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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Mathilde stehen ohngefähr auf der nemlichen Stufe
der Bildung, wenn gleich sie höchst verschieden
von einander in ihren Anlagen sind. Unvermerkt
haben sie die letzte Stufe der Kindheit verlassen
und sind in das Jungfrauen-Alter hinübergerückt,
wohin sie die ganze liebenswürdige Kindlichkeit mit
sich genommen und nur das Kindische allein zurück-
gelassen haben.

Die besondern Belehrungen über die Zwecke der
Natur mit allem, was da lebt, welche dies Alter
fodert, wird mir bei der Reinheit ihres Sinnes
und bei der heiligen Unschuld ihres Herzens gar
nicht schwer. Nur bei jungen Mädchen, deren
Einbildungskraft schon mit üppigen Bildern er-
füllt ist, kann auch das belehrende Wort hierüber
zum verderblichen Funken werden, der, wenn er
in solchen Zunder fällt, oft schnell zündet, und
so, daß der heilige Ernst, mit dem das Wort ge-
sprochen wird, ihn nicht zu löschen vermag. O
ihr Mütter, wüßtet ihr es ganz, wie selig eine
Kindheit ist, durchaus in lauterer Unschuld durch-
lebt, die weder im Wachen noch im Traume von
üppigen Vorstellungen gestört, deren süße ahnungs-



Mathilde ſtehen ohngefähr auf der nemlichen Stufe
der Bildung, wenn gleich ſie höchſt verſchieden
von einander in ihren Anlagen ſind. Unvermerkt
haben ſie die letzte Stufe der Kindheit verlaſſen
und ſind in das Jungfrauen-Alter hinübergerückt,
wohin ſie die ganze liebenswürdige Kindlichkeit mit
ſich genommen und nur das Kindiſche allein zurück-
gelaſſen haben.

Die beſondern Belehrungen über die Zwecke der
Natur mit allem, was da lebt, welche dies Alter
fodert, wird mir bei der Reinheit ihres Sinnes
und bei der heiligen Unſchuld ihres Herzens gar
nicht ſchwer. Nur bei jungen Mädchen, deren
Einbildungskraft ſchon mit üppigen Bildern er-
füllt iſt, kann auch das belehrende Wort hierüber
zum verderblichen Funken werden, der, wenn er
in ſolchen Zunder fällt, oft ſchnell zündet, und
ſo, daß der heilige Ernſt, mit dem das Wort ge-
ſprochen wird, ihn nicht zu löſchen vermag. O
ihr Mütter, wüßtet ihr es ganz, wie ſelig eine
Kindheit iſt, durchaus in lauterer Unſchuld durch-
lebt, die weder im Wachen noch im Traume von
üppigen Vorſtellungen geſtört, deren ſüße ahnungs-

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[212/0220] Mathilde ſtehen ohngefähr auf der nemlichen Stufe der Bildung, wenn gleich ſie höchſt verſchieden von einander in ihren Anlagen ſind. Unvermerkt haben ſie die letzte Stufe der Kindheit verlaſſen und ſind in das Jungfrauen-Alter hinübergerückt, wohin ſie die ganze liebenswürdige Kindlichkeit mit ſich genommen und nur das Kindiſche allein zurück- gelaſſen haben. Die beſondern Belehrungen über die Zwecke der Natur mit allem, was da lebt, welche dies Alter fodert, wird mir bei der Reinheit ihres Sinnes und bei der heiligen Unſchuld ihres Herzens gar nicht ſchwer. Nur bei jungen Mädchen, deren Einbildungskraft ſchon mit üppigen Bildern er- füllt iſt, kann auch das belehrende Wort hierüber zum verderblichen Funken werden, der, wenn er in ſolchen Zunder fällt, oft ſchnell zündet, und ſo, daß der heilige Ernſt, mit dem das Wort ge- ſprochen wird, ihn nicht zu löſchen vermag. O ihr Mütter, wüßtet ihr es ganz, wie ſelig eine Kindheit iſt, durchaus in lauterer Unſchuld durch- lebt, die weder im Wachen noch im Traume von üppigen Vorſtellungen geſtört, deren ſüße ahnungs-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/220>, abgerufen am 24.11.2024.