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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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holten Versuche, die kecken Meisterzüge des größten italieni-
schen Dichters in das Gebiet der Kunst hinüberzuziehen.

Wollten wir indeß den Fall setzen, daß jene Harmonie
des Wollens und Könnens einem bestimmten Kunstwerke fehle,
so würde dessen Eindruck sicher sehr unbehaglich, unbefriedi-
gend und peinlich seyn. Denn es würde ein solches Kunst-
werk, welches die Ahnung eines höhern Wollens anregte, ohne
eben dasselbe ganz deutlich und anschaulich zu machen, den
Beschauer nur etwa tantalisiren, und den Künstler in nicht
unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech-
ten Ernst, an der Fähigkeit einer straffen und dauernden An-
strengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehört und
wesentlich mitwirkt, sein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb
bin ich geneigt, Fälle obiger Art, wenn nicht für unmöglich,
doch wenigstens für unwahrscheinlich zu halten. Ich kann
mich schwerlich davon überzeugen, daß ein edler mit der Fä-
higkeit der Auffassung hoher Dinge begabter Geist nicht auch
den Drang, ja selbst die Kraft fühlen sollte, seine Darstellung
in gleichem Maße durchzubilden, wenigstens scheinen Leonardo,
Michelangelo der Maler, und sogar Raphael nur deßhalb über
die, obwohl schon gesteigerte, doch immer noch unbehülfliche,
Darstellung ihrer Vorgänger so rasch und kraftvoll hinauszu-
gehen, weil solche ihrem mächtigen Geiste nimmer genügen
konnte.

Dagegen sind Vorzüge der bloßen Darstellung, entkleidet,
wenn nicht von allem, doch wenigstens von einem gleichmä-
ßigen Verdienste der geistigen Auffassung, allerdings eine nicht
ungewöhnliche, ich möchte sagen, selbst eine willkommenere Er-
scheinung, als nackte Vorzüge der Auffassung seyn dürften,

I. 2

holten Verſuche, die kecken Meiſterzuͤge des groͤßten italieni-
ſchen Dichters in das Gebiet der Kunſt hinuͤberzuziehen.

Wollten wir indeß den Fall ſetzen, daß jene Harmonie
des Wollens und Koͤnnens einem beſtimmten Kunſtwerke fehle,
ſo wuͤrde deſſen Eindruck ſicher ſehr unbehaglich, unbefriedi-
gend und peinlich ſeyn. Denn es wuͤrde ein ſolches Kunſt-
werk, welches die Ahnung eines hoͤhern Wollens anregte, ohne
eben daſſelbe ganz deutlich und anſchaulich zu machen, den
Beſchauer nur etwa tantaliſiren, und den Kuͤnſtler in nicht
unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech-
ten Ernſt, an der Faͤhigkeit einer ſtraffen und dauernden An-
ſtrengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehoͤrt und
weſentlich mitwirkt, ſein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb
bin ich geneigt, Faͤlle obiger Art, wenn nicht fuͤr unmoͤglich,
doch wenigſtens fuͤr unwahrſcheinlich zu halten. Ich kann
mich ſchwerlich davon uͤberzeugen, daß ein edler mit der Faͤ-
higkeit der Auffaſſung hoher Dinge begabter Geiſt nicht auch
den Drang, ja ſelbſt die Kraft fuͤhlen ſollte, ſeine Darſtellung
in gleichem Maße durchzubilden, wenigſtens ſcheinen Leonardo,
Michelangelo der Maler, und ſogar Raphael nur deßhalb uͤber
die, obwohl ſchon geſteigerte, doch immer noch unbehuͤlfliche,
Darſtellung ihrer Vorgaͤnger ſo raſch und kraftvoll hinauszu-
gehen, weil ſolche ihrem maͤchtigen Geiſte nimmer genuͤgen
konnte.

Dagegen ſind Vorzuͤge der bloßen Darſtellung, entkleidet,
wenn nicht von allem, doch wenigſtens von einem gleichmaͤ-
ßigen Verdienſte der geiſtigen Auffaſſung, allerdings eine nicht
ungewoͤhnliche, ich moͤchte ſagen, ſelbſt eine willkommenere Er-
ſcheinung, als nackte Vorzuͤge der Auffaſſung ſeyn duͤrften,

I. 2
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[17/0035] holten Verſuche, die kecken Meiſterzuͤge des groͤßten italieni- ſchen Dichters in das Gebiet der Kunſt hinuͤberzuziehen. Wollten wir indeß den Fall ſetzen, daß jene Harmonie des Wollens und Koͤnnens einem beſtimmten Kunſtwerke fehle, ſo wuͤrde deſſen Eindruck ſicher ſehr unbehaglich, unbefriedi- gend und peinlich ſeyn. Denn es wuͤrde ein ſolches Kunſt- werk, welches die Ahnung eines hoͤhern Wollens anregte, ohne eben daſſelbe ganz deutlich und anſchaulich zu machen, den Beſchauer nur etwa tantaliſiren, und den Kuͤnſtler in nicht unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech- ten Ernſt, an der Faͤhigkeit einer ſtraffen und dauernden An- ſtrengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehoͤrt und weſentlich mitwirkt, ſein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb bin ich geneigt, Faͤlle obiger Art, wenn nicht fuͤr unmoͤglich, doch wenigſtens fuͤr unwahrſcheinlich zu halten. Ich kann mich ſchwerlich davon uͤberzeugen, daß ein edler mit der Faͤ- higkeit der Auffaſſung hoher Dinge begabter Geiſt nicht auch den Drang, ja ſelbſt die Kraft fuͤhlen ſollte, ſeine Darſtellung in gleichem Maße durchzubilden, wenigſtens ſcheinen Leonardo, Michelangelo der Maler, und ſogar Raphael nur deßhalb uͤber die, obwohl ſchon geſteigerte, doch immer noch unbehuͤlfliche, Darſtellung ihrer Vorgaͤnger ſo raſch und kraftvoll hinauszu- gehen, weil ſolche ihrem maͤchtigen Geiſte nimmer genuͤgen konnte. Dagegen ſind Vorzuͤge der bloßen Darſtellung, entkleidet, wenn nicht von allem, doch wenigſtens von einem gleichmaͤ- ßigen Verdienſte der geiſtigen Auffaſſung, allerdings eine nicht ungewoͤhnliche, ich moͤchte ſagen, ſelbſt eine willkommenere Er- ſcheinung, als nackte Vorzuͤge der Auffaſſung ſeyn duͤrften, I. 2

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/35>, abgerufen am 29.03.2024.