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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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viel Freude überwältigt, mich setzen mußte, küßte
mir die nassen Augen, und klammerte sich immer
fester an mich! Nein, du holder Engel, ich ver-
lasse dich nicht wieder. -- Was sind alle Granit-
riesen der Schweiz mit ihrem ewig grauen Schei-
tel, was alle Wunder der Natur gegen ein Herz
voll süßer reiner Liebe! -- Jch wollte nun hin-
aus, und Ordre geben, daß ausgepackt würde,
und wollte selbst holen, was ich Seraphinen mit-
gebracht. Aber sie hielt mich fest umklammert und
sagte: Nein, nein, ich nichts haben will; Mut-
ter hier bleiben. Jch nahm sie auf, trug sie auf
meinen Armen in den Garten, und ließ mir alles
zeigen, und alles erzählen, was sie nur wollte.
Nun erzählte sie mir auch, daß Bruno die Cläre
lieb habe, und ihr alle Tage schöne Blumen schen-
ke, und ihr alle Morgen eine Rose in's Haar
stecke, und daß der Herr Pfarrer Seraphine lieb
habe, und ihr von einem Vater erzählt, der sehr
freundlich sey, und alle Blumen wachsen lasse,
und den Regenbogen gemacht, und die Sonne,
und den niemand sehen könne, der aber alle Men-
schen lieb habe, und besonders die Kinder, wenn



viel Freude überwältigt, mich ſetzen mußte, küßte
mir die naſſen Augen, und klammerte ſich immer
feſter an mich! Nein, du holder Engel, ich ver-
laſſe dich nicht wieder. — Was ſind alle Granit-
rieſen der Schweiz mit ihrem ewig grauen Schei-
tel, was alle Wunder der Natur gegen ein Herz
voll ſüßer reiner Liebe! — Jch wollte nun hin-
aus, und Ordre geben, daß ausgepackt würde,
und wollte ſelbſt holen, was ich Seraphinen mit-
gebracht. Aber ſie hielt mich feſt umklammert und
ſagte: Nein, nein, ich nichts haben will; Mut-
ter hier bleiben. Jch nahm ſie auf, trug ſie auf
meinen Armen in den Garten, und ließ mir alles
zeigen, und alles erzählen, was ſie nur wollte.
Nun erzählte ſie mir auch, daß Bruno die Cläre
lieb habe, und ihr alle Tage ſchöne Blumen ſchen-
ke, und ihr alle Morgen eine Roſe in’s Haar
ſtecke, und daß der Herr Pfarrer Seraphine lieb
habe, und ihr von einem Vater erzählt, der ſehr
freundlich ſey, und alle Blumen wachſen laſſe,
und den Regenbogen gemacht, und die Sonne,
und den niemand ſehen könne, der aber alle Men-
ſchen lieb habe, und beſonders die Kinder, wenn

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[349/0357] viel Freude überwältigt, mich ſetzen mußte, küßte mir die naſſen Augen, und klammerte ſich immer feſter an mich! Nein, du holder Engel, ich ver- laſſe dich nicht wieder. — Was ſind alle Granit- rieſen der Schweiz mit ihrem ewig grauen Schei- tel, was alle Wunder der Natur gegen ein Herz voll ſüßer reiner Liebe! — Jch wollte nun hin- aus, und Ordre geben, daß ausgepackt würde, und wollte ſelbſt holen, was ich Seraphinen mit- gebracht. Aber ſie hielt mich feſt umklammert und ſagte: Nein, nein, ich nichts haben will; Mut- ter hier bleiben. Jch nahm ſie auf, trug ſie auf meinen Armen in den Garten, und ließ mir alles zeigen, und alles erzählen, was ſie nur wollte. Nun erzählte ſie mir auch, daß Bruno die Cläre lieb habe, und ihr alle Tage ſchöne Blumen ſchen- ke, und ihr alle Morgen eine Roſe in’s Haar ſtecke, und daß der Herr Pfarrer Seraphine lieb habe, und ihr von einem Vater erzählt, der ſehr freundlich ſey, und alle Blumen wachſen laſſe, und den Regenbogen gemacht, und die Sonne, und den niemand ſehen könne, der aber alle Men- ſchen lieb habe, und beſonders die Kinder, wenn

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/357>, abgerufen am 06.05.2024.