Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
6.
Mein Sohn! die Wahrheit ist in Wahrheit ganz nur Eine,
Bei Gott ist sie an sich, beim Menschen nur im Scheine.
Und wenn der Mensch in sich will Gottes Wahrheit spiegeln,
So muß er einen Schein mit ihrem Bild besiegeln.
Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Schönheitsschein,
Nur bild' als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein.
Mit diesem Blick sieh an die Welt und dieses Buch;
In diesem Sinne löst sich jeder Widerspruch.

7.
Des Ganzen Theile sind als Theile nicht vorhanden,
Deswegen, weil sie ja zum Ganzen sich verbanden.
Grenzpfähle steckest du, um ein Gebiet zu messen;
Doch daß du sie nur steckst, das sollst du nicht vergessen.
Der grade Gegensatz setzt grad die Wahrheit schief,
Weil stets in Wahrheit eins ins andre sich verlief.

6.
Mein Sohn! die Wahrheit iſt in Wahrheit ganz nur Eine,
Bei Gott iſt ſie an ſich, beim Menſchen nur im Scheine.
Und wenn der Menſch in ſich will Gottes Wahrheit ſpiegeln,
So muß er einen Schein mit ihrem Bild beſiegeln.
Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Schoͤnheitsſchein,
Nur bild' als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein.
Mit dieſem Blick ſieh an die Welt und dieſes Buch;
In dieſem Sinne loͤſt ſich jeder Widerſpruch.

7.
Des Ganzen Theile ſind als Theile nicht vorhanden,
Deswegen, weil ſie ja zum Ganzen ſich verbanden.
Grenzpfaͤhle ſteckeſt du, um ein Gebiet zu meſſen;
Doch daß du ſie nur ſteckſt, das ſollſt du nicht vergeſſen.
Der grade Gegenſatz ſetzt grad die Wahrheit ſchief,
Weil ſtets in Wahrheit eins ins andre ſich verlief.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="7"/>
        <div n="2">
          <head>6.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Mein Sohn! die Wahrheit i&#x017F;t in Wahrheit ganz nur Eine,</l><lb/>
              <l>Bei Gott i&#x017F;t &#x017F;ie an &#x017F;ich, beim Men&#x017F;chen nur im Scheine.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Und wenn der Men&#x017F;ch in &#x017F;ich will Gottes Wahrheit &#x017F;piegeln,</l><lb/>
              <l>So muß er einen Schein mit ihrem Bild be&#x017F;iegeln.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Scho&#x0364;nheits&#x017F;chein,</l><lb/>
              <l>Nur bild' als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Mit die&#x017F;em Blick &#x017F;ieh an die Welt und die&#x017F;es Buch;</l><lb/>
              <l>In die&#x017F;em Sinne lo&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich jeder Wider&#x017F;pruch.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>7.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Des Ganzen Theile &#x017F;ind als Theile nicht vorhanden,</l><lb/>
              <l>Deswegen, weil &#x017F;ie ja zum Ganzen &#x017F;ich verbanden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Grenzpfa&#x0364;hle &#x017F;tecke&#x017F;t du, um ein Gebiet zu me&#x017F;&#x017F;en;</l><lb/>
              <l>Doch daß du &#x017F;ie nur &#x017F;teck&#x017F;t, das &#x017F;oll&#x017F;t du nicht verge&#x017F;&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Der grade Gegen&#x017F;atz &#x017F;etzt grad die Wahrheit &#x017F;chief,</l><lb/>
              <l>Weil &#x017F;tets in Wahrheit eins ins andre &#x017F;ich verlief.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0017] 6. Mein Sohn! die Wahrheit iſt in Wahrheit ganz nur Eine, Bei Gott iſt ſie an ſich, beim Menſchen nur im Scheine. Und wenn der Menſch in ſich will Gottes Wahrheit ſpiegeln, So muß er einen Schein mit ihrem Bild beſiegeln. Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Schoͤnheitsſchein, Nur bild' als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein. Mit dieſem Blick ſieh an die Welt und dieſes Buch; In dieſem Sinne loͤſt ſich jeder Widerſpruch. 7. Des Ganzen Theile ſind als Theile nicht vorhanden, Deswegen, weil ſie ja zum Ganzen ſich verbanden. Grenzpfaͤhle ſteckeſt du, um ein Gebiet zu meſſen; Doch daß du ſie nur ſteckſt, das ſollſt du nicht vergeſſen. Der grade Gegenſatz ſetzt grad die Wahrheit ſchief, Weil ſtets in Wahrheit eins ins andre ſich verlief.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/17
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/17>, abgerufen am 03.12.2024.