Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



in meine Arme. Dann sah er mich mit einem
Blick an, wie ich noch keinen je von ihm gesehen.
Jch fühlte daß |ich sehr roth wurde. Wir setzten
uns zu Tisch. Es ward wenig gegessen. Bruno
ergriff meine Hand: ich fühlte daß die seinige bebte.
Gute, gute Clare, sagte er, Sie könnten ein ein-
sames Herz sehr selig machen. Seit 4 Jahren
kenne ich Sie, und heute erst weiß ich es wie durch
Offenbarung, daß Sie mein ganzes Lebensglück
in Händen haben. Die Tante hat mich Jhnen
zum Begleiter nach Genf gegeben: wollen Sie den
stillen Bruno zum Führer durch das Leben? --
O zürnen Sie nicht, und antworten sie nicht
schnell: durch ein schnelles Nein zerstören Sie die
Ruhe des armen Bruno auf immer. Beste Tante,
es übernahm mich gewaltig. Jch zitterte am gan-
zen Körper. War's vor Schaam, Schmerz oder
Freude -- ich weiß es nicht. Zürne nicht, du
Liebliche, o zürne nicht über den ungestümen un-
bescheidenen Bruno. Er konnte sich ja nicht mehr
halten. Er blickte mir immer sehnender ins Auge.
Bruno! stammelte ich, und konnte nicht mehr.
Engel des Himmels, sprich nur ein einziges Wort,



in meine Arme. Dann ſah er mich mit einem
Blick an, wie ich noch keinen je von ihm geſehen.
Jch fühlte daß |ich ſehr roth wurde. Wir ſetzten
uns zu Tiſch. Es ward wenig gegeſſen. Bruno
ergriff meine Hand: ich fühlte daß die ſeinige bebte.
Gute, gute Clare, ſagte er, Sie könnten ein ein-
ſames Herz ſehr ſelig machen. Seit 4 Jahren
kenne ich Sie, und heute erſt weiß ich es wie durch
Offenbarung, daß Sie mein ganzes Lebensglück
in Händen haben. Die Tante hat mich Jhnen
zum Begleiter nach Genf gegeben: wollen Sie den
ſtillen Bruno zum Führer durch das Leben? —
O zürnen Sie nicht, und antworten ſie nicht
ſchnell: durch ein ſchnelles Nein zerſtören Sie die
Ruhe des armen Bruno auf immer. Beſte Tante,
es übernahm mich gewaltig. Jch zitterte am gan-
zen Körper. War’s vor Schaam, Schmerz oder
Freude — ich weiß es nicht. Zürne nicht, du
Liebliche, o zürne nicht über den ungeſtümen un-
beſcheidenen Bruno. Er konnte ſich ja nicht mehr
halten. Er blickte mir immer ſehnender ins Auge.
Bruno! ſtammelte ich, und konnte nicht mehr.
Engel des Himmels, ſprich nur ein einziges Wort,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0324" n="316"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
in meine Arme. Dann &#x017F;ah er mich mit einem<lb/>
Blick an, wie ich noch keinen je von ihm ge&#x017F;ehen.<lb/>
Jch fühlte daß |ich &#x017F;ehr roth wurde. Wir &#x017F;etzten<lb/>
uns zu Ti&#x017F;ch. Es ward wenig gege&#x017F;&#x017F;en. Bruno<lb/>
ergriff meine Hand: ich fühlte daß die &#x017F;einige bebte.<lb/>
Gute, gute Clare, &#x017F;agte er, Sie könnten ein ein-<lb/>
&#x017F;ames Herz &#x017F;ehr &#x017F;elig machen. Seit 4 Jahren<lb/>
kenne ich Sie, und heute er&#x017F;t weiß ich es wie durch<lb/>
Offenbarung, daß Sie mein ganzes Lebensglück<lb/>
in Händen haben. Die Tante hat mich Jhnen<lb/>
zum Begleiter nach Genf gegeben: wollen Sie den<lb/>
&#x017F;tillen Bruno zum Führer durch das Leben? &#x2014;<lb/>
O zürnen Sie nicht, und antworten &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x017F;chnell: durch ein &#x017F;chnelles Nein zer&#x017F;tören Sie die<lb/>
Ruhe des armen Bruno auf immer. Be&#x017F;te Tante,<lb/>
es übernahm mich gewaltig. Jch zitterte am gan-<lb/>
zen Körper. War&#x2019;s vor Schaam, Schmerz oder<lb/>
Freude &#x2014; ich weiß es nicht. Zürne nicht, du<lb/>
Liebliche, o zürne nicht über den unge&#x017F;tümen un-<lb/>
be&#x017F;cheidenen Bruno. Er konnte &#x017F;ich ja nicht mehr<lb/>
halten. Er blickte mir immer &#x017F;ehnender ins Auge.<lb/>
Bruno! &#x017F;tammelte ich, und konnte nicht mehr.<lb/>
Engel des Himmels, &#x017F;prich nur ein einziges Wort,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0324] in meine Arme. Dann ſah er mich mit einem Blick an, wie ich noch keinen je von ihm geſehen. Jch fühlte daß |ich ſehr roth wurde. Wir ſetzten uns zu Tiſch. Es ward wenig gegeſſen. Bruno ergriff meine Hand: ich fühlte daß die ſeinige bebte. Gute, gute Clare, ſagte er, Sie könnten ein ein- ſames Herz ſehr ſelig machen. Seit 4 Jahren kenne ich Sie, und heute erſt weiß ich es wie durch Offenbarung, daß Sie mein ganzes Lebensglück in Händen haben. Die Tante hat mich Jhnen zum Begleiter nach Genf gegeben: wollen Sie den ſtillen Bruno zum Führer durch das Leben? — O zürnen Sie nicht, und antworten ſie nicht ſchnell: durch ein ſchnelles Nein zerſtören Sie die Ruhe des armen Bruno auf immer. Beſte Tante, es übernahm mich gewaltig. Jch zitterte am gan- zen Körper. War’s vor Schaam, Schmerz oder Freude — ich weiß es nicht. Zürne nicht, du Liebliche, o zürne nicht über den ungeſtümen un- beſcheidenen Bruno. Er konnte ſich ja nicht mehr halten. Er blickte mir immer ſehnender ins Auge. Bruno! ſtammelte ich, und konnte nicht mehr. Engel des Himmels, ſprich nur ein einziges Wort,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/324
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/324>, abgerufen am 21.11.2024.