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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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finden dürften, was den Lineamenten, Formen und Verhält-
nissen griechischer Statuen, oder guter italienischer Gemälde,
wenn auch nur halbhin, zu vergleichen wäre. Jene des For-
mensinnes Entbehrenden möchten denn allerdings, wenn sie
aus einer vorgefaßten günstigen Meinung, oder auch ange-
zogen von der schärferen Charakteristik, in welche die künstle-
rische Darstellung so leicht verfällt, Kunstwerken einmal ihre
Aufmerksamkeit zuwenden, darin Schönheiten der bloßen Form
wahrzunehmen glauben, welche die natürlichen Formen über-
träfen. Diese anderen aber, denen die Natur ihre Kehrseite
zugewendet, könnten wohl einmal auf die Meinung verfallen,
die Natur bringe überall keine andere Formen hervor, als
solche, so ihnen eben bekannt geworden. Jenen wäre nun
freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunsch und Rath,
sie mögen versuchen, ihren Formensinn durch Uebung zu schär-
fen. Diesen dagegen, sie mögen, um ihren Zweifel ganz zu
beseitigen, ihre unwirthlichen und barbarischen Himmelsstriche
nur einmal verlassen und sich bemühen, die Natur auch von
Antlitz kennen zu lernen und sie in ihrem vollen Tage anzu-
schauen. Denn es wird, wenn sie solches nur ernstlich be-
streben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine
sinnvolle Gönnerin, die Freyfrau von Rheden, vor wenig
Jahren herbeygeführt, als sie die schöne Viktoria von Albano
nach Rom brachte, um dort von den besten Künstlern model-
lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Rom
verweilte, wird sich des Aufsehens entsinnen, welches das
schönste Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein-
kunft, daß solches, in Ansehung der Uebereinstimmung seiner
Verhältnisse, oder der Reinheit seiner Formen, sowohl alle
Kunstwerke Roms übertreffe, als auch den nachbildenden Künst-

finden duͤrften, was den Lineamenten, Formen und Verhaͤlt-
niſſen griechiſcher Statuen, oder guter italieniſcher Gemaͤlde,
wenn auch nur halbhin, zu vergleichen waͤre. Jene des For-
menſinnes Entbehrenden moͤchten denn allerdings, wenn ſie
aus einer vorgefaßten guͤnſtigen Meinung, oder auch ange-
zogen von der ſchaͤrferen Charakteriſtik, in welche die kuͤnſtle-
riſche Darſtellung ſo leicht verfaͤllt, Kunſtwerken einmal ihre
Aufmerkſamkeit zuwenden, darin Schoͤnheiten der bloßen Form
wahrzunehmen glauben, welche die natuͤrlichen Formen uͤber-
traͤfen. Dieſe anderen aber, denen die Natur ihre Kehrſeite
zugewendet, koͤnnten wohl einmal auf die Meinung verfallen,
die Natur bringe uͤberall keine andere Formen hervor, als
ſolche, ſo ihnen eben bekannt geworden. Jenen waͤre nun
freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunſch und Rath,
ſie moͤgen verſuchen, ihren Formenſinn durch Uebung zu ſchaͤr-
fen. Dieſen dagegen, ſie moͤgen, um ihren Zweifel ganz zu
beſeitigen, ihre unwirthlichen und barbariſchen Himmelsſtriche
nur einmal verlaſſen und ſich bemuͤhen, die Natur auch von
Antlitz kennen zu lernen und ſie in ihrem vollen Tage anzu-
ſchauen. Denn es wird, wenn ſie ſolches nur ernſtlich be-
ſtreben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine
ſinnvolle Goͤnnerin, die Freyfrau von Rheden, vor wenig
Jahren herbeygefuͤhrt, als ſie die ſchoͤne Viktoria von Albano
nach Rom brachte, um dort von den beſten Kuͤnſtlern model-
lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Rom
verweilte, wird ſich des Aufſehens entſinnen, welches das
ſchoͤnſte Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein-
kunft, daß ſolches, in Anſehung der Uebereinſtimmung ſeiner
Verhaͤltniſſe, oder der Reinheit ſeiner Formen, ſowohl alle
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[62/0080] finden duͤrften, was den Lineamenten, Formen und Verhaͤlt- niſſen griechiſcher Statuen, oder guter italieniſcher Gemaͤlde, wenn auch nur halbhin, zu vergleichen waͤre. Jene des For- menſinnes Entbehrenden moͤchten denn allerdings, wenn ſie aus einer vorgefaßten guͤnſtigen Meinung, oder auch ange- zogen von der ſchaͤrferen Charakteriſtik, in welche die kuͤnſtle- riſche Darſtellung ſo leicht verfaͤllt, Kunſtwerken einmal ihre Aufmerkſamkeit zuwenden, darin Schoͤnheiten der bloßen Form wahrzunehmen glauben, welche die natuͤrlichen Formen uͤber- traͤfen. Dieſe anderen aber, denen die Natur ihre Kehrſeite zugewendet, koͤnnten wohl einmal auf die Meinung verfallen, die Natur bringe uͤberall keine andere Formen hervor, als ſolche, ſo ihnen eben bekannt geworden. Jenen waͤre nun freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunſch und Rath, ſie moͤgen verſuchen, ihren Formenſinn durch Uebung zu ſchaͤr- fen. Dieſen dagegen, ſie moͤgen, um ihren Zweifel ganz zu beſeitigen, ihre unwirthlichen und barbariſchen Himmelsſtriche nur einmal verlaſſen und ſich bemuͤhen, die Natur auch von Antlitz kennen zu lernen und ſie in ihrem vollen Tage anzu- ſchauen. Denn es wird, wenn ſie ſolches nur ernſtlich be- ſtreben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine ſinnvolle Goͤnnerin, die Freyfrau von Rheden, vor wenig Jahren herbeygefuͤhrt, als ſie die ſchoͤne Viktoria von Albano nach Rom brachte, um dort von den beſten Kuͤnſtlern model- lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Rom verweilte, wird ſich des Aufſehens entſinnen, welches das ſchoͤnſte Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein- kunft, daß ſolches, in Anſehung der Uebereinſtimmung ſeiner Verhaͤltniſſe, oder der Reinheit ſeiner Formen, ſowohl alle Kunſtwerke Roms uͤbertreffe, als auch den nachbildenden Kuͤnſt-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/80>, abgerufen am 03.05.2024.