Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.21. Ihr närr'schen Dichter, die ihr scheltet die Natur, Und sie zu schelten nehmt aus ihr die Bilder nur! Wenn Musen sonst aus Lärm die Einsamkeit gesucht, Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht; Hängt um die Poesie des Staates Flitterstaat, Statt jener Unschuld, die im Paradies auftrat. Seht dort nur hin, wo längst schon steht das Ideal, Das ihr hier bauen wollt; sprecht: wo ist Lust? wo Qual? Ist hier die Wiese kahl? ist hier der Bach nur schmal? Sie glänzen doch, sei's nun von Früh- von Abendstral. Wenns hier ist kahl und schmal, so ists dort schal und fahl, Dort wo ihr jetzt noch seht nur höchstes Ideal. Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf, Und kämpft für Erdenheil, für Erdlicht euern Kampf! Hier laßt die heitre Lust für Weltheil, Gottlicht kämpfen; Die Heiterkeit sollt ihr mit Koth und Dampf nicht dämpfen. 21. Ihr naͤrr'ſchen Dichter, die ihr ſcheltet die Natur, Und ſie zu ſchelten nehmt aus ihr die Bilder nur! Wenn Muſen ſonſt aus Laͤrm die Einſamkeit geſucht, Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht; Haͤngt um die Poeſie des Staates Flitterſtaat, Statt jener Unſchuld, die im Paradies auftrat. Seht dort nur hin, wo laͤngſt ſchon ſteht das Ideal, Das ihr hier bauen wollt; ſprecht: wo iſt Luſt? wo Qual? Iſt hier die Wieſe kahl? iſt hier der Bach nur ſchmal? Sie glaͤnzen doch, ſei's nun von Fruͤh- von Abendſtral. Wenns hier iſt kahl und ſchmal, ſo iſts dort ſchal und fahl, Dort wo ihr jetzt noch ſeht nur hoͤchſtes Ideal. Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf, Und kaͤmpft fuͤr Erdenheil, fuͤr Erdlicht euern Kampf! Hier laßt die heitre Luſt fuͤr Weltheil, Gottlicht kaͤmpfen; Die Heiterkeit ſollt ihr mit Koth und Dampf nicht daͤmpfen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0030" n="20"/> <div n="2"> <head>21.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ihr naͤrr'ſchen Dichter, die ihr ſcheltet die Natur,</l><lb/> <l>Und ſie zu ſchelten nehmt aus ihr die Bilder nur!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wenn Muſen ſonſt aus Laͤrm die Einſamkeit geſucht,</l><lb/> <l>Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Haͤngt um die Poeſie des Staates Flitterſtaat,</l><lb/> <l>Statt jener Unſchuld, die im Paradies auftrat.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Seht dort nur hin, wo laͤngſt ſchon ſteht das Ideal,</l><lb/> <l>Das ihr hier bauen wollt; ſprecht: wo iſt Luſt? wo Qual?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Iſt hier die Wieſe kahl? iſt hier der Bach nur ſchmal?</l><lb/> <l>Sie glaͤnzen doch, ſei's nun von Fruͤh- von Abendſtral.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wenns hier iſt kahl und ſchmal, ſo iſts dort ſchal und fahl,</l><lb/> <l>Dort wo ihr jetzt noch ſeht nur hoͤchſtes Ideal.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf,</l><lb/> <l>Und kaͤmpft fuͤr Erdenheil, fuͤr Erdlicht euern Kampf!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Hier laßt die heitre Luſt fuͤr Weltheil, Gottlicht kaͤmpfen;</l><lb/> <l>Die Heiterkeit ſollt ihr mit Koth und Dampf nicht daͤmpfen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
21.
Ihr naͤrr'ſchen Dichter, die ihr ſcheltet die Natur,
Und ſie zu ſchelten nehmt aus ihr die Bilder nur!
Wenn Muſen ſonſt aus Laͤrm die Einſamkeit geſucht,
Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht;
Haͤngt um die Poeſie des Staates Flitterſtaat,
Statt jener Unſchuld, die im Paradies auftrat.
Seht dort nur hin, wo laͤngſt ſchon ſteht das Ideal,
Das ihr hier bauen wollt; ſprecht: wo iſt Luſt? wo Qual?
Iſt hier die Wieſe kahl? iſt hier der Bach nur ſchmal?
Sie glaͤnzen doch, ſei's nun von Fruͤh- von Abendſtral.
Wenns hier iſt kahl und ſchmal, ſo iſts dort ſchal und fahl,
Dort wo ihr jetzt noch ſeht nur hoͤchſtes Ideal.
Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf,
Und kaͤmpft fuͤr Erdenheil, fuͤr Erdlicht euern Kampf!
Hier laßt die heitre Luſt fuͤr Weltheil, Gottlicht kaͤmpfen;
Die Heiterkeit ſollt ihr mit Koth und Dampf nicht daͤmpfen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/30>, abgerufen am 24.07.2024. |