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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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trinken bietet, und du keine Lust hast, magst du
dann gern trinken? Nein, Tante. Nun siehe,
Milly küßt nicht gern, weil sie keine Lust zum
Küssen hat.

Seraphine. "Aber ich habe Lust, o ich woll-
te so gerne, daß Milly auch Lust hätte, mich
immer lieb zu haben." -- Vielleicht daß sie es ein
andermal gern thut, wenn du sie gar nicht mehr
darum plagst. -- So oft Milly mit mir längs
dem Corridor geht, der mit Landkarten behängt
ist, bleibt sie vor der Karte von England stehen,
und ob sie auch keinen Namen lesen kann, kennt
sie alle Grafschaften, und geht von Cambridge,
wo ihre Eltern wohnten, nicht eher weg, als
bis sie mir die Gegend so genau beschrieben,
als ob es unsere nächste Nachbarschaft wäre. Und
wenn ich sie recht zutraulich machen will, darf ich
ihr nur Stand halten, so lange sie Lust hat zu
erzählen. Jmmer schließt sie damit, wenn sie
groß sey, müsse sie dahin. Nun fürchtet sie sich
aber vor gar nichts, als vor dem Wasser. Als
wir neulich eine Fahrt auf dem See machten,
war sie die einzige, die nicht mit wollte. Jch



trinken bietet, und du keine Luſt haſt, magſt du
dann gern trinken? Nein, Tante. Nun ſiehe,
Milly küßt nicht gern, weil ſie keine Luſt zum
Küſſen hat.

Seraphine. „Aber ich habe Luſt, o ich woll-
te ſo gerne, daß Milly auch Luſt hätte, mich
immer lieb zu haben.‟ — Vielleicht daß ſie es ein
andermal gern thut, wenn du ſie gar nicht mehr
darum plagſt. — So oft Milly mit mir längs
dem Corridor geht, der mit Landkarten behängt
iſt, bleibt ſie vor der Karte von England ſtehen,
und ob ſie auch keinen Namen leſen kann, kennt
ſie alle Grafſchaften, und geht von Cambridge,
wo ihre Eltern wohnten, nicht eher weg, als
bis ſie mir die Gegend ſo genau beſchrieben,
als ob es unſere nächſte Nachbarſchaft wäre. Und
wenn ich ſie recht zutraulich machen will, darf ich
ihr nur Stand halten, ſo lange ſie Luſt hat zu
erzählen. Jmmer ſchließt ſie damit, wenn ſie
groß ſey, müſſe ſie dahin. Nun fürchtet ſie ſich
aber vor gar nichts, als vor dem Waſſer. Als
wir neulich eine Fahrt auf dem See machten,
war ſie die einzige, die nicht mit wollte. Jch

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[372/0380] trinken bietet, und du keine Luſt haſt, magſt du dann gern trinken? Nein, Tante. Nun ſiehe, Milly küßt nicht gern, weil ſie keine Luſt zum Küſſen hat. Seraphine. „Aber ich habe Luſt, o ich woll- te ſo gerne, daß Milly auch Luſt hätte, mich immer lieb zu haben.‟ — Vielleicht daß ſie es ein andermal gern thut, wenn du ſie gar nicht mehr darum plagſt. — So oft Milly mit mir längs dem Corridor geht, der mit Landkarten behängt iſt, bleibt ſie vor der Karte von England ſtehen, und ob ſie auch keinen Namen leſen kann, kennt ſie alle Grafſchaften, und geht von Cambridge, wo ihre Eltern wohnten, nicht eher weg, als bis ſie mir die Gegend ſo genau beſchrieben, als ob es unſere nächſte Nachbarſchaft wäre. Und wenn ich ſie recht zutraulich machen will, darf ich ihr nur Stand halten, ſo lange ſie Luſt hat zu erzählen. Jmmer ſchließt ſie damit, wenn ſie groß ſey, müſſe ſie dahin. Nun fürchtet ſie ſich aber vor gar nichts, als vor dem Waſſer. Als wir neulich eine Fahrt auf dem See machten, war ſie die einzige, die nicht mit wollte. Jch

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/380>, abgerufen am 22.11.2024.