Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

inmitten der Schnörkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun-
derts eine unaufhaltsame Umwälzung des Geschmackes, welche
nur deshalb so spät auf die Thätigkeit der Kunst zurückgewirkt,
weil man ungleich früher das Schöne der Kunst als das Ge-
heimniß seiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte.

Die dritte, und für sittliche und erkennende Wesen un-
läugbar die wichtigste, Schönheit beruhet aber auf jener ge-
gebenen, in der Natur, nicht in menschlicher Willkühr, ge-
gründeten Symbolik der Formen, durch welche diese in be-
stimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen,
bey deren Anblick wir uns nothwendig theils bestimmter Vor-
stellungen und Begriffe erinnern, theils auch bestimmter in
uns schlummernder Gefühle bewußt werden. Vermöge dieser
Eigenschaft erwecken die Formen, ganz unabhängig, sowohl
vom sinnlichen Wohlgefälligen, als von der eben berührten
Schönheit des Maßes, ein gewisses sittlich-geistiges Wohlge-
fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg-
ten Vorstellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem
Vergnügen, welches schon die bloße Thätigkeit eines deutlichen
Erkennens unfehlbar nach sich zieht.

Den Grund der Erfreulichkeit von Vorstellungen, die
Sichtbares im Geiste anregt, werden wir voraussetzen und
übergehen dürfen, da diese Abtheilung innerhalb der Schön-
heit längst schon mit dem besten Erfolge untersucht und be-
leuchtet worden; vielleicht, weil sie den Schriftstellern zugäng-
licher war, als Solches, so einzig der Gestalt und ihrer Er-
scheinung angehört, mithin nur den künstlerisch gebildeten See-
len genügend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches
schon in der nackten Deutlichkeit der Erscheinung liegt, hatte
in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schicksal, bald viel

zu

inmitten der Schnoͤrkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun-
derts eine unaufhaltſame Umwaͤlzung des Geſchmackes, welche
nur deshalb ſo ſpaͤt auf die Thaͤtigkeit der Kunſt zuruͤckgewirkt,
weil man ungleich fruͤher das Schoͤne der Kunſt als das Ge-
heimniß ſeiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte.

Die dritte, und fuͤr ſittliche und erkennende Weſen un-
laͤugbar die wichtigſte, Schoͤnheit beruhet aber auf jener ge-
gebenen, in der Natur, nicht in menſchlicher Willkuͤhr, ge-
gruͤndeten Symbolik der Formen, durch welche dieſe in be-
ſtimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen,
bey deren Anblick wir uns nothwendig theils beſtimmter Vor-
ſtellungen und Begriffe erinnern, theils auch beſtimmter in
uns ſchlummernder Gefuͤhle bewußt werden. Vermoͤge dieſer
Eigenſchaft erwecken die Formen, ganz unabhaͤngig, ſowohl
vom ſinnlichen Wohlgefaͤlligen, als von der eben beruͤhrten
Schoͤnheit des Maßes, ein gewiſſes ſittlich-geiſtiges Wohlge-
fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg-
ten Vorſtellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem
Vergnuͤgen, welches ſchon die bloße Thaͤtigkeit eines deutlichen
Erkennens unfehlbar nach ſich zieht.

Den Grund der Erfreulichkeit von Vorſtellungen, die
Sichtbares im Geiſte anregt, werden wir vorausſetzen und
uͤbergehen duͤrfen, da dieſe Abtheilung innerhalb der Schoͤn-
heit laͤngſt ſchon mit dem beſten Erfolge unterſucht und be-
leuchtet worden; vielleicht, weil ſie den Schriftſtellern zugaͤng-
licher war, als Solches, ſo einzig der Geſtalt und ihrer Er-
ſcheinung angehoͤrt, mithin nur den kuͤnſtleriſch gebildeten See-
len genuͤgend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches
ſchon in der nackten Deutlichkeit der Erſcheinung liegt, hatte
in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schickſal, bald viel

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="144"/>
inmitten der Schno&#x0364;rkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun-<lb/>
derts eine unaufhalt&#x017F;ame Umwa&#x0364;lzung des Ge&#x017F;chmackes, welche<lb/>
nur deshalb &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;t auf die Tha&#x0364;tigkeit der Kun&#x017F;t zuru&#x0364;ckgewirkt,<lb/>
weil man ungleich fru&#x0364;her das Scho&#x0364;ne der Kun&#x017F;t als das Ge-<lb/>
heimniß &#x017F;einer Hervorbringung wieder aufgefunden hatte.</p><lb/>
          <p>Die dritte, und fu&#x0364;r &#x017F;ittliche und erkennende We&#x017F;en un-<lb/>
la&#x0364;ugbar die wichtig&#x017F;te, Scho&#x0364;nheit beruhet aber auf jener ge-<lb/>
gebenen, in der Natur, nicht in men&#x017F;chlicher Willku&#x0364;hr, ge-<lb/>
gru&#x0364;ndeten Symbolik der Formen, durch welche die&#x017F;e in be-<lb/>
&#x017F;timmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen,<lb/>
bey deren Anblick wir uns nothwendig theils be&#x017F;timmter Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen und Begriffe erinnern, theils auch be&#x017F;timmter in<lb/>
uns &#x017F;chlummernder Gefu&#x0364;hle bewußt werden. Vermo&#x0364;ge die&#x017F;er<lb/>
Eigen&#x017F;chaft erwecken die Formen, ganz unabha&#x0364;ngig, &#x017F;owohl<lb/>
vom &#x017F;innlichen Wohlgefa&#x0364;lligen, als von der eben beru&#x0364;hrten<lb/>
Scho&#x0364;nheit des Maßes, ein gewi&#x017F;&#x017F;es &#x017F;ittlich-gei&#x017F;tiges Wohlge-<lb/>
fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg-<lb/>
ten Vor&#x017F;tellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem<lb/>
Vergnu&#x0364;gen, welches &#x017F;chon die bloße Tha&#x0364;tigkeit eines deutlichen<lb/>
Erkennens unfehlbar nach &#x017F;ich zieht.</p><lb/>
          <p>Den Grund der Erfreulichkeit von Vor&#x017F;tellungen, die<lb/>
Sichtbares im Gei&#x017F;te anregt, werden wir voraus&#x017F;etzen und<lb/>
u&#x0364;bergehen du&#x0364;rfen, da die&#x017F;e Abtheilung innerhalb der Scho&#x0364;n-<lb/>
heit la&#x0364;ng&#x017F;t &#x017F;chon mit dem be&#x017F;ten Erfolge unter&#x017F;ucht und be-<lb/>
leuchtet worden; vielleicht, weil &#x017F;ie den Schrift&#x017F;tellern zuga&#x0364;ng-<lb/>
licher war, als Solches, &#x017F;o einzig der Ge&#x017F;talt und ihrer Er-<lb/>
&#x017F;cheinung angeho&#x0364;rt, mithin nur den ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;ch gebildeten See-<lb/>
len genu&#x0364;gend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches<lb/>
&#x017F;chon in der nackten Deutlichkeit der Er&#x017F;cheinung liegt, hatte<lb/>
in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schick&#x017F;al, bald viel<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0162] inmitten der Schnoͤrkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun- derts eine unaufhaltſame Umwaͤlzung des Geſchmackes, welche nur deshalb ſo ſpaͤt auf die Thaͤtigkeit der Kunſt zuruͤckgewirkt, weil man ungleich fruͤher das Schoͤne der Kunſt als das Ge- heimniß ſeiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte. Die dritte, und fuͤr ſittliche und erkennende Weſen un- laͤugbar die wichtigſte, Schoͤnheit beruhet aber auf jener ge- gebenen, in der Natur, nicht in menſchlicher Willkuͤhr, ge- gruͤndeten Symbolik der Formen, durch welche dieſe in be- ſtimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen, bey deren Anblick wir uns nothwendig theils beſtimmter Vor- ſtellungen und Begriffe erinnern, theils auch beſtimmter in uns ſchlummernder Gefuͤhle bewußt werden. Vermoͤge dieſer Eigenſchaft erwecken die Formen, ganz unabhaͤngig, ſowohl vom ſinnlichen Wohlgefaͤlligen, als von der eben beruͤhrten Schoͤnheit des Maßes, ein gewiſſes ſittlich-geiſtiges Wohlge- fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg- ten Vorſtellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem Vergnuͤgen, welches ſchon die bloße Thaͤtigkeit eines deutlichen Erkennens unfehlbar nach ſich zieht. Den Grund der Erfreulichkeit von Vorſtellungen, die Sichtbares im Geiſte anregt, werden wir vorausſetzen und uͤbergehen duͤrfen, da dieſe Abtheilung innerhalb der Schoͤn- heit laͤngſt ſchon mit dem beſten Erfolge unterſucht und be- leuchtet worden; vielleicht, weil ſie den Schriftſtellern zugaͤng- licher war, als Solches, ſo einzig der Geſtalt und ihrer Er- ſcheinung angehoͤrt, mithin nur den kuͤnſtleriſch gebildeten See- len genuͤgend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches ſchon in der nackten Deutlichkeit der Erſcheinung liegt, hatte in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schickſal, bald viel zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/162
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/162>, abgerufen am 01.05.2024.