Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



ehe sie völlig überwunden wird, aber man soll
nicht eher ablassen, als bis man die Heilung des
Übels vollendet. Die völlige Liebe treibet die
Furcht aus: so stehet irgendwo geschrieben, und
es ist eine Wahrheit, die auch hier anzuwenden
stehet. Pflanzen wir Liebe zu Himmel und Erde
in die junge Seele! Befreunden wir das Kind frühe
mit allem was lebt, lehren wir es, jedes Leben
als heilige Himmelsgabe lieben, zeigen wir in uns
selbst ihm eine fromme Scheu, irgend ein Leben ohne
Noth zu zerstören; und sobald es etwas einsehen
kann, lehre man es, wie hoch alles Organisirte
über den übrigen Theil der Schöpfung erhaben ist,
so wird es nicht leicht von leidenschaftlicher Furcht
oder Ekel vor irgend einem Thiere von widriger Ge-
stalt befallen werden, vorausgesetzt daß wir selbst
von Thierscheue frei sind. Was man mit Liebe
anschaut, kann man nicht fürchten. Jda kennt
keine Furcht vor irgend einem Thiere: sie liebt al-
les was Leben in sich trägt, und dem Pflanzenreich
leihet ihre Phantasie Leben, damit sie inniger es
lieben könne. Lebe wohl, Emma!





ehe ſie völlig überwunden wird, aber man ſoll
nicht eher ablaſſen, als bis man die Heilung des
Übels vollendet. Die völlige Liebe treibet die
Furcht aus: ſo ſtehet irgendwo geſchrieben, und
es iſt eine Wahrheit, die auch hier anzuwenden
ſtehet. Pflanzen wir Liebe zu Himmel und Erde
in die junge Seele! Befreunden wir das Kind frühe
mit allem was lebt, lehren wir es, jedes Leben
als heilige Himmelsgabe lieben, zeigen wir in uns
ſelbſt ihm eine fromme Scheu, irgend ein Leben ohne
Noth zu zerſtören; und ſobald es etwas einſehen
kann, lehre man es, wie hoch alles Organiſirte
über den übrigen Theil der Schöpfung erhaben iſt,
ſo wird es nicht leicht von leidenſchaftlicher Furcht
oder Ekel vor irgend einem Thiere von widriger Ge-
ſtalt befallen werden, vorausgeſetzt daß wir ſelbſt
von Thierſcheue frei ſind. Was man mit Liebe
anſchaut, kann man nicht fürchten. Jda kennt
keine Furcht vor irgend einem Thiere: ſie liebt al-
les was Leben in ſich trägt, und dem Pflanzenreich
leihet ihre Phantaſie Leben, damit ſie inniger es
lieben könne. Lebe wohl, Emma!



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="270"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ehe &#x017F;ie völlig überwunden wird, aber man &#x017F;oll<lb/>
nicht eher abla&#x017F;&#x017F;en, als bis man die Heilung des<lb/>
Übels vollendet. Die völlige Liebe treibet die<lb/>
Furcht aus: &#x017F;o &#x017F;tehet irgendwo ge&#x017F;chrieben, und<lb/>
es i&#x017F;t eine Wahrheit, die auch hier anzuwenden<lb/>
&#x017F;tehet. Pflanzen wir Liebe zu Himmel und Erde<lb/>
in die junge Seele! Befreunden wir das Kind frühe<lb/>
mit allem was lebt, lehren wir es, <hi rendition="#g">jedes</hi> Leben<lb/>
als heilige Himmelsgabe lieben, zeigen wir in uns<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ihm eine fromme Scheu, irgend ein Leben ohne<lb/>
Noth zu zer&#x017F;tören; und &#x017F;obald es etwas ein&#x017F;ehen<lb/>
kann, lehre man es, wie hoch alles Organi&#x017F;irte<lb/>
über den übrigen Theil der Schöpfung erhaben i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o wird es nicht leicht von leiden&#x017F;chaftlicher Furcht<lb/>
oder Ekel vor irgend einem Thiere von widriger Ge-<lb/>
&#x017F;talt befallen werden, vorausge&#x017F;etzt daß wir &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
von Thier&#x017F;cheue frei &#x017F;ind. Was man mit Liebe<lb/>
an&#x017F;chaut, kann man nicht fürchten. Jda kennt<lb/>
keine Furcht vor irgend einem Thiere: &#x017F;ie liebt al-<lb/>
les was Leben in &#x017F;ich trägt, und dem Pflanzenreich<lb/>
leihet ihre Phanta&#x017F;ie Leben, damit &#x017F;ie inniger es<lb/>
lieben könne. Lebe wohl, Emma!</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0278] ehe ſie völlig überwunden wird, aber man ſoll nicht eher ablaſſen, als bis man die Heilung des Übels vollendet. Die völlige Liebe treibet die Furcht aus: ſo ſtehet irgendwo geſchrieben, und es iſt eine Wahrheit, die auch hier anzuwenden ſtehet. Pflanzen wir Liebe zu Himmel und Erde in die junge Seele! Befreunden wir das Kind frühe mit allem was lebt, lehren wir es, jedes Leben als heilige Himmelsgabe lieben, zeigen wir in uns ſelbſt ihm eine fromme Scheu, irgend ein Leben ohne Noth zu zerſtören; und ſobald es etwas einſehen kann, lehre man es, wie hoch alles Organiſirte über den übrigen Theil der Schöpfung erhaben iſt, ſo wird es nicht leicht von leidenſchaftlicher Furcht oder Ekel vor irgend einem Thiere von widriger Ge- ſtalt befallen werden, vorausgeſetzt daß wir ſelbſt von Thierſcheue frei ſind. Was man mit Liebe anſchaut, kann man nicht fürchten. Jda kennt keine Furcht vor irgend einem Thiere: ſie liebt al- les was Leben in ſich trägt, und dem Pflanzenreich leihet ihre Phantaſie Leben, damit ſie inniger es lieben könne. Lebe wohl, Emma!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/278
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/278>, abgerufen am 03.05.2024.