Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.47. Daß nicht ein Mensch die Sprach' erfunden, glaubt ihr lang, Und daß sie mit und aus der Menschheit selbst entsprang. Doch meint ihr, daß ein Mensch einmal erfand die Schrift, Als sei kein Zauber auch Buchstab' und Schreibestift! Doch nicht ein Zauberer, ein Gott gewesen wäre, Wer dem Gedanken so gerundet seine Sfäre. Denn kleinres Wunder nicht ist daß man schreibt, als spricht; In zweien Spiegeln bricht sich gleich des Geistes Licht. Der eine Spiegel wirft das Bild dem andern zu, Und äußerlich wie dort dich hier erkennest du. Die Schrift ist mit der Sprach' und wie sie selbst entstanden, In beiden nur ist ganz der Menschheit Bild vorhanden. Du sagst: ein Unterschied sei zwischen Schrift und Schalle,
Weil alle sprechen, doch nicht schreiben können alle; 47. Daß nicht ein Menſch die Sprach' erfunden, glaubt ihr lang, Und daß ſie mit und aus der Menſchheit ſelbſt entſprang. Doch meint ihr, daß ein Menſch einmal erfand die Schrift, Als ſei kein Zauber auch Buchſtab' und Schreibeſtift! Doch nicht ein Zauberer, ein Gott geweſen waͤre, Wer dem Gedanken ſo gerundet ſeine Sfaͤre. Denn kleinres Wunder nicht iſt daß man ſchreibt, als ſpricht; In zweien Spiegeln bricht ſich gleich des Geiſtes Licht. Der eine Spiegel wirft das Bild dem andern zu, Und aͤußerlich wie dort dich hier erkenneſt du. Die Schrift iſt mit der Sprach' und wie ſie ſelbſt entſtanden, In beiden nur iſt ganz der Menſchheit Bild vorhanden. Du ſagſt: ein Unterſchied ſei zwiſchen Schrift und Schalle,
Weil alle ſprechen, doch nicht ſchreiben koͤnnen alle; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0270" n="260"/> <div n="2"> <head>47.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Daß nicht ein Menſch die Sprach' erfunden, glaubt ihr lang,</l><lb/> <l>Und daß ſie mit und aus der Menſchheit ſelbſt entſprang.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Doch meint ihr, daß ein Menſch einmal erfand die Schrift,</l><lb/> <l>Als ſei kein Zauber auch Buchſtab' und Schreibeſtift!</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch nicht ein Zauberer, ein Gott geweſen waͤre,</l><lb/> <l>Wer dem Gedanken ſo gerundet ſeine Sfaͤre.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Denn kleinres Wunder nicht iſt daß man ſchreibt, als ſpricht;</l><lb/> <l>In zweien Spiegeln bricht ſich gleich des Geiſtes Licht.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Der eine Spiegel wirft das Bild dem andern zu,</l><lb/> <l>Und aͤußerlich wie dort dich hier erkenneſt du.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Die Schrift iſt mit der Sprach' und wie ſie ſelbſt entſtanden,</l><lb/> <l>In beiden nur iſt ganz der Menſchheit Bild vorhanden.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Du ſagſt: ein Unterſchied ſei zwiſchen Schrift und Schalle,</l><lb/> <l>Weil alle ſprechen, doch nicht ſchreiben koͤnnen alle;</l> </lg><lb/> <l/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [260/0270]
47.
Daß nicht ein Menſch die Sprach' erfunden, glaubt ihr lang,
Und daß ſie mit und aus der Menſchheit ſelbſt entſprang.
Doch meint ihr, daß ein Menſch einmal erfand die Schrift,
Als ſei kein Zauber auch Buchſtab' und Schreibeſtift!
Doch nicht ein Zauberer, ein Gott geweſen waͤre,
Wer dem Gedanken ſo gerundet ſeine Sfaͤre.
Denn kleinres Wunder nicht iſt daß man ſchreibt, als ſpricht;
In zweien Spiegeln bricht ſich gleich des Geiſtes Licht.
Der eine Spiegel wirft das Bild dem andern zu,
Und aͤußerlich wie dort dich hier erkenneſt du.
Die Schrift iſt mit der Sprach' und wie ſie ſelbſt entſtanden,
In beiden nur iſt ganz der Menſchheit Bild vorhanden.
Du ſagſt: ein Unterſchied ſei zwiſchen Schrift und Schalle,
Weil alle ſprechen, doch nicht ſchreiben koͤnnen alle;
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