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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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konnten, ob der Künstler wohl unter den ihn körperlich um-
gebenden Gestalten der Natur, für jene ein vollendetes Vor-
bild gefunden: so führt eine solche naive Aeußerung, weit
entfernt für die Willkührlichkeit der griechischen Kunstformen
zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen
der schönsten Zeit, welcher das äußere Treiben seiner Künstler
noch vor Augen hatte, sie unablässig umherschauen, nachbil-
den, forschen sah, die ganze Kunst wohl einmal als bloßer
Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein-
zelnen Gebilde erschien. Wir indeß haben uns oben daran
erinnert, daß eben vermöge jener gegebenen Bedeutsamkeit der
Naturformen, deren unumgängliche Erforschung und Aneig-
nung nicht selten der Kunst Unkundige weiter hinausliegende
Zwecke der Künstler übersehen macht, vieles Große, in ge-
wisser Beziehung selbst das Höchste, was überall im mensch-
lichen Geiste gedeihet und reift, auch künstlerisch sowohl zu
erfassen, als darzustellen ist *).

Allerdings sind schon bey den Griechen, unmittelbar nach

*) Vergl. zwey englische Monographieen, die eine, über die
Gestalt und Lage des Ilissus, die andere, Vergleichung des alt-
griechischen Pferdekopfes, im brittischen Museum, mit einem der
venezianischen. Titel und Verf. vermag ich nicht umständlich an-
zugeben. Als ich sie vor etwa vier Jahren zu Florenz auf der
Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, so ausgezeich-
nete Arbeiten würden in Deutschland überall zu finden, oder doch
aus England zu erhalten seyn. Beides ist mir fehlgeschlagen, wo-
her ich schließe, daß sie nicht in den Handel gekommen, und nur
als Geschenk vertheilt worden sind. -- Aufmerksame Beachtung
und gründliche Untersuchung von Werken der besten und schönsten
Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die
Art und Abkunft der darstellenden Kunstformen, ungefähr auf die-
selbe Ansicht, welche ich oben zu begründen versucht.

konnten, ob der Kuͤnſtler wohl unter den ihn koͤrperlich um-
gebenden Geſtalten der Natur, fuͤr jene ein vollendetes Vor-
bild gefunden: ſo fuͤhrt eine ſolche naive Aeußerung, weit
entfernt fuͤr die Willkuͤhrlichkeit der griechiſchen Kunſtformen
zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen
der ſchoͤnſten Zeit, welcher das aͤußere Treiben ſeiner Kuͤnſtler
noch vor Augen hatte, ſie unablaͤſſig umherſchauen, nachbil-
den, forſchen ſah, die ganze Kunſt wohl einmal als bloßer
Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein-
zelnen Gebilde erſchien. Wir indeß haben uns oben daran
erinnert, daß eben vermoͤge jener gegebenen Bedeutſamkeit der
Naturformen, deren unumgaͤngliche Erforſchung und Aneig-
nung nicht ſelten der Kunſt Unkundige weiter hinausliegende
Zwecke der Kuͤnſtler uͤberſehen macht, vieles Große, in ge-
wiſſer Beziehung ſelbſt das Hoͤchſte, was uͤberall im menſch-
lichen Geiſte gedeihet und reift, auch kuͤnſtleriſch ſowohl zu
erfaſſen, als darzuſtellen iſt *).

Allerdings ſind ſchon bey den Griechen, unmittelbar nach

*) Vergl. zwey engliſche Monographieen, die eine, uͤber die
Geſtalt und Lage des Iliſſus, die andere, Vergleichung des alt-
griechiſchen Pferdekopfes, im brittiſchen Muſeum, mit einem der
venezianiſchen. Titel und Verf. vermag ich nicht umſtaͤndlich an-
zugeben. Als ich ſie vor etwa vier Jahren zu Florenz auf der
Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, ſo ausgezeich-
nete Arbeiten wuͤrden in Deutſchland uͤberall zu finden, oder doch
aus England zu erhalten ſeyn. Beides iſt mir fehlgeſchlagen, wo-
her ich ſchließe, daß ſie nicht in den Handel gekommen, und nur
als Geſchenk vertheilt worden ſind. — Aufmerkſame Beachtung
und gruͤndliche Unterſuchung von Werken der beſten und ſchoͤnſten
Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die
Art und Abkunft der darſtellenden Kunſtformen, ungefaͤhr auf die-
ſelbe Anſicht, welche ich oben zu begruͤnden verſucht.
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[29/0047] konnten, ob der Kuͤnſtler wohl unter den ihn koͤrperlich um- gebenden Geſtalten der Natur, fuͤr jene ein vollendetes Vor- bild gefunden: ſo fuͤhrt eine ſolche naive Aeußerung, weit entfernt fuͤr die Willkuͤhrlichkeit der griechiſchen Kunſtformen zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen der ſchoͤnſten Zeit, welcher das aͤußere Treiben ſeiner Kuͤnſtler noch vor Augen hatte, ſie unablaͤſſig umherſchauen, nachbil- den, forſchen ſah, die ganze Kunſt wohl einmal als bloßer Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein- zelnen Gebilde erſchien. Wir indeß haben uns oben daran erinnert, daß eben vermoͤge jener gegebenen Bedeutſamkeit der Naturformen, deren unumgaͤngliche Erforſchung und Aneig- nung nicht ſelten der Kunſt Unkundige weiter hinausliegende Zwecke der Kuͤnſtler uͤberſehen macht, vieles Große, in ge- wiſſer Beziehung ſelbſt das Hoͤchſte, was uͤberall im menſch- lichen Geiſte gedeihet und reift, auch kuͤnſtleriſch ſowohl zu erfaſſen, als darzuſtellen iſt *). Allerdings ſind ſchon bey den Griechen, unmittelbar nach *) Vergl. zwey engliſche Monographieen, die eine, uͤber die Geſtalt und Lage des Iliſſus, die andere, Vergleichung des alt- griechiſchen Pferdekopfes, im brittiſchen Muſeum, mit einem der venezianiſchen. Titel und Verf. vermag ich nicht umſtaͤndlich an- zugeben. Als ich ſie vor etwa vier Jahren zu Florenz auf der Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, ſo ausgezeich- nete Arbeiten wuͤrden in Deutſchland uͤberall zu finden, oder doch aus England zu erhalten ſeyn. Beides iſt mir fehlgeſchlagen, wo- her ich ſchließe, daß ſie nicht in den Handel gekommen, und nur als Geſchenk vertheilt worden ſind. — Aufmerkſame Beachtung und gruͤndliche Unterſuchung von Werken der beſten und ſchoͤnſten Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die Art und Abkunft der darſtellenden Kunſtformen, ungefaͤhr auf die- ſelbe Anſicht, welche ich oben zu begruͤnden verſucht.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/47>, abgerufen am 19.04.2024.