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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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stalt; dagegen können die besten unter den Zeitgenossen der
Carracci im Ganzen für einsichtsvolle Zeichner gelten. Aber
die ersten sind eben so reich an einzelnen Wahrnehmungen
gemuthender und bedeutender Züge der Natur, als jene ande-
ren beschränkt auf wenige und gleichförmige Durchschnittsvor-
stellungen. Daher hoben sich, seitdem man, in Bezug auf
gewisse Aeußerlichkeiten der Kunst, seine Ansprüche herabge-
stimmt, in Bezug auf das geistige Interesse sie gesteigert hatte,
die einen in der Meinung und selbst im Handelswerthe, wäh-
rend die anderen eben so tief unter ihre frühere Schätzung
herabsanken. Dieses Beyspiel indeß dürfte der Anfechtung
unterliegen, da mancherley noch immer streitige Kunstansichten
der Modernen zum Theil eben um diesen Gegensatz sich her-
umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel-
ches über allen Partheyzwist erhaben ist, nemlich das gegen-
seitige Verhältniß der größten Künstler neuerer Zeiten, des
Raphael und des Michelagnuolo. Der letzte vertritt
hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgesetze; der erste die
Fülle und Lebendigkeit der Anschauungen des Einzelnen. Nie-
mand indeß, meine ich, würde Raphael aufgeben wollen,
könnte er nur zu diesem Preise den Michelangelo sich er-
halten.

Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgesetze hat
demnach verhältnißmäßig nur einen untergeordneten Werth,
ich möchte sagen, nur einen abhängigen, da sie für sich selbst
und entkleidet von den bezeichnenden, unterscheidenden, also
nothwendig mannichfaltigen, Zügen der Naturgestaltung in der
Anwendung eben nichts Anderes würde gewähren können, als
Darstellung allgemeiner Gesetze der Gestaltung und Erschei-
nung. Auch solche können nun allerdings der Kunst, im Gan-

ſtalt; dagegen koͤnnen die beſten unter den Zeitgenoſſen der
Carracci im Ganzen fuͤr einſichtsvolle Zeichner gelten. Aber
die erſten ſind eben ſo reich an einzelnen Wahrnehmungen
gemuthender und bedeutender Zuͤge der Natur, als jene ande-
ren beſchraͤnkt auf wenige und gleichfoͤrmige Durchſchnittsvor-
ſtellungen. Daher hoben ſich, ſeitdem man, in Bezug auf
gewiſſe Aeußerlichkeiten der Kunſt, ſeine Anſpruͤche herabge-
ſtimmt, in Bezug auf das geiſtige Intereſſe ſie geſteigert hatte,
die einen in der Meinung und ſelbſt im Handelswerthe, waͤh-
rend die anderen eben ſo tief unter ihre fruͤhere Schaͤtzung
herabſanken. Dieſes Beyſpiel indeß duͤrfte der Anfechtung
unterliegen, da mancherley noch immer ſtreitige Kunſtanſichten
der Modernen zum Theil eben um dieſen Gegenſatz ſich her-
umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel-
ches uͤber allen Partheyzwiſt erhaben iſt, nemlich das gegen-
ſeitige Verhaͤltniß der groͤßten Kuͤnſtler neuerer Zeiten, des
Raphael und des Michelagnuolo. Der letzte vertritt
hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze; der erſte die
Fuͤlle und Lebendigkeit der Anſchauungen des Einzelnen. Nie-
mand indeß, meine ich, wuͤrde Raphael aufgeben wollen,
koͤnnte er nur zu dieſem Preiſe den Michelangelo ſich er-
halten.

Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze hat
demnach verhaͤltnißmaͤßig nur einen untergeordneten Werth,
ich moͤchte ſagen, nur einen abhaͤngigen, da ſie fuͤr ſich ſelbſt
und entkleidet von den bezeichnenden, unterſcheidenden, alſo
nothwendig mannichfaltigen, Zuͤgen der Naturgeſtaltung in der
Anwendung eben nichts Anderes wuͤrde gewaͤhren koͤnnen, als
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nung. Auch ſolche koͤnnen nun allerdings der Kunſt, im Gan-

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[66/0084] ſtalt; dagegen koͤnnen die beſten unter den Zeitgenoſſen der Carracci im Ganzen fuͤr einſichtsvolle Zeichner gelten. Aber die erſten ſind eben ſo reich an einzelnen Wahrnehmungen gemuthender und bedeutender Zuͤge der Natur, als jene ande- ren beſchraͤnkt auf wenige und gleichfoͤrmige Durchſchnittsvor- ſtellungen. Daher hoben ſich, ſeitdem man, in Bezug auf gewiſſe Aeußerlichkeiten der Kunſt, ſeine Anſpruͤche herabge- ſtimmt, in Bezug auf das geiſtige Intereſſe ſie geſteigert hatte, die einen in der Meinung und ſelbſt im Handelswerthe, waͤh- rend die anderen eben ſo tief unter ihre fruͤhere Schaͤtzung herabſanken. Dieſes Beyſpiel indeß duͤrfte der Anfechtung unterliegen, da mancherley noch immer ſtreitige Kunſtanſichten der Modernen zum Theil eben um dieſen Gegenſatz ſich her- umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel- ches uͤber allen Partheyzwiſt erhaben iſt, nemlich das gegen- ſeitige Verhaͤltniß der groͤßten Kuͤnſtler neuerer Zeiten, des Raphael und des Michelagnuolo. Der letzte vertritt hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze; der erſte die Fuͤlle und Lebendigkeit der Anſchauungen des Einzelnen. Nie- mand indeß, meine ich, wuͤrde Raphael aufgeben wollen, koͤnnte er nur zu dieſem Preiſe den Michelangelo ſich er- halten. Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze hat demnach verhaͤltnißmaͤßig nur einen untergeordneten Werth, ich moͤchte ſagen, nur einen abhaͤngigen, da ſie fuͤr ſich ſelbſt und entkleidet von den bezeichnenden, unterſcheidenden, alſo nothwendig mannichfaltigen, Zuͤgen der Naturgeſtaltung in der Anwendung eben nichts Anderes wuͤrde gewaͤhren koͤnnen, als Darſtellung allgemeiner Geſetze der Geſtaltung und Erſchei- nung. Auch ſolche koͤnnen nun allerdings der Kunſt, im Gan-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/84>, abgerufen am 26.11.2024.