Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



thränen. Da sehet, ihr Lieben! Nimm, lieber
Bruno und lies. Bruno las laut: Clare, meine
liebste Clare! Es ist heute mein Geburtstag, wie
Dir wohl bekannt ist; aber wie er gefeiert worden,
das kannst Du in Deiner großen Ferne nicht wis-
sen, und ich muß, ich muß mein allzuglückliches
Herz bei Dir, meine Clare, entladen.

Früh, als ich erwachte, fiel mein Blick auf ein
Bild: Du erinnerst Dich doch noch des schönen
Bildes der Liebe in Cassel? von dem wir nicht
wieder wegfinden konnten -- eine Mutter halb
kniend umringt von liebenden Kindern. Du weißt,
wie wir alle von dem Bilde gefesselt waren; dies
hat mein Platov für seine Jda kopieren lassen,
und Woldemar ein Blatt darunter gelegt, von
seiner Hand, die Mutter, überschrieben. Mein
ganzes Zimmer war voll duftender Blumen.
Schöner, dacht' ich nun, könne es heute gar nicht
werden. -- Da traten der Vater herein, und die
Mutter. Jch hielt meine süße Angelika auf dem
Schooße. Ein unbeschreiblich väterlicher Blick fiel
auf mich und das Kind, dann auf das gegenüber



thränen. Da ſehet, ihr Lieben! Nimm, lieber
Bruno und lies. Bruno las laut: Clare, meine
liebſte Clare! Es iſt heute mein Geburtstag, wie
Dir wohl bekannt iſt; aber wie er gefeiert worden,
das kannſt Du in Deiner großen Ferne nicht wiſ-
ſen, und ich muß, ich muß mein allzuglückliches
Herz bei Dir, meine Clare, entladen.

Früh, als ich erwachte, fiel mein Blick auf ein
Bild: Du erinnerſt Dich doch noch des ſchönen
Bildes der Liebe in Caſſel? von dem wir nicht
wieder wegfinden konnten — eine Mutter halb
kniend umringt von liebenden Kindern. Du weißt,
wie wir alle von dem Bilde gefeſſelt waren; dies
hat mein Platov für ſeine Jda kopieren laſſen,
und Woldemar ein Blatt darunter gelegt, von
ſeiner Hand, die Mutter, überſchrieben. Mein
ganzes Zimmer war voll duftender Blumen.
Schöner, dacht’ ich nun, könne es heute gar nicht
werden. — Da traten der Vater herein, und die
Mutter. Jch hielt meine ſüße Angelika auf dem
Schooße. Ein unbeſchreiblich väterlicher Blick fiel
auf mich und das Kind, dann auf das gegenüber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="386"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
thränen. Da &#x017F;ehet, ihr Lieben! Nimm, lieber<lb/>
Bruno und lies. Bruno las laut: Clare, meine<lb/>
lieb&#x017F;te Clare! Es i&#x017F;t heute mein Geburtstag, wie<lb/>
Dir wohl bekannt i&#x017F;t; aber wie er gefeiert worden,<lb/>
das kann&#x017F;t Du in Deiner großen Ferne nicht wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, und ich muß, ich muß mein allzuglückliches<lb/>
Herz bei Dir, meine Clare, entladen.</p><lb/>
          <p>Früh, als ich erwachte, fiel mein Blick auf ein<lb/>
Bild: Du erinner&#x017F;t Dich doch noch des &#x017F;chönen<lb/>
Bildes der Liebe in Ca&#x017F;&#x017F;el? von dem wir nicht<lb/>
wieder wegfinden konnten &#x2014; eine Mutter halb<lb/>
kniend umringt von liebenden Kindern. Du weißt,<lb/>
wie wir alle von dem Bilde gefe&#x017F;&#x017F;elt waren; dies<lb/>
hat mein Platov für &#x017F;eine Jda kopieren la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und Woldemar ein Blatt darunter gelegt, von<lb/>
&#x017F;einer Hand, <hi rendition="#g">die Mutter,</hi> über&#x017F;chrieben. Mein<lb/>
ganzes Zimmer war voll duftender Blumen.<lb/>
Schöner, dacht&#x2019; ich nun, könne es heute gar nicht<lb/>
werden. &#x2014; Da traten der Vater herein, und die<lb/>
Mutter. Jch hielt meine &#x017F;üße Angelika auf dem<lb/>
Schooße. Ein unbe&#x017F;chreiblich väterlicher Blick fiel<lb/>
auf mich und das Kind, dann auf das gegenüber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0394] thränen. Da ſehet, ihr Lieben! Nimm, lieber Bruno und lies. Bruno las laut: Clare, meine liebſte Clare! Es iſt heute mein Geburtstag, wie Dir wohl bekannt iſt; aber wie er gefeiert worden, das kannſt Du in Deiner großen Ferne nicht wiſ- ſen, und ich muß, ich muß mein allzuglückliches Herz bei Dir, meine Clare, entladen. Früh, als ich erwachte, fiel mein Blick auf ein Bild: Du erinnerſt Dich doch noch des ſchönen Bildes der Liebe in Caſſel? von dem wir nicht wieder wegfinden konnten — eine Mutter halb kniend umringt von liebenden Kindern. Du weißt, wie wir alle von dem Bilde gefeſſelt waren; dies hat mein Platov für ſeine Jda kopieren laſſen, und Woldemar ein Blatt darunter gelegt, von ſeiner Hand, die Mutter, überſchrieben. Mein ganzes Zimmer war voll duftender Blumen. Schöner, dacht’ ich nun, könne es heute gar nicht werden. — Da traten der Vater herein, und die Mutter. Jch hielt meine ſüße Angelika auf dem Schooße. Ein unbeſchreiblich väterlicher Blick fiel auf mich und das Kind, dann auf das gegenüber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/394
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/394>, abgerufen am 22.11.2024.