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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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und beynahe statuarischer Einfachheit. In der Ausführung
merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollständig-
ster Entfernung von allen Eigenthümlichkeiten des neugriechi-
schen sowohl, als des giottesken Geschmackes. Nirgend zeigt sich
Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite;
das Vorbild ist offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit-
telglied einer Handschrift des fünften oder sechsten Jahrhun-
derts, römisch-antik.

Aus einem ähnlichen Bestreben, wahrscheinlich beynahe
zu gleicher Zeit, entstanden die bekannteren Copieen von
spät-antiken Miniaturen in der Handschrift des Virgil in
der Vaticana.

Diese Bilder hat Santi Bartoli, mit unendlichen Zu-
sätzen und Abänderungen von seiner eigenen Wahl und Erfin-
dung, bekannt gemacht; Niemand verspreche sich, daß seine
Nachbildungen historische Treue besitzen. Allerdings sind diese
Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen älterer, spät-
antiker, wie es deutlich theils schon aus der Anordnung er-
hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau-
lichkeiten, welche während des Mittelalters zwar nachgemacht,
doch nicht wohl konnten erfunden seyn. Doch verräth sich die
spätere Zeit durch eingeschobene Figuren in spätmittelalterlicher
Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Rückseite,
welche zu beiden Seiten der Helden stehen. Das Original
war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah-
mer gestattete sich einige Zusätze und Vermehrungen.

Unabhängig von dieser, dem Ansehen nach auf Rom be-
schränkten Nachahmung des Alterthümlichen, entstand auch zu
Florenz einige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin
zu reinerem Ausdruck christlich-sittlicher Ideen, wie solches in

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und beynahe ſtatuariſcher Einfachheit. In der Ausfuͤhrung
merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollſtaͤndig-
ſter Entfernung von allen Eigenthuͤmlichkeiten des neugriechi-
ſchen ſowohl, als des giottesken Geſchmackes. Nirgend zeigt ſich
Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite;
das Vorbild iſt offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit-
telglied einer Handſchrift des fuͤnften oder ſechsten Jahrhun-
derts, roͤmiſch-antik.

Aus einem aͤhnlichen Beſtreben, wahrſcheinlich beynahe
zu gleicher Zeit, entſtanden die bekannteren Copieen von
ſpaͤt-antiken Miniaturen in der Handſchrift des Virgil in
der Vaticana.

Dieſe Bilder hat Santi Bartoli, mit unendlichen Zu-
ſaͤtzen und Abaͤnderungen von ſeiner eigenen Wahl und Erfin-
dung, bekannt gemacht; Niemand verſpreche ſich, daß ſeine
Nachbildungen hiſtoriſche Treue beſitzen. Allerdings ſind dieſe
Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen aͤlterer, ſpaͤt-
antiker, wie es deutlich theils ſchon aus der Anordnung er-
hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau-
lichkeiten, welche waͤhrend des Mittelalters zwar nachgemacht,
doch nicht wohl konnten erfunden ſeyn. Doch verraͤth ſich die
ſpaͤtere Zeit durch eingeſchobene Figuren in ſpaͤtmittelalterlicher
Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Ruͤckſeite,
welche zu beiden Seiten der Helden ſtehen. Das Original
war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah-
mer geſtattete ſich einige Zuſaͤtze und Vermehrungen.

Unabhaͤngig von dieſer, dem Anſehen nach auf Rom be-
ſchraͤnkten Nachahmung des Alterthuͤmlichen, entſtand auch zu
Florenz einige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin
zu reinerem Ausdruck chriſtlich-ſittlicher Ideen, wie ſolches in

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[353/0371] und beynahe ſtatuariſcher Einfachheit. In der Ausfuͤhrung merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollſtaͤndig- ſter Entfernung von allen Eigenthuͤmlichkeiten des neugriechi- ſchen ſowohl, als des giottesken Geſchmackes. Nirgend zeigt ſich Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite; das Vorbild iſt offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit- telglied einer Handſchrift des fuͤnften oder ſechsten Jahrhun- derts, roͤmiſch-antik. Aus einem aͤhnlichen Beſtreben, wahrſcheinlich beynahe zu gleicher Zeit, entſtanden die bekannteren Copieen von ſpaͤt-antiken Miniaturen in der Handſchrift des Virgil in der Vaticana. Dieſe Bilder hat Santi Bartoli, mit unendlichen Zu- ſaͤtzen und Abaͤnderungen von ſeiner eigenen Wahl und Erfin- dung, bekannt gemacht; Niemand verſpreche ſich, daß ſeine Nachbildungen hiſtoriſche Treue beſitzen. Allerdings ſind dieſe Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen aͤlterer, ſpaͤt- antiker, wie es deutlich theils ſchon aus der Anordnung er- hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau- lichkeiten, welche waͤhrend des Mittelalters zwar nachgemacht, doch nicht wohl konnten erfunden ſeyn. Doch verraͤth ſich die ſpaͤtere Zeit durch eingeſchobene Figuren in ſpaͤtmittelalterlicher Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Ruͤckſeite, welche zu beiden Seiten der Helden ſtehen. Das Original war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah- mer geſtattete ſich einige Zuſaͤtze und Vermehrungen. Unabhaͤngig von dieſer, dem Anſehen nach auf Rom be- ſchraͤnkten Nachahmung des Alterthuͤmlichen, entſtand auch zu Florenz einige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin zu reinerem Ausdruck chriſtlich-ſittlicher Ideen, wie ſolches in I. 23

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/371>, abgerufen am 04.05.2024.