Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.87. Es ist ein altes Wort, ich will es dir entfalten: In einem Zweifelsfall ists gut sich zu enthalten. Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklären, In einer Sfäre nicht, es gilt in allen Sfären. Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwischen Mein und Dein Ein Zweifel waltet ob, sag barsch nicht: es ist mein! Es gilt im Sittlichen: Wo zwischen bös' und gut Die That ist zweifelhaft, thut wohl, wer nicht sie thut. Es gilt im Handel auch und Wandel: Ist Gewinn Und Schaden zweifelhaft, so leg den Handel hin. Es gilt im Waffenspiel: Wo zweifelhaft der Sieg Dem klugen Feldherrn scheint, vermeidet er den Krieg. Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg Der Weg unsicher scheint, bleib auf dem sichern Weg. Es gilt im Wissen auch: Wo das kann seyn und dis, Sag nicht: das ist, dis nicht! sag: es ist ungewis. 87. Es iſt ein altes Wort, ich will es dir entfalten: In einem Zweifelsfall iſts gut ſich zu enthalten. Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklaͤren, In einer Sfaͤre nicht, es gilt in allen Sfaͤren. Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwiſchen Mein und Dein Ein Zweifel waltet ob, ſag barſch nicht: es iſt mein! Es gilt im Sittlichen: Wo zwiſchen boͤſ' und gut Die That iſt zweifelhaft, thut wohl, wer nicht ſie thut. Es gilt im Handel auch und Wandel: Iſt Gewinn Und Schaden zweifelhaft, ſo leg den Handel hin. Es gilt im Waffenſpiel: Wo zweifelhaft der Sieg Dem klugen Feldherrn ſcheint, vermeidet er den Krieg. Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg Der Weg unſicher ſcheint, bleib auf dem ſichern Weg. Es gilt im Wiſſen auch: Wo das kann ſeyn und dis, Sag nicht: das iſt, dis nicht! ſag: es iſt ungewis. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0193" n="183"/> <div n="2"> <head>87.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Es iſt ein altes Wort, ich will es dir entfalten:</l><lb/> <l>In einem Zweifelsfall iſts gut ſich zu enthalten.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklaͤren,</l><lb/> <l>In einer Sfaͤre nicht, es gilt in allen Sfaͤren.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwiſchen Mein und Dein</l><lb/> <l>Ein Zweifel waltet ob, ſag barſch nicht: es iſt mein!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Es gilt im Sittlichen: Wo zwiſchen boͤſ' und gut</l><lb/> <l>Die That iſt zweifelhaft, thut wohl, wer nicht ſie thut.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Es gilt im Handel auch und Wandel: Iſt Gewinn</l><lb/> <l>Und Schaden zweifelhaft, ſo leg den Handel hin.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Es gilt im Waffenſpiel: Wo zweifelhaft der Sieg</l><lb/> <l>Dem klugen Feldherrn ſcheint, vermeidet er den Krieg.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg</l><lb/> <l>Der Weg unſicher ſcheint, bleib auf dem ſichern Weg.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Es gilt im Wiſſen auch: Wo das kann ſeyn und dis,</l><lb/> <l>Sag nicht: das iſt, dis nicht! ſag: es iſt ungewis.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0193]
87.
Es iſt ein altes Wort, ich will es dir entfalten:
In einem Zweifelsfall iſts gut ſich zu enthalten.
Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklaͤren,
In einer Sfaͤre nicht, es gilt in allen Sfaͤren.
Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwiſchen Mein und Dein
Ein Zweifel waltet ob, ſag barſch nicht: es iſt mein!
Es gilt im Sittlichen: Wo zwiſchen boͤſ' und gut
Die That iſt zweifelhaft, thut wohl, wer nicht ſie thut.
Es gilt im Handel auch und Wandel: Iſt Gewinn
Und Schaden zweifelhaft, ſo leg den Handel hin.
Es gilt im Waffenſpiel: Wo zweifelhaft der Sieg
Dem klugen Feldherrn ſcheint, vermeidet er den Krieg.
Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg
Der Weg unſicher ſcheint, bleib auf dem ſichern Weg.
Es gilt im Wiſſen auch: Wo das kann ſeyn und dis,
Sag nicht: das iſt, dis nicht! ſag: es iſt ungewis.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/193 |
Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/193>, abgerufen am 05.07.2024. |