Malerey betrachtet, <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">&#x201E;&#x2014; Per una storia picta mi pare una maravigliosa cosa.&#x201C;</hi> &#x2014;<lb/>
Ich denke, daß er ausdru&#x0364;cken wollte: <hi rendition="#g">fu&#x0364;r eine Nachahmung,<lb/>
welche nicht das Wirkliche &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t</hi>, &#x017F;cheint etc. etc.</note><lb/>
fu&#x0364;gt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName> hinzu, &#x017F;cheint mir die&#x017F;e Dar&#x017F;tellung wahrhaft<lb/>
bewundernswerth zu &#x017F;eyn.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Ein anderes, der Richtung nach, dem be&#x017F;chriebenen nahe<lb/>
verwandtes Mauergema&#x0364;lde an einer Seitenwand der <hi rendition="#aq">Sala<lb/>
delle balestre,</hi> im o&#x0364;ffentlichen Pala&#x017F;te zu <placeName>Siena</placeName>, be&#x017F;ta&#x0364;tigt das<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tige Urtheil des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName>, indem es auch un&#x017F;eren, in Be-<lb/>
zug auf &#x017F;innliche Wahr&#x017F;cheinlichkeit verwo&#x0364;hnteren Augen viel<lb/>
Leben und Ausdruck zu be&#x017F;itzen &#x017F;cheint. Der Ku&#x0364;n&#x017F;tler hat<lb/>
darin das &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che und la&#x0364;ndliche Leben &#x017F;childern wollen; die<lb/>
Ha&#x0364;lfte des Bildes nimmt eine innere An&#x017F;icht der maleri&#x017F;chen<lb/>
Stadt <placeName>Siena</placeName> ein, in welcher die Geba&#x0364;ude gut charakteri&#x017F;irt,<lb/>
die Straßen und Pla&#x0364;tze mit lebendigen Figuren erfu&#x0364;llt &#x017F;ind.<lb/>
Einige betreiben ihr Gewerbe; doch an einer freyeren Stelle<lb/>
tanzen einige Ma&#x0364;dchen nach der Handtrommel, in denen der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler &#x017F;ein Be&#x017F;tes ver&#x017F;ucht und viel Anmuth der Miene und<lb/>
Bewegung ausgedru&#x0364;ckt hat. Ta&#x0364;nze auf offener Ga&#x017F;&#x017F;e geho&#x0364;ren<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0120] Anſehn, mit großer Beſorgniß ſich zu decken; man ſieht Wei- ber und Maͤnner ſich niederwerfen, und ihre Gewande uͤber den Kopf ziehen, und die Bewaffneten ihre Schilder uͤber den Kopf halten, auf denen der Hagel ſich ſammelt, welcher mit maͤchtiger Sturmesgewalt auf den Schildern zu praſſeln ſcheint. Auch ſieht man die Baͤume ſich zur Erde neigen, und einige ſich ſpalten, und Jeden glaubt man fliehen zu ſehen. Auch ſieht man, wie dem Scharfrichter ſein Pferd ſtuͤrzt und ihn im Fallen erſchlaͤgt; und dieſer Wunder willen ließ ſich vieles Volk taufen. Als eine Malerey betrachtet, *) fuͤgt Ghiberti hinzu, ſcheint mir dieſe Darſtellung wahrhaft bewundernswerth zu ſeyn.“ Ein anderes, der Richtung nach, dem beſchriebenen nahe verwandtes Mauergemaͤlde an einer Seitenwand der Sala delle balestre, im oͤffentlichen Palaſte zu Siena, beſtaͤtigt das guͤnſtige Urtheil des Ghiberti, indem es auch unſeren, in Be- zug auf ſinnliche Wahrſcheinlichkeit verwoͤhnteren Augen viel Leben und Ausdruck zu beſitzen ſcheint. Der Kuͤnſtler hat darin das ſtaͤdtiſche und laͤndliche Leben ſchildern wollen; die Haͤlfte des Bildes nimmt eine innere Anſicht der maleriſchen Stadt Siena ein, in welcher die Gebaͤude gut charakteriſirt, die Straßen und Plaͤtze mit lebendigen Figuren erfuͤllt ſind. Einige betreiben ihr Gewerbe; doch an einer freyeren Stelle tanzen einige Maͤdchen nach der Handtrommel, in denen der Kuͤnſtler ſein Beſtes verſucht und viel Anmuth der Miene und Bewegung ausgedruͤckt hat. Taͤnze auf offener Gaſſe gehoͤren *) „— Per una storia picta mi pare una maravigliosa cosa.“ — Ich denke, daß er ausdruͤcken wollte: fuͤr eine Nachahmung, welche nicht das Wirkliche ſelbſt iſt, ſcheint etc. etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/120
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/120>, abgerufen am 07.05.2024.