Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.hält treulich Wort, und begleitet Hertha auf je- dem Wege den sie Abends zu machen hat. Und wenn sie nicht kann, so thut es Clärchen oder Ma- thilde, die durchaus nichts von solcher Furcht be- greifen. Ein so von Furcht geängstetes Gemüth durch bloßes Raisonnement heilen wollen, wäre vergebliches Unternehmen. Jm Umgange mit furchtlosen heiteren Seelen verliert sich diese Furcht von selbst, wenn sie nicht durch zu frühe und zu oft wiederholte Eindrücke dem jungen Gemüth zu tief eingegraben ist. Bei Hertha hatte diese Lei- denschaft wie unter der Asche geglimmt, und war durch Walpurgens Erzählung wieder zur lichten Flamme angefacht. Gibt es denn aber gar keine zutreffenden Träume, keine Ahnungen, keine Vor- bedeutungen? fragte Hertha kürzlich einmal. Es erzählen doch so viele Menschen davon. Bei die- sen Dingen, liebe Hertha, ist der Unglaube viel heilsamer als die Leichtgläubigkeit. Mir ist in meinem ganzen Leben nichts vorgekommen, das mir diese Dinge nur einigermaßen wahrscheinlich gemacht hätte, und von allen meinen Freunden und Bekannten ist noch keinem etwas begegnet, hält treulich Wort, und begleitet Hertha auf je- dem Wege den ſie Abends zu machen hat. Und wenn ſie nicht kann, ſo thut es Clärchen oder Ma- thilde, die durchaus nichts von ſolcher Furcht be- greifen. Ein ſo von Furcht geängſtetes Gemüth durch bloßes Raiſonnement heilen wollen, wäre vergebliches Unternehmen. Jm Umgange mit furchtloſen heiteren Seelen verliert ſich dieſe Furcht von ſelbſt, wenn ſie nicht durch zu frühe und zu oft wiederholte Eindrücke dem jungen Gemüth zu tief eingegraben iſt. Bei Hertha hatte dieſe Lei- denſchaft wie unter der Aſche geglimmt, und war durch Walpurgens Erzählung wieder zur lichten Flamme angefacht. Gibt es denn aber gar keine zutreffenden Träume, keine Ahnungen, keine Vor- bedeutungen? fragte Hertha kürzlich einmal. Es erzählen doch ſo viele Menſchen davon. Bei die- ſen Dingen, liebe Hertha, iſt der Unglaube viel heilſamer als die Leichtgläubigkeit. Mir iſt in meinem ganzen Leben nichts vorgekommen, das mir dieſe Dinge nur einigermaßen wahrſcheinlich gemacht hätte, und von allen meinen Freunden und Bekannten iſt noch keinem etwas begegnet, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0228" n="220"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> hält treulich Wort, und begleitet Hertha auf je-<lb/> dem Wege den ſie Abends zu machen hat. Und<lb/> wenn ſie nicht kann, ſo thut es Clärchen oder Ma-<lb/> thilde, die durchaus nichts von ſolcher Furcht be-<lb/> greifen. Ein ſo von Furcht geängſtetes Gemüth<lb/> durch bloßes Raiſonnement heilen wollen, wäre<lb/> vergebliches Unternehmen. Jm Umgange mit<lb/> furchtloſen heiteren Seelen verliert ſich dieſe Furcht<lb/> von ſelbſt, wenn ſie nicht durch zu frühe und zu<lb/> oft wiederholte Eindrücke dem jungen Gemüth zu<lb/> tief eingegraben iſt. Bei Hertha hatte dieſe Lei-<lb/> denſchaft wie unter der Aſche geglimmt, und war<lb/> durch Walpurgens Erzählung wieder zur lichten<lb/> Flamme angefacht. Gibt es denn aber gar keine<lb/> zutreffenden Träume, keine Ahnungen, keine Vor-<lb/> bedeutungen? fragte Hertha kürzlich einmal. Es<lb/> erzählen doch ſo viele Menſchen davon. Bei die-<lb/> ſen Dingen, liebe Hertha, iſt der Unglaube viel<lb/> heilſamer als die Leichtgläubigkeit. Mir iſt in<lb/> meinem ganzen Leben nichts vorgekommen, das<lb/> mir dieſe Dinge nur einigermaßen wahrſcheinlich<lb/> gemacht hätte, und von allen meinen Freunden<lb/> und Bekannten iſt noch keinem etwas begegnet,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [220/0228]
hält treulich Wort, und begleitet Hertha auf je-
dem Wege den ſie Abends zu machen hat. Und
wenn ſie nicht kann, ſo thut es Clärchen oder Ma-
thilde, die durchaus nichts von ſolcher Furcht be-
greifen. Ein ſo von Furcht geängſtetes Gemüth
durch bloßes Raiſonnement heilen wollen, wäre
vergebliches Unternehmen. Jm Umgange mit
furchtloſen heiteren Seelen verliert ſich dieſe Furcht
von ſelbſt, wenn ſie nicht durch zu frühe und zu
oft wiederholte Eindrücke dem jungen Gemüth zu
tief eingegraben iſt. Bei Hertha hatte dieſe Lei-
denſchaft wie unter der Aſche geglimmt, und war
durch Walpurgens Erzählung wieder zur lichten
Flamme angefacht. Gibt es denn aber gar keine
zutreffenden Träume, keine Ahnungen, keine Vor-
bedeutungen? fragte Hertha kürzlich einmal. Es
erzählen doch ſo viele Menſchen davon. Bei die-
ſen Dingen, liebe Hertha, iſt der Unglaube viel
heilſamer als die Leichtgläubigkeit. Mir iſt in
meinem ganzen Leben nichts vorgekommen, das
mir dieſe Dinge nur einigermaßen wahrſcheinlich
gemacht hätte, und von allen meinen Freunden
und Bekannten iſt noch keinem etwas begegnet,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |