Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.98. Sieh diesen Mann! wie steht ihm felsenfest sein Glauben! Der Zweifel kann daran ihm nicht ein Iota rauben. Und was er glaubt, erhebt er auch zur Wissenschaft; Wie braucht er so geschickt dazu des Geistes Kraft! Nicht daß sein Glauben selbst bedürfte der Vernunft; Doch schlagen will er so auch der Ungläub'gen Zunft. Was aber glaubt er denn, und was beweist er sich? Was ganz ist abgeschmackt und völlig lächerlich. So weit ist Glauben und Menschenverstand geschieden, So schwer ist Aberwitz von Weisheit selbst vermieden. Wo aber beide blind den Liebesbund beschworen, Da ist ein Spottgebild der Wahrheit ausgeboren. Wer keck nur vorwerts schließt und eins ans andre hängt, Hat eine Kette bald, die alle Welt umfängt. 98. Sieh dieſen Mann! wie ſteht ihm felſenfeſt ſein Glauben! Der Zweifel kann daran ihm nicht ein Iota rauben. Und was er glaubt, erhebt er auch zur Wiſſenſchaft; Wie braucht er ſo geſchickt dazu des Geiſtes Kraft! Nicht daß ſein Glauben ſelbſt beduͤrfte der Vernunft; Doch ſchlagen will er ſo auch der Unglaͤub'gen Zunft. Was aber glaubt er denn, und was beweiſt er ſich? Was ganz iſt abgeſchmackt und voͤllig laͤcherlich. So weit iſt Glauben und Menſchenverſtand geſchieden, So ſchwer iſt Aberwitz von Weisheit ſelbſt vermieden. Wo aber beide blind den Liebesbund beſchworen, Da iſt ein Spottgebild der Wahrheit ausgeboren. Wer keck nur vorwerts ſchließt und eins ans andre haͤngt, Hat eine Kette bald, die alle Welt umfaͤngt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0207" n="197"/> <div n="2"> <head>98.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Sieh dieſen Mann! wie ſteht ihm felſenfeſt ſein Glauben!</l><lb/> <l>Der Zweifel kann daran ihm nicht ein Iota rauben.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Und was er glaubt, erhebt er auch zur Wiſſenſchaft;</l><lb/> <l>Wie braucht er ſo geſchickt dazu des Geiſtes Kraft!</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Nicht daß ſein Glauben ſelbſt beduͤrfte der Vernunft;</l><lb/> <l>Doch ſchlagen will er ſo auch der Unglaͤub'gen Zunft.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Was aber glaubt er denn, und was beweiſt er ſich?</l><lb/> <l>Was ganz iſt abgeſchmackt und voͤllig laͤcherlich.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>So weit iſt Glauben und Menſchenverſtand geſchieden,</l><lb/> <l>So ſchwer iſt Aberwitz von Weisheit ſelbſt vermieden.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wo aber beide blind den Liebesbund beſchworen,</l><lb/> <l>Da iſt ein Spottgebild der Wahrheit ausgeboren.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wer keck nur vorwerts ſchließt und eins ans andre haͤngt,</l><lb/> <l>Hat eine Kette bald, die alle Welt umfaͤngt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0207]
98.
Sieh dieſen Mann! wie ſteht ihm felſenfeſt ſein Glauben!
Der Zweifel kann daran ihm nicht ein Iota rauben.
Und was er glaubt, erhebt er auch zur Wiſſenſchaft;
Wie braucht er ſo geſchickt dazu des Geiſtes Kraft!
Nicht daß ſein Glauben ſelbſt beduͤrfte der Vernunft;
Doch ſchlagen will er ſo auch der Unglaͤub'gen Zunft.
Was aber glaubt er denn, und was beweiſt er ſich?
Was ganz iſt abgeſchmackt und voͤllig laͤcherlich.
So weit iſt Glauben und Menſchenverſtand geſchieden,
So ſchwer iſt Aberwitz von Weisheit ſelbſt vermieden.
Wo aber beide blind den Liebesbund beſchworen,
Da iſt ein Spottgebild der Wahrheit ausgeboren.
Wer keck nur vorwerts ſchließt und eins ans andre haͤngt,
Hat eine Kette bald, die alle Welt umfaͤngt.
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